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Umweltschädliche Fast Fashion ist oft die einzige Plus-Size-Option

Foto: Renell Medrano.
Wenn du dir die size-inclusive Modebranche mal nur in Zahlen ansiehst, könntest du schnell den Eindruck bekommen, das Shoppen als Plus-Size-Person sei heute einfacher und zugänglicher als noch vor einem Jahrzehnt. Und oberflächlich stimmt das auch: In den letzten zehn Jahren hat sich das Angebot in den Größen L bzw. 44 und aufwärts exponentiell vergrößert und ist noch dazu immer preisgünstiger geworden – insbesondere im Fast-Fashion-Bereich. (Außerdem gibt es auch immer mehr kleinere, unabhängige Brands, die jede erdenkliche Mode-Nische füllen, von Abendgarderobe über Workwear bis hin zu Sportklamotten.) Die Modebranche hat es dahingehend weit gebracht, das lässt sich nicht leugnen. Aber obwohl es heute zwar jede Menge Plus-Size-Optionen von Fast-Fashion-Labels gibt, sucht man nach nachhaltigen Size-Inclusive-Marken oft lange.
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Dass Fast Fashion nicht nur für die Umwelt, sondern auch für ihre Kleidermacher:innen oft wahnsinnig schlecht sein kann, ist kein Geheimnis. Inzwischen gibt es auch zahlreiche Anti-Fast-Fashion-Brands und -Kampagnen, die genau darauf aufmerksam machen wollen. Weil sich demnach immer mehr Konsument:innen mit dem Thema auskennen, ist es mittlerweile ganz normal geworden, dass Influencer:innen und Promis dafür kritisiert werden, wenn sie Fast Fashion kaufen oder dafür werben. Und natürlich sollten wir alle daran arbeiten, unsere eigene CO2-Bilanz zu reduzieren – aber ist es wirklich fair, ebenfalls von allen zu verlangen, nur von nachhaltigen Marken zu kaufen, wenn über 60 Prozent der Frauen in der nachhaltigen Fashion-Bewegung größentechnisch überhaupt nicht repräsentiert werden?
Sehen wir uns die verfügbaren Optionen doch mal genauer an. Ethische und „slow fashion“ machen von vornherein einen kleineren Marktanteil aus – was zwangsläufig dazu führt, dass es darin verglichen mit regulären (oder „straight-sized“) Größen nur sehr wenige Plus-Size-Optionen gibt. Wenn du dann nach Kleidung in Größe 50 und aufwärts suchst, kannst du die Labels, die diese anbieten, vermutlich an zwei Händen abzählen. Und dann musst du auch noch deren Preisklasse berücksichtigen – mal ganz abgesehen von der Frage, ob dir die Klamotten dieser Labels überhaupt gefallen.
Die Autorin und Fotografin Marielle Elizabeth arbeitet schon seit Jahren in der ethischen Plus-Size-Branche und findet, dass Plus-Size-Konsument:innen nicht denselben Nachhaltigkeits-Erwartungen wie Straight-Size-Konsument:innen entsprechen sollten, da es für sie schließlich erst seit wenigen Jahren eine tatsächliche, vielseitige, size-inclusive Style-Auswahl gibt. Insbesondere für Menschen mit Kleidergröße 54 und aufwärts ist es überhaupt erst seit rund fünf Jahren möglich, in mehr als ein, zwei Läden zu shoppen. „Ganz egal, ob wir von ethischer oder Fast Fashion reden: Plus-Size-Träger:innen können erst seit ein paar Jahren halbwegs modische Klamotten in ihrer Größe kaufen“, erzählt sie Refinery29. „[Viele] Plus-Size-Personen sind daher gerade erst dabei, ihren eigenen Style und Geschmack zu entwickeln.“
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Ihnen dann ein schlechtes Gewissen dafür einzureden, dass sie von einer großen Modekette kaufen, die endlich auch Kleidung in ihren Größen anbietet, wäre unfair. Vor allem, da das Leben in einem dicken Körper häufig auch bedeutet, nicht nur beim Shoppen ausgegrenzt zu werden. „Es ist gründlich belegt, dass dicke Menschen oft weniger verdienen und weniger berufliche Möglichkeiten bekommen“, betont Elizabeth. „All das führt zusammen dazu, dass es meiner Meinung nach deutlich schwerer für Plus-Size-Menschen ist, sich ethische Mode überhaupt leisten zu können.“
Und das ist wahr: Obwohl das Wort „ethisch“ im Bezug auf Mode zwar inzwischen zu einem beinahe leeren Schlagwort geworden ist, beschreibt es eigentlich Labels, deren Lieferkette sich nachverfolgen lässt und deren Angestellte unter sicheren, fair bezahlten Arbeitsbedingungen arbeiten. Das bedeutet, dass ethische Mode oft deutlich mehr kostet als Fast Fashion, in der Angestellte häufig unterbezahlt werden. Kurz gesagt: Nachhaltige Mode kostet mehr Geld – und das kann für Konsument:innen aus Randgruppen eine unüberwindbare Zugangsbarriere sein. Natürlich kann man Kleidung auch aus zweiter Hand kaufen (was nicht bloß günstiger ist, sondern Klamotten auch davor bewahrt, auf irgendwelchen Müllhalden zu verrotten), aber auch hier spielt die Kleidergröße eine einschränkende Rolle

Als jemand in der Plus-Size-Fashion-Community stresst es mich immer, die Brands zu verlinken, die ich trage, wenn der Großteil davon Fast Fashion ist. Die Wahrheit ist aber: Was anderes habe ich nicