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Wie Make-up dafür sorgt, dass du dich „hässlich“ fühlst

Foto: Paola Vivas.
Im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte sind Alltags-Make-up-Trends immer aufwendiger und kreativer geworden. Wir verblenden, konturieren und highlighten unsere Gesichter, um unsere Gesichtszüge zu verändern oder zu betonen – und obwohl das nicht zwangsläufig etwas Schlechtes ist, kann Make-up eben doch ein doppelschneidiges Schwert sein. Und wenn man sich auf TikTok so umsieht, scheinen sich viele junge Frauen mit Make-up zwar viel selbstbewusster zu fühlen – ohne dafür aber umso weniger.
Vor Kurzem ging die 19-jährige Makayla Figueroa-Bland mit einem Video viral, in dem sie ihren Follower:innen beichtete, sie sei abhängig vom Make-up, um sich schön fühlen zu können, und zeigte sich sogar ihrer Familie nur selten ungeschminkt. „Wenn ich mich schminkte, sah ich zwar besser aus“, erzählt Makayla gegenüber Refinery29. „Aber ich fühlte mich dadurch nicht besser.“ Also beschloss sie, einen „kalten Entzug“ zu machen und mal komplett auf Make-up zu verzichten. Diese Erfahrung dokumentierte sie in einem Video auf TikTok mit dem Titel: „Ich trage so lange kein Make-up, bis ich mich ungeschminkt selbstbewusst fühle.“
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Anfangs fiel es ihr sehr schwer, auf Make-up zu verzichten. „Jeder Blick in den Spiegel war mir unangenehm, weil ich es mir seit der Schule nicht mehr erlaubt hatte, mich nicht zu schminken“, erzählt sie. Nach ein paar Wochen und durch den Support ihrer Follower:innen fühlte sie sich aber immer wohler in ihrer Haut. „Heute bin ich so weit, dass ich ohne Make-up vor die Tür gehen kann und mich dabei selbstbewusster fühle denn je.“
Makayla ist nicht die Einzige, die inzwischen Probleme mit dem Schminken hat. Auch die TikTokerin Victoria Paris ging mit einem Video viral, für das sie sich dazu „zwang“, auf das tägliche Make-up zu verzichten, um sich in ihrer eigenen Haut schöner zu fühlen. Sie meint, das sei die beste Entscheidung, die sie je getroffen habe. Die TikTokerin Emelia Sleep postete ebenfalls ein Video, in dem sie über ihr Selbstwertgefühl sprach und davon erzählte, wie sich ihr Make-up-Entzug auf sie ausgewirkt hatte. „Warte bloß, bis allen klar wird, dass der Schlüssel zum Selbstbewusstsein der Verzicht auf Make-up ist“, schrieb Emelia unter ihr Video. „Ich schminke mich jetzt seit fast anderthalb Jahren nicht mehr und der POSITIVE EFFEKT, den das auf mein Selbstbewusstsein UND meine Persönlichkeit hatte, ist zu gut, um ihn nicht mit euch zu teilen!“
@victoriaparis

I used to feel like I wasn’t beautiful w out makeup and that’s never true

♬ original sound - Morgan
Mal eine Pause vom Make-up einzulegen, ist natürlich an sich noch keine revolutionäre Idee. Aus diversen Gründen haben wir das wohl alle schon mal gemacht. Ob nun aber wegen Influencer-Fatigue, dem Zeitalter der BeReal-Authentizität oder der Corona-Pandemie (während der wir vermutlich alle mehr Zeit in Hautpflege als in Make-up investierten): Immer mehr junge Leute hinterfragen die Auswirkungen von Make-up auf ihr Selbstwertgefühl. Das spiegelt sich auch auf TikTok wider, wo die Hashtags #nomakeup und #nomakeupchallenge jeweils 4,8 Milliarden und knapp 700 Millionen Views gesammelt haben.
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Make-up ist ein mächtiges Werkzeug – aber haben wir dabei aus den Augen verloren, wie unsere Gesichtszüge darunter eigentlich aussehen?

