Ich bin ein Dating-App-Profi. Tinder, OkCupid, Bumble? Da bin ich Stammkundin. Viele Dating-Apps installiert zu haben, heißt aber nicht automatisch, dass ich immer jemanden finde – denn natürlich hängt der Liebeserfolg auch von anderen Faktoren ab. Dem Ort, an dem ich bin, zum Beispiel. Sowohl meine lesbischen IRL- als auch Online-Freundinnen jammern oft darüber, wie wenige „spannende“ Singles es in unserer Gegend gibt. Noch dazu bin ich Schwarz, und Studien zufolge haben es Schwarze Frauen auf Dating-Apps nicht so leicht wie weiße oder Latinx-Frauen. Zwar geht es in diesen Studien meistens um heterosexuelles Dating – aber ich kann aus persönlicher Erfahrung bestätigen, dass die Hautfarbe definitiv eine Rolle darin spielt, wie date-würdig du auf andere wirkst, selbst als Lesbe. In meinem Fall kommt dazu noch eine andere Schwierigkeit: Ich bin dick.
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Wenn ich mich selbst als dick bezeichne, will ich damit nicht erreichen, dass das irgendjemand verneint und mich mit Komplimenten überhäuft. Ich bin dick; damit habe ich mich abgefunden. Und tatsächlich finde ich mich selbst und Frauen mit meiner Figur ziemlich attraktiv. Das Problem ist aber, wie mich andere Frauen sehen und behandeln.
Ich war schon als Kind dick, eigentlich mein ganzes Leben lang, mit Ausnahme von sechs Jahren zum Ende meiner Schulzeit und zu Beginn meines Studiums, als ich unter einer Essstörung litt. Während dieser Zeit fiel mir auf, wie gut mich die Leute behandelten – viel besser als davor, als ich noch dick gewesen war. Lehrer:innen, die mich schon vorher gekannt hatten, hörten mir plötzlich besser zu. Und obwohl ich ziemlich schnell (und gefährlich viel) abgenommen hatte, sagten mir meine Sport- und Biolehrer:innen, wie stolz sie auf mich seien – und das, obwohl sie uns im Unterricht von den Gefahren der Magersucht und Bulimie erzählten. Auf einmal schenkten mir Jungs, Mädchen, Männer, Frauen viel mehr Aufmerksamkeit. Was ich daraus lernte, war, dass mein Gewicht direkt mit meinem Wert als Person verknüpft war.
Jahrelang kämpfte ich alleine gegen meine Essstörung an, ohne Hilfe zu bekommen, weil viele Menschen nicht auf die Idee zu kommen scheinen, Schwarze Mädchen könnten auch daran erkranken. Solche Probleme werden meistens als „Weiße-Mädchen-Sorgen“ abgestempelt und mit einer Aufforderung à la „Reiß dich zusammen“ als erledigt abgehakt – insbesondere, wenn du ein dickes, Schwarzes Mädchen bist, das viele nicht gerne angucken. Sie ekeln sich vor dir. Es wäre ihnen lieber, wenn du weniger Raum einnehmen würdest. Also tat ich das. Und die einzige Person, die sich negativ über meinen Gesichtsverlust äußerte, war einer meiner älteren Brüder – der meine Mutter besorgt fragte, ob ich Krebs habe.
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In meinem letzten Jahr an der Uni fing ich dann wieder an zu essen. Ich nahm zu, hielt das Gewicht für ein paar Jahre, nahm dann wieder zu, nachdem ich das Rauchen aufgegeben hatte, und arbeite meist von zu Hause aus. Heute bin ich, was viele als „dick“, vielleicht sogar „fett“ bezeichnen würden.
Meine lesbische Identität machte mir meine Einstellung zu meinem Körper damals nicht leichter. Mit 12 outete ich mich als bisexuell, nachdem ich schon vorher jahrelang in Schweiß ausgebrochen war, wann immer eine wunderschöne Schwarze Frau in einem Musikvideo zu sehen war. Die ersten Lesben, mit denen ich in den Medien konfrontiert wurde, waren damals die tollen, ikonischen, größtenteils weißen und immer dünnen Frauen in The L Word. Immer, wenn ich mir diese Serie ansah, schoss mir durch den Kopf: Lesbisch? Kann ich nicht sein. Ich sehe ja nicht aus wie diese Frauen.
Was ich damals noch nicht wusste, war, dass dieses Bild der weißen, dünnen, oft auch wohlhabenden Lesbe ein ziemlich neues war. In Bilderreihen und -projekten, die das lesbische Leben der 70er und 80er darstellen, sieht man hingegen jede Menge Braune oder Schwarze Frauen. Irgendwie hat sich unser modernes Verständnis der „lesbischen Frau“ aber nicht über den von The L Word verbreiteten Stereotyp von 2004 hinausentwickelt. Mach mal die Augen zu und stell dir eine Lesbe vor. Denkst du jetzt an eine dünne, weiße Frau mit Holzfällerhemd und Beanie, die einen SUV fährt? Damit bist du nicht alleine. Tatsächlich wird uns allen dieses Bild seit Jahrzehnten von den Medien aufgetischt.
