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Ich habe es satt, “exotisch“ genannt zu werden! 8 Latinx erzählen ihre Geschichte

Wie viele Latinx musste auch Luna Diaz, eine 21-jährige Verkäuferin aus New York, erst lernen, sich eine eigene Identität zu erschaffen – fernab des verbreiteten Stereotyps der kurvigen Cis-Frau mit dunklen Haaren, dunklen Augen und starkem Akzent. „Schon mein ganzes Leben werde ich von Weißen sexualisiert. Ich wurde schon gebeten, beim Sex Spanisch zu sprechen, und als “exotisch“ bezeichnet“, sagt sie. „Ich hasse dieses verdammte Wort!“
Und mit diesen Erfahrungen ist sie nicht allein. Eine Studie der USC Annenberg School of Communications and Journalism ergab, dass in 70 der 100 erfolgreichsten Filme von 2018 gar keine Latinxs vorkamen. Insgesamt machten sie nur rund fünf Prozent der Rollen der 1200 untersuchten Filme von 2018 aus, verglichen mit den 64 Prozent weißer Darsteller*innen. Zusätzlich war über ein Viertel aller gecasteten Frauen (nicht nur Latinx') entweder aufreizend gekleidet oder ganz nackt.
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Diese schädliche Form der Objektifizierung reduziert eine Person auf nur eine Eigenschaft, blendet jeglichen Individualismus aus und erhält damit eine Form des Fetischismus. Um dem etwas entgegensetzen zu können, haben wir acht Frauen*, die sich alle als Latinx identifizieren, gebeten, uns ihre Geschichte zu erzählen. Im Folgenden erklären sie in ihren eigenen Worten, wer sie wirklich sind.
Shenny Angeles, 22, Künstlerin
Ich weiß noch, dass mich meine afro-dominikanische Identität als Kind verwirrte. Ich wurde oft so etwas gefragt wie: „Warum ist deine Oma so dunkel?“ oder: „Warum hast du solche Haare?“. Mein Aussehen entsprach nicht dem Standard der Latinas, die mir in meiner Community und im Fernsehen begegneten. Wenn du dir Telenovelas ansiehst, haben dort alle Frauen helle Haut und langes, tolles Haar. Dabei spielen sie bloß eine von Männern geschriebene, gedrehte und produzierte Rolle – die „Sex“-Rolle –, von der ich früher glaubte, sie imitieren zu müssen. Mit 12 glättete ich also meine Haare, um mich hübsch zu fühlen und hoffentlich eines Tages „sexy“ genannt zu werden.
Mein Schwarzsein zu zelebrieren, fiel mir damals schwer. Meine Mama ist Dominikanerin, aber ihre Vorfahren kommen aus Westafrika. Durch die Kolonialisierung wurde ihr eingetrichtert, diesen Teil von sich selbst zu hassen. Sie ist Schwarzenhasserin und großer Fan von Trump. Als ich 15 war, beschloss ich, meine eigene Identität auszuleben. Ich schnitt mir heimlich gut 15 Zentimeter meiner Haare ab, färbte mir blonde Highlights und war richtig stolz auf diesen Afro. Ich kann meine Mutter aber auch irgendwie verstehen; sie will eben einfach akzeptiert werden. Ihr geht es dabei ums Überleben. Manchmal frage ich mich aber: Wenn ihr nur eine einzige Person sagen würde, sie ist wertvoll, so wie sie ist, würde sie das verändern?
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Wer ich bin: Yo soy Afro-Latina – und daran würde ich um keinen Preis was ändern. Wenn mich die Gesellschaft nicht so akzeptiert, komme ich auch echt gut ohne sie klar.
Luna Diaz, 21, Verkäuferin
Ich bin Costa-Ricanerin und Dominikanerin, sehe aber überhaupt nicht aus wie meine Schwester, Cousins und Cousinen. Ich habe helle Haut, bin aber die Dunkelste auf beiden Seiten der Familie. Mir wurde gesagt, ich sähe wegen meiner Nase und meiner Körperbehaarung deutlich dominikanischer aus. Ich habe keine Ahnung, ob das stimmt, aber früher habe ich mich dafür gehasst. Als ich noch jünger war, habe ich mich immer überall rasiert – den Rücken, die Beine, Augenbrauen, Koteletten, Arme. Heute bin ich stolz auf meine Haare. Ich lasse sie wachsen.
Das erste Mal, dass ich mich selbst in jemand anderem wiedererkannte, war, als ich im ersten Jahr an der Uni von Frida Kahlo hörte. Sie hatte eine Monobraue – wie ich! Sie malte – wie ich! Sie war queer – wie ich! Sie war eine braunhäutige, haarige Feministin und ich entdeckte mich in so vielen ihrer Seiten. Ich hatte das Gefühl, sie sprach mich direkt an, wenn sie schrieb: „Ich dachte immer, ich wäre die seltsamste Person auf dieser Welt, aber dann dachte ich, es gibt so viele Leute auf der Welt, es muss also jemanden wie mich geben, der sich auf die gleiche Weise wie ich seltsam und fehlerhaft fühlt.“ Ich habe geheult wie ein Baby, als ich dieses Zitat zum ersten Mal las. Repräsentation ist so wichtig.
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Wer ich bin: Ich habe viele Facetten und bin intelligent. Mich nimmt man besser ernst. Ich bin genauso unaufhaltsam wie ein Raumschiff, das höher und höher fliegt, immer weiter.
Martine Gutierrez, 28, Artist
Ich bin Guatemaltek*in und Amerikaner*in. Früher war ich beleidigt, wenn man mich fragte, wo ich denn herkäme; ich dachte, dabei ginge es darum, mein Aussehen zu fetischisieren – vor allem, wenn die Frage von einem Mann kam. Die hielten das immer für eine flirty Art, mit mir ins Gespräch zu kommen, dabei ist das total oberflächlich und hat nichts damit zu tun, mich kennenzulernen. Normalerweise lasse ich sie dann raten. Ich wurde schon für jemand aus dem Nahen Osten, Ägypten, Südostasien und Kambodscha gehalten. Vielleicht, weil ich so groß bin oder wegen meiner dunklen Augen und Haare.
Mein Dad kam aus Guatemala hierher und ist ein echter Macho, also gab es ganz klar verteilte Geschlechterrollen bei uns zu Hause. Als Kind wurde mir dauernd gesagt, ich sei nicht männlich genug. Mein Aussehen und meine Gesten waren schon immer sehr feminin. Damals wurde ich als “Schwuchtel“ abgestempelt. Nachdem ich mich aber als trans geoutet hatte, feierten meine Freund*innen genau diese Eigenschaften. Wenn überhaupt wurde ich danach eher unter Druck gesetzt, mich auf der Seite der hyper-femininen Girly-Girls einzuordnen – obwohl die Gender-Identität, die ich für mich selbst geschaffen habe, nie heteronormativ war.
Besonders frustrierend und zäh läuft meine Transition im Umgang mit meinen Eltern. Mein Coming-out war zwar kein großer Schock für sie, weil ich als Kind schon ständig mit Kleid und Perücke durchs Haus rannte. Abgeschlossen ist das Ganze immer noch nicht – weder körperlich noch emotional.
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Wer ich bin: Ich bin Video Artist, Fotograf*in, Musiker*in und meine eigene Muse. Wenn ich mich vor einen Spiegel oder eine Kamera stelle, kann ich mich selbst besser erkennen.
Stefa Marín Alarcon, 28, Komponistin
Meine Eltern stammen aus Kolumbien, ich bin in New York aufgewachsen. Meine erste Beziehung führte ich mit einem weißen Cis-Mann, der ein Poster von Jennifer Lopez an der Wand hängen hatte. Er fragte mich, warum ich nicht aussah wie sie und schlug mir vor, engere Klamotten zu tragen, um meine “Kurven“ zu betonen. Heute zucke ich bei der Erinnerung daran zusammen – aber damals, als ich jung war und mich selbst noch nicht akzeptierte, stellte ich mir dieselben Fragen: Warum sehe ich eigentlich nicht aus wie J.Lo, der Inbegriff einer “Latina-Schönheit“? Ich schaute mir meine Tanten an, meine Mutter, meine Schwester und fragte mich, wo genau wir denn reinpassten.