Aber wie kam es zu dieser Kehrtwende? Dank dem Überfluss an Make-up-Tutorials (und natürlich der Social-Media- und Influencer-Kultur) ist es kein Wunder, dass sich viele von uns vielleicht außen vor fühlen, wenn sie nicht mit dem perfekten Lidstrich oder #flawless Augenbrauen rumlaufen. Und auch der Trend zu kosmetischen Eingriffen, oft auch in Form von OPs, wird so schnell nicht wieder verschwinden – und die Ergebnisse dieser Eingriffe werden sogar inzwischen von modernen Make-up-Hacks nachgeahmt.
@emeliasleepp

I haven’t worn it for almost a year and a half now and THE BENEFITS its had on my confidence AND personality is too powerful not to share! 💛

♬ Cool Kids (Sped-Up Version) - Echosmith
Nehmen wir zum Beispiel das „Fox Eye“, ein Faden-Lifting, das dem Gesicht einen „snatched“ Look verleihen soll. Dabei werden die Brauen und Augen mithilfe chirurgischer Fäden nach oben gezogen, die sich nach einiger Zeit unter der Haut auflösen. Zahllose TikTok- und Instagram-Make-up-Artists benutzen Face Tape, um denselben unnatürlich gelifteten Effekt auch an ihren Kund:innen hinzubekommen. In einem Interview mit der Vogue erzählte Bella Hadid letztens, dass ihre berühmten hochgezogenen Brauen das Ergebnis dieser Make-up-Technik sind. Sie nannte das den „ältesten Trick der Welt“. 
Eine Umfrage von Vice UK von 2019 ergab, dass 59 Prozent der jungen Befragten Eingriffe wie Lippen-Filler inzwischen schon als vergleichbar mit einem Haarschnitt oder einer Maniküre empfinden. Filler ist seitdem auch anderen trendigen Eingriffen wie dem „Lip Flip“ (wobei die Lippen mithilfe von Botox betont werden) und 24-Stunden-Filler gewichen. Die Normalisierung dieser lippenaufpolsternden Behandlungen scheint auch eine Handvoll Make-up-Trends ins Leben gerufen zu haben. Denk nur an „Oval-Lining“ (wobei die obere Lippenmitte mit Lipliner übermalt wird, damit die Lippen größer aussehen) und Lippen-Contouring, wodurch die Form betont werden soll.
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Wenn du dich kurz durch Vorher-Nachher-Tutorials auf TikTok und Instagram scrollst, wirst du schnell feststellen, dass Make-up das Gesicht definitiv verwandeln kann, aber eben auch Schönheitsstandards nachahmt, die häufig von Chirurg:innen und Ästhetiker:innen (und natürlich reichen Influencer:innen) bestimmt werden. Kein Wunder, dass unser Selbstbewusstsein darunter leidet, wenn wir uns am Ende des Tages abschminken. Make-up ist ein mächtiges Werkzeug – aber haben wir dabei aus den Augen verloren, wie unsere Gesichtszüge darunter eigentlich aussehen?

„Nur reine Haut gilt als ‚würdig‘ genug, um damit angeben zu können, kein Make-up zu tragen.“

