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„Trans“ heißt nicht „dünn“: Meine komplexe Identität als dicke trans Person

Foto: bereitgestellt von Quenby.
Quenby.
Wie es sich anfühlt, trans zu sein, lässt sich mitunter am leichtesten mit Genderdysphorie ausdrücken. Dieser Begriff beschreibt das Gefühl vieler trans Menschen, „im falschen Körper geboren“ worden zu sein – das Wissen, wer wir sein sollten, weil sich unser Körper einfach nicht „richtig“ anfühlt.
In Geschichten rund um diese Dysphorie hört man oft davon, dass sich trans Frauen mit ihren Genitalien, ihrer Gesichtsbehaarung und ihrer fehlenden Oberweite unwohl fühlen, was sie schließlich erkennen lässt, wer sie wirklich sind. Ein Grund für die weite Verbreitung dieser Vorstellung ist ihre Einfachheit. Wie viele vermeintlich einfache Erklärungen lässt aber auch diese vieles außen vor.
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Denn obwohl diese trans Erfahrung sicher in vielen Fällen der Realität entspricht, ist sie bei weitem nicht universell. Nicht jede trans Person leidet unter Genderdysphorie – und manche, die dieses Gefühl doch kennen, sehen es vielleicht gar nicht als großen Teil ihrer Identität. Zahlreiche trans Menschen müssen neben ihrer Genderidentität auch noch diverse Erkrankungen oder Traumata bewältigen. Und einige dieser Erkrankungen oder Traumata sorgen womöglich dafür, dass Betroffenen schon von klein auf vermittelt wird, sie sollten ihren Körper hassen.
Als dickes Kind wurde mir schon früh eingetrichtert, dass mein Körper „falsch“ sei. Der Glaube, Dicksein sei nicht bloß ungesund, sondern schlecht, ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Es gilt als moralisches Versagen, das den Ekel und Spott rechtfertigt, den Menschen abbekommen, die aussehen wie wir.
Der:die dicke nicht-binäre Cammy (23) erzählt, er:sie sei immer schon „unsicher wegen meinem Gewicht gewesen, weil meine Familie eine extrem ungesunde Besessenheit rund um das Thema ‚Gesundheit‘ entwickelt hat“. 
Die Message, wir dicken Menschen sollten uns für unsere Körper schämen, sie hassen und versuchen, sie zu „verkleinern“, gilt inzwischen als völlig normal. Fatphobia – die Diskriminierung dicker Menschen – ist so ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft, dass wir sie jeden Tag in den Medien präsentiert bekommen. Dicke Menschen werden dort entmenschlicht, unsere Unsicherheiten von der Gesundheits- und Wellness-Branche ausgeschlachtet. Dazu kommt, dass uns die Medizin so oft im Regen stehen lässt.
Foto: bereitgestellt von Triztan.
Triztan.
Triztan (32), eine dicke genderfluide trans Person, bekam das schon als Kind zu spüren. Triztan erzählt, dass seine:ihre Mutter schon ihre Gewichtsprobleme auf ihn:sie projizierte, als er:sie etwa sechs Jahre alt war. Mit zehn Jahren setzte Triztans Mutter ihn:sie dann auf „ziemlich extreme Diäten… wie Saftkuren“. 
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Mit dieser Erfahrung ist Triztan nicht allein. Es gibt Studien, die vermuten, dass rund 80 Prozent aller Mädchen mit zehn Jahren schon mal eine Diät machen mussten. 

Es war nicht Schmerz, der mich schließlich einsehen ließ, trans zu sein – sondern Freude. Als ich zum ersten Mal einen Rock anzog, stand meine Welt plötzlich Kopf.