Heute, in Zeiten von Body Positivity und als Teil einer Community, die queere Womxn und Femmes in all ihren Facetten akzeptiert, habe ich das Gefühl, die nächste Phase meiner persönlichen Freiheit zu beginnen. (Anmerkung der Übersetzerin: Genau wie bei Latinx gilt auch hier das “x“ als neutraler Marker. “Womxn“ steht für jede Form der weiblichen Identität.)
Ich habe immer noch mit Selbstzweifeln zu kämpfen, wie jede*r andere auch – aber heute ziehe ich an, worauf auch immer ich verdammt nochmal Bock habe und erlaube mir selbst, mich dabei gut zu fühlen, weil es mir gefällt. Niemand hat mir zu sagen, dass ich nur hautenge Leggings und Crop Tops anziehen sollte. Manchmal mache ich das zwar, aber ich fühle mich genauso empowered, wenn ich baggy Jeans, ein Oversize-Hemd und riesige Creolen trage. Meine Freiheit liegt darin, beides zu tun, ohne mich dafür rechtfertigen zu müssen.
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Wer ich bin: Ich bin eine Künstlerin. Ich bin Braun. Ich bin eine Womxn, Schwester, Tochter, Partnerin. Ich lerne und verlerne immer weiter. Ich bin dankbar für meine Ancestras, meine Vorfahrinnen.
Julia Mata, 24, Illustratorin
Ich habe meine Wurzeln in Zentralamerika und Litauen. Wenn mich jemand fragt: „Was bist du?“, antworte ich: „Das ist eine lange Geschichte“, denn es ist kompliziert. Meine Mutter ist eine weiße Jüdin; mein Vater ist salvadorianisch-honduranisch mit Lenca- und Pipil-Vorfahr*innen. Wenn man es ganz genau nimmt, bin ich halb-adoptiert. Ich wuchs bei meiner Mutter auf und wurde, als ich fünf war, von ihrem zweiten Mann adoptiert, der ebenfalls weißer Jude ist. Auf meiner Geburtsurkunde wurde diese Adoption vermerkt und mein Name offiziell geändert. Das hat während meiner Jugend für viel Verwirrung gesorgt – als PoC mit sehr weißem Namen, die in einer weißen Nachbarschaft in Südkalifornien lebt.
Als kleines Kind konnte ich vieles an mir nicht leiden – meine Haare, die Form meiner Augenbrauen, allgemein meine ganze Körperbehaarung. Verglichen mit weißen Mädchen fand ich das nicht hübsch. Mit 18 zog ich von zu Hause aus und lernte die andere Hälfte meiner Familie neu kennen. Als ich sie traf – Braune Menschen, die tatsächlich aussahen wie ich –, sah ich mich selbst zum ersten Mal und erkannte die Schönheit in meinem Aussehen.
Wer ich bin: Ich bin Illustratorin. Schon seit Langem bin ich auf der Suche nach mir selbst – und lerne noch immer, mich mit all meinen verschiedenen Seiten zu akzeptieren.
Andrea Cruz, 29, Video Editor
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Ich bin Mexikanerin – gleichzeitig aber auch Chicana, denn ich bin in den USA aufgewachsen und identifiziere mich mit beiden Ländern. Ich wuchs in einer innerstädtischen Nachbarschaft auf, bis ich mit meinen Eltern in eine weiße Gegend in L.A. zog. Dort war ich eines der wenigen Poc-Mädchen der Schule. Schon im Kindergarten wurde ich mir meines Latinx-Aussehens bewusst, und meine erste Assoziation damit war Schmerz. Als ich fünf war, zog mir meine “Freundin“ in der Pause an den Locken. Sie hatte wunderschönes, volles, glattes Haar und als es passierte, war ich so schockiert, dass ich mich erst mal nicht bewegen konnte. Zum Glück brachte mich diese Erfahrung nicht dazu, meine Haare abzuschneiden oder zu glätten – doch was es hinterließ, war ein extrem starkes Bewusstsein dafür, wie mich andere wegen meines Aussehens behandelten.
Da half es auch nicht, dass die Gesellschaft für Film und Fernsehen diesen sexualisierten Stereotyp einer Latina erschuf: enge Klamotten, alles sehr körperbetont. Ich habe schon seit ich elf bin Kurven und eine lange Lockenmähne. Ich wuchs in einer Stadt am Meer auf, also waren unsere Körper andauernd auf dem Präsentierteller – meine Kurven konnte ich nicht verstecken. Ich fange gerade erst damit an, mit meiner Sexualität umzugehen und den Mund aufzumachen, wenn ich mich objektifiziert fühle.