tatiana
Als die 19-jährige Mimi noch zur Schule ging, konnte sie sich nicht vorstellen, auch nur einen Tag ohne Make-up auszukommen; insbesondere auf einen geschwungenen Lidstrich konnte sie nicht verzichten. „Ich versuchte andauernd, meine Unsicherheiten zu beheben, indem ich bestimmte Produkte kaufte oder verschiedene Techniken ausprobierte, als sei mein natürliches Aussehen noch ‚in Arbeit‘“, erzählt sie. Dann zog Mimi von ihrer kleinen Heimat in die Großstadt. Der vielseitige Trubel dort inspirierte sie dazu, sich von „schädlichen Schönheitsstandards“ zu lösen, sagt sie.
Auch die 18-jährige Jezabel legte letztens eine Pause vom Make-up ein, als ihr klar wurde, dass sie nur noch unsicherer wurde, weil sie sich jeden Tag das komplette Gesicht schminkte. „Ich verbrachte täglich zwei Stunden damit, jedes Detail meines Gesichts zu analysieren und zu versuchen, es zu ‚korrigieren‘, damit es bestimmten Standards entsprach“, sagt sie. Beide Frauen stellten fest, dass sich ihr Selbstwertgefühl enorm steigerte, als sie aufhörten, sich zu schminken. „Mein Selbstbewusstsein profitierte total davon, dass ich in den Spiegel gucken konnte und darin mein natürliches Gesicht sah, anstatt einer veränderten Version davon“, erzählt Mimi. Jezabel suchte ihre Selbstbestätigung nun in sich selbst: „Heute trage ich nur noch Make-up, um meine natürlichen Gesichtszüge zu betonen oder mir einen Energie-Boost zu verleihen. Es ist aber nicht mehr ausschlaggebend für mein Selbstwertgefühl.“
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Die Psychologin Dr. Dawn Starley erklärt, dass das Selbstwertgefühl der Kluft zwischen unserem idealen Selbst [vermutlich bestimmt durch Schönheitsideale] und unserem empfundenen jetzigen Selbst entspringt. Je größer diese Distanz, desto schwächer das Selbstwertgefühl. Make-up kann eine kreative und spannende Form des Selbstausdrucks sein; Dr. Starley zufolge wird das Schminken aber zur negativen und ungesunden Gewohnheit, wenn wir das Bedürfnis empfinden, unser wahres Ich unter dem Make-up zu verbergen.
Makayla, Mimi und Jezabel sind bei Weitem nicht die Einzigen, die Make-up brauchen (bzw. brauchten), um sich schön zu fühlen. Zwar empfinden sich immer noch mehr als 40 Prozent der befragten Deutschen im Statista Global Consumer Survey von 2021 auch ohne Make-up als hübsch (mehr als in allen anderen befragten Ländern!), doch gaben beinahe genauso viele an, sich mit Make-up selbstbewusster zu fühlen als ohne. „Viele Frauen fangen schon in der Jugend an, sich zu schminken – genau an dem Punkt, an dem wir uns am meisten danach sehnen, ‚reinzupassen‘ und ein bestimmtes Aussehen zu haben“, meint Dr. Starley. „Eine Verbindung zwischen Make-up und (mehr) Zufriedenheit mit dem eigenen Aussehen liegt also nahe.“
Zu dieser schon früh vermittelten Abhängigkeit von Make-up kommt oft noch der gesellschaftliche Druck hinzu, unser Aussehen durch Produkte, Filter und kosmetische Eingriffe zu „optimieren“. Daran ist auch das Beauty-Marketing schuld. Es ist kein Geheimnis, dass viele Marken unser schlechtes Selbstwertgefühl ausnutzen, um uns Produkte zu verkaufen, indem sie uns Dinge wie ein „jugendliches Aussehen“, „mehr Ausstrahlung“ und „Verschönerung“ versprechen. Make-up kann vielleicht ein empfundenes Problem kurzfristig „lösen“ – aber das Selbstwertgefühl beschränkt sich eben nicht nur auf die Haut.
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Als jemand, die schon lange unter einem schlechten Selbstbewusstsein leidet, weiß die 24-jährige Tatiana, dass Make-up als Stütze für ein niedriges Selbstwertgefühl dienen kann. Sie sieht die öffentliche Debatte rund um den Verzicht auf Schminke eher kritisch, weil sie der Meinung ist, dabei würden beispielsweise Betroffene von Hautproblemen wie Akne missachtet. Die Minimales-Make-up-Bewegung in den sozialen Medien – oder auch nur der Trend zum Schminkverzicht – vermittelt ihr zufolge nämlich ein ganz bestimmtes Narrativ. „Nur reine Haut gilt als ‚würdig‘ genug, um damit angeben zu können, kein Make-up zu tragen“, sagt sie. Und sie hat Recht: Ein kurzes Scrollen durch den #nomakeup-Hashtag auf TikTok zeigt Hunderte glatter, strahlender Gesichter ohne den kleinsten Pickel.