Quenby
Rückblickend weiß ich, dass ich unter Genderdysphorie litt, lange bevor ich wusste, was „trans“ überhaupt bedeutet. Mein Körper kam mir quasi schon immer zutiefst falsch vor. Als ich in die Pubertät kam, verstärkte sich dieses Gefühl noch zusätzlich.
Als meine Stimme tiefer, meine Schultern breiter wurden, hatte ich den Eindruck, in einem Anzug aus Fleisch gefangen zu sein, der sich von Tag zu Tag unbequemer und fremder anfühlte. Als sich Cammy Fotos aus der eigenen pummeligen Teenagerzeit ansieht, meint er:sie: „Ich hatte ein extrem verzerrtes Körperbild. Ich dachte damals, ich sei total dick. Meine chronischen Schmerzen, die in der Pubertät anfingen, trugen dazu vermutlich bei.“ Obwohl Cammy heute eine viel bessere Beziehung zum eigenen Körper entwickelt hat, betont er:sie dennoch: „Es dauerte definitiv sehr lange, um meine damalige Einstellung zu meinem Körper abzubauen – sowie den Ableismus, der darin mitschwang.“
In meinem Fall sorgte dieses Unwohlsein in meinem eigenen Körper nicht dafür, dass ich erkannte, trans zu sein. Als dicker Mensch hatte ich schließlich verinnerlicht, dass ich mich ja sowieso vor meinem Körper ekeln sollte; die Vorstellung, mich je in meiner eigenen Haut wohl zu fühlen, kam mir lachhaft vor. Es war nicht Schmerz, der mich schließlich einsehen ließ, trans zu sein – sondern Freude. Als ich zum ersten Mal einen Rock anzog, stand meine Welt plötzlich Kopf. Das seidige, unvertraute Schwenken vom Stoff, wenn ich meine Hüfte schwang, war mir komplett unvertraut.
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Das war mein erster Eindruck von Gendereuphorie – dem Gefühl, mich nicht nur in meinem trans Körper wohl zu fühlen, sondern mich auch an ihm zu erfreuen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich meinen Körper immer nur als Quelle der Scham und des psychologischen Unwohlseins betrachtet. Dieser Moment, in dem ich ihn zum ersten Mal als Anlass zur Freude empfand, änderte alles für mich. Auf dieses erste Erlebnis der Gendereuphorie folgten weitere, und während ich dieser Spur aus glücklichen Brotkrumen folgte, erschuf ich mir ganz allmählich eine Identität – einen Style, in dem ich mich wirklich wie ich selbst fühlte.
Natürlich ist es nicht immer leicht, diese Gendereuphorie zu entdecken, vor allem in einer Gesellschaft (und Modebranche), die dicke Menschen häufig ausgrenzt. Während Triztan an seine:ihre Jugend zum Höhepunkt der Emo-Subkultur zurückdenkt, sagt er:sie: „Ich glaube, ich war damals ziemlich neidisch auf meine dünnen Freundinnen, die [durch die Emo-Trends] ziemlich jungenhaft aussehen konnten.“ In gewisser Art hat Triztan damit bis heute ein Problem. Als jemand, der:die sich gern gut kleidet, „ist es schwieriger, passende Klamotten zu finden, die dich androgyn aussehen lassen, wenn du dicker bist“.
Foto: bereitgestellt von Cammy.
Cammy.
Auch Cammy fällt es manchmal schwer, sich mit seinem:ihrem Gender wohl zu fühlen. Er:sie sagt: „Meine Dysphorie leidet manchmal unter meiner Fluidität. Dann fühle ich mich gleichzeitig schlecht dafür, zu femme und zu butch auszusehen. Meine Oberschenkel und Brüste wirken feminin, mein Bauch und meine Arme eher maskulin.“ 
Leider bietet die LGBTQ+-Community dicken trans Menschen auch nicht immer den sicheren Rückzugsraum, den sie sich wünschen. Abgesehen von der Fatphobia, die für viele dicke queere Leute weiterhin ein Problem ist, müssen dicke trans Personen auch noch weitere Hürden bewältigen. Triztan meint, dass es als dicke trans Person deutlich schwieriger ist, die eigene Genderidentität auch nach außen hin so zu erweitern oder zu ändern, dass das auch für das eigene Umfeld erkennbar ist. „Ich werde beinahe ausschließlich als ‚weiblich‘ gelesen.“
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Ich persönlich habe feststellen müssen, dass dicke trans Menschen anderen gesellschaftlichen Standards entsprechen müssen als dünne. Selbst innerhalb der trans Community wurde ich schon dafür kritisiert, dass ich Kleidung trage, die meine Figur in Szene setzt – wohingegen andere genau dafür Applaus ernten. Cammy kennt das ebenfalls. In queeren Communitys „sehen mich scheinbar weniger Leute als trans [verglichen mit dünneren trans Menschen]… vor allem im Kontrast zur typischen androgynen, haarlosen, dünnen Person, die viele Leute als Aushängeschild der nicht-binären Identität betrachten.“
Angesichts all dessen empfinde ich dicke, queere Freude als fast schon radikal. Es zeugt von Stärke, sich nicht gegenüber einer Kultur zu beugen, die sich wünscht, es gäbe dich gar nicht. Dicke trans Menschen, die sich weigern, sich für sich selbst zu schämen, brechen dadurch mit so vielen Gender- und Schönheitsstandards; ich habe enormen Respekt vor allen von uns, die sich das trauen. Wie Triztan sagt: „Die Welt will, dass du dich unattraktiv fühlst. Es braucht extrem viel Stärke, dich dagegen aufzustemmen.“
Natürlich ist es keine Lösung für ein systemisches Problem, mich ganz allein über meinen dicken trans Körper zu freuen und mich in ihm wohl zu fühlen. Dadurch werde ich dicke trans Menschen nicht vor der Diskriminierung bewahren können – ob nun seitens der Gesellschaft, der Modeindustrie oder der Medizin. Aber vielleicht ist es ein erster wichtiger Schritt.

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