Wer ich bin: Ich bin ein Mensch. Letztlich ist das doch der Kern des Ganzen. Sich nicht mexikanisch oder amerikanisch genug zu fühlen – im Grunde sind wir alle Menschen, und das ist es, was zählt.
Vianca Lugo, 25, Rezeptionistin
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Ich bin Puerto-Ricanerin. Meine Eltern kommen aus Puerto Rico, deren Eltern kommen aus Puerto Rico. Ich bin bei meiner Mutter aufgewachsen; sie war alleinerziehend. Als ich klein war, zogen wir in eine vorrangig weiße Gegend im Norden von New York. Eines Tages kam ich nach Hause und fragte: „Mama, warum redet hier niemand wie wir?“. Danach hörte ich auf, Spanisch zu sprechen. Dadurch habe ich heute das Gefühl, keine richtige Beziehung zu meinem eigenen Volk aufbauen zu können. Deswegen wurde ich schon „falsche Puerto-Ricanerin“ genannt und das tut weh. Denn ich fühle mich eindeutig als Latina – das liegt mir einfach im Blut.
Ich identifiziere mich aber auch als jemand, der als weiß durchgeht und erkenne das damit eingehende Privileg an. Für mein Quasi-Weißsein wurde ich schon gelobt. Manchmal höre ich sowas wie: „Du bist nicht wie andere hispanische Frauen“ oder: „Du klingst gar nicht wie jemand aus der Bronx.“ Seit ich denken kann, fällt mir immer wieder auf, dass schon die kleinste Veränderung – wenn ich Creolen trage, wenn ich die Baby-Haare am Ansatz ins Gesicht kämme, wenn ich Slang benutze – beeinflusst, wie ich auf andere wirke.
Früher habe ich mein Anderssein betont. Ich habe versucht, andere davon zu überzeugen, dass ich eine echte Puerto-Ricanerin bin. Diese Latinx-Stereotypen rauben mir aber meine freie Wahl, meine Vielseitigkeit, meine Menschlichkeit, meine Queerness. Solche Stereotypen sind aber so allgegenwärtig, dass ich mich oft frage, wie viel meiner Persönlichkeit eigentlich von mir selbst kommt – unabhängig von dem, was andere von mir erwarten.
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Wer ich bin: Ich bin dabei, es herauszufinden.
Ximena Izquierdo Ugaz, 26, Jugendarbeiterin
Ich wurde in Lima geboren, bin also Peruanerin. Die Familie meines Vaters kommt aus dem Amazonas-Gebiet, die meiner Mutter aus den Anden. Diese beiden Kulturen (Charapx und Andisch) haben mich von Grund auf geformt – von der Musik, die ich höre, bis zum Essen, das ich mag. Ich bin in Schwarzen und Braunen Gegenden in Miami aufgewachsen, also machen auch diese Erfahrungen aus, wer ich bin – das nicaraguanische Essen bei Fritangas und die Pastelitos, die mein damaliger kubanischer Stiefvater gerne aß, die Domino-Spiele, das Tanzen zu Bachata, Reggaeton und Südstaaten-Hip-Hop.
Weiße Leute denken oft fälschlicherweise, ich will mit ihnen auf Spanisch reden oder mit ihnen tanzen. Oder, dass sie sich frei aus meiner Kultur bedienen können. Nicht nur unsere Körper werden fetischisiert – auch unsere Musik, unsere Ästhetik, sogar unsere Probleme. Viele der Dinge, die sie sexy und süß finden, rühren von der Armut, dem Genozid, der Sklaverei und dem Trauma von Diktaturen her. Jeden Tag versuche ich, mehr darüber zu lernen, aber es geht nur langsam voran. Erinnerungen verblassen und nicht jeder aus meiner Familie will über sowas sprechen. Ihnen ist nur die Zukunft wichtig, nicht das Stochern in der Vergangenheit.
Wer ich bin: Ich bin eine queere Afro-Andisch-Peruanerin. Ich bin Immigrantin. Ich bin Künstlerin und Poetin. Ich bin Kuratorin. Ich bin dabei, zu wachsen.

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