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Und leider bestimmt dieser immer noch verbreitete Stereotyp eben auch, wozu sich andere Lesben hingezogen fühlen. Der Glaube, heterosexuelle Frauen würden sich femininer, homosexuelle Frauen hingegen maskuliner kleiden, sorgt zum Beispiel dafür, dass viele junge lesbische Frauen ihren „Typ“ als „butch light“ bezeichnen – also „lernen“, auf Frauen zu stehen, die sich maskuliner anziehen. Und auch die Vorstellung, dass alle Lesben weiß und dünn seien, ist in der Popkultur überall zu sehen, was wiederum Lesben ausgrenzt, auf die das eben nicht zutrifft. Wenn die lesbischen Frauen, die wir in den Medien kennenlernen, aussehen wie Ellen Degeneres und Kristen Stewart, wird das natürlich auch zum „wünschenswerten“ Bild einer Lesbe. Ich will nicht behaupten, dass alle jungen Lesben in diese Falle tappen – viele tun es aber definitiv. Und was wird dann aus Schwarzen und Braunen homosexuellen Frauen? Die einfachste Antwort lautet: Dann lieben wir eben einander. In meiner Stadt zum Beispiel ist das aber eben nicht so leicht. Die Segregation ist hier stark ausgeprägt – und meine Dating-Optionen in der Nähe sind daher eben größtenteils weiß, meistens auch dünn. Es fällt mir schwer, Frauen zu treffen, die aussehen wie ich.
Während ich mein Aussehen zwar akzeptiert habe und ja auch weiß, dass es sehr wohl Leute gibt, die mich attraktiv finden, sind Dating-Apps für mich als dicke, Schwarze Frau mit viel Extra-Arbeit verbunden. Ich muss die Leute oft überzeugen, mich heiß zu finden. Klar kriege ich auch Dates, muss vorher aber oft viel Zeit in Ganzkörperfotos investieren, auf denen genau zu sehen ist, wie dick ich bin, damit sich niemand beim Treffen verarscht vorkommen kann. Manchmal muss ich in meinem Profil als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme sogar extra anmerken, dass ich dick bin.
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Als dicke Person zu daten, ist durch die Pandemie nur noch schwieriger geworden. Jetzt gerade Single zu sein, ist hart. Ich wünsche mir die Intimität und Nähe einer Partnerin – und wenn’s nur was Lockeres ist –, aber die zu finden, kostet mich viel Zeit und Energie. Noch dazu zerbrechen sich viele dünne und normalgewichtige Leute gerade den Kopf darüber, wie sie während dieser Zeit ja nicht zunehmen; dank all der Artikel, die betonen, wie wichtig es ist, während der Pandemie in Form zu bleiben. Es ist inzwischen gesellschaftlich akzeptabler denn je, laut auszusprechen, dass niemand aussehen möchte wie ich. Wenn sich unzählige Leute öffentlich und laut vor deiner Figur ekeln, belastet das dein Liebesleben, klar, aber dazu kommen eben auch noch alltägliche Probleme: Seit der Pandemie sind die meisten meiner Dates Spaziergänge mit Maske. In einer ziemlich hügeligen Stadt bedeutet das aber in meinem Fall auch schweres Atmen und viel Schweiß – und das ist… nicht unbedingt sexy.
Fatphobia, die negative Einstellung gegenüber Übergewichtigen, ist leider weit verbreitet, und es wäre naiv von mir, zu glauben, sie würde sich nicht auf mein Liebesleben auswirken. Das tut sie. Ganz egal, wie selbstbewusst ich meinen Körper betrachte – es gibt immer jemanden, der oder die geradezu darauf wartet, mir wegen meiner Figur ein schlechtes Gefühl zu machen. Zum Glück habe ich meine kleine Community dicker Babes, an die ich mich in dann wenden kann. Wann immer ich mich unsicher fühle, weil ich ein Date mit einer dünneren Person habe, reden mir diese Frauen gut zu und versichern mir, dass ich Liebe verdiene – und dass jede:r, der oder die was anderes behauptet, mich gar nicht verdient. Mit diesen Frauen kann ich über Essen, Sex, Dating und Diskriminierung reden. Wir verteidigen gegenseitig unsere Figuren und zeigen einander, dass wir geliebt werden und attraktiv sind. Zusammen fühlen wir uns sicher – in einer Welt, die uns Tag für Tag mit den Bildern dünner Körper und Werbung für Diäten oder Fitnessprogramme bombardiert.
Ich bin total gerne Single, werde aber auch leidenschaftlich weiterdaten. Mich jetzt zurückzunehmen, würde heißen, fatphobischen Leuten Macht über mein Liebesleben zu verleihen – und darauf habe ich absolut keinen Bock. Ich liebe es, neue Leute kennenzulernen, liebe diese Spannung vor einem ersten Kuss. Und für mein nächstes Date wünsche ich mir etwas Entspannteres – und weniger Verschwitztes – als einen hügeligen Spaziergang.
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