Die Schauspielerin Julia Fox ging letztens auf TikTok viral, weil sie sagte, 2023 sei Hässlichkeit „in“. Immer mehr Leute erkennen: Es hat tatsächlich etwas Befreiendes, nicht dem Nullachtfünfzehn-Schema von „Schönheit“ zu entsprechen. Und während make-up-freie Gesichter also 2023 vielleicht umso beliebter werden, glaubt Tatiana, dass das ein Licht auf eine Form der Ausgrenzung wirft, die sich immer wieder dann zeigt, wenn „Hässlichkeit“ oder „Männer-Abstoßung“ online zum Trend wird. Die Parameter dieser „Hässlichkeit“ entsprechen nämlich (zumindest online) immer noch gewissen gesellschaftlichen Schönheitsidealen wie Dünnsein, Weißsein und reiner Haut.
„Die wahre Frage ist: Wer darf denn hässlich sein?“, fragte Jackie Adedeji erst vor Kurzem in einem Refinery29-Artikel. „Als Schwarze Frau“, schreibt sie weiter, „wurde mir in meinem Leben schon sehr oft vermittelt, ich sei ja sowieso hässlich. Und klar kann ich ‚hässlich‘ für mich selbst definieren und es mir zu eigen machen – aber nicht auf dieselbe Art wie Julia Fox.“ Jackie meint, dass insbesondere für Schwarze Frauen ein „unbegehrenswertes“ Aussehen, von dem Fox da redet, „einen enormen gesellschaftlichen Preis mit härteren Strafen fordert“. Fox’ Kommentare zur „Hässlichkeit“ entspringen einer sehr privilegierten Position, schreibt Jackie, weil sie auf weißer Femininität fußen.
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Ob du selbst entscheidest, auf Make-up zu verzichten, ist absolut deine Entscheidung. Dr. Starley empfiehlt aber, es neutral anzugehen: Make-up ist eine freie Wahl, sagt sie, und sollte dir ein gutes Gefühl geben, anstatt dich davon abzuhalten, dich schlecht zu fühlen. Letzteres empfindet sie als defensive Verdrängungsmethode. Sie rät dazu, in dich hineinzuhören und deine Beziehung zum Make-up zu hinterfragen, indem du regelmäßig einen schminkfreien Tag einlegst oder Freund:innen besuchst, ohne dich vorher zu schminken. Dir selbst diesen Druck von den Schultern zu nehmen, erfordert aber viel Mühe. Daher empfiehlt sie, dir selbst kleine bestätigende Nachrichten zu schreiben, die du in deiner Wohnung verteilst, um dir positiv zuzureden, mehr Zeit mit den Dingen zu verbringen, die du liebst, und Beziehungen zu den Menschen zu vertiefen, die dir ein gutes Gefühl geben.
In den letzten Monaten scheinen sich auch immer mehr Make-up Artists von traditionellen Schönheitsidealen zu lösen. Nimm zum Beispiel Terry Barber, der sich vom Untypischen inspirieren lässt. Sein Instagram-Feed ist voller unperfekter Lidschatten-Looks, die von beliebigen Objekten und Konzepten beeinflusst wurden – anstatt von Trends und Standards –, wie verbranntem Toast, Kaugummi und Zigarettenstummeln. Und auch TikToks @aoifeartist geht in eine ähnliche Richtung: Sie ist bekannt für ihre „merkwürdigen Lippen-Kombis“ und bizarre Trends wie „Aura-Rouge“. Make-up entwickelt sich immer weiter – und wir entfernen uns langsam, aber sicher von unrealistischen Beauty-Zielen.
Dr. Starley glaubt, dass der Trend zu Make-up-Pausen das Potenzial hat, unser Empfinden von Schönheit zu beeinflussen – und ungeschminkte Gesichter immer gesellschaftsfähiger zu machen. Stell dir mal einen Social-Media-Feed vor, in dem du zahlreiche Beispiele für make-up-freie Schönheit präsentiert bekommst und in dem sich alle schön fühlen können. Natürlich kann Make-up ein bekräftigendes, spaßiges Mittel zum Selbstausdruck sein. Aber mal drauf zu verzichten, kann auch dabei helfen, eine negative Beziehung zum eigenen Aussehen geradezurücken. Die richtige Balance zwischen beidem zu finden – und zu wissen, was dir ein gutes Gefühl gibt (und nicht, was der Gesellschaft zufolge „gut aussieht“) –, ist ein wichtiger erster Schritt, um das Selbstbewusstsein wiederzuerlangen, das uns unsere Besessenheit von manchen Schönheitsidealen im Laufe der Zeit geraubt hat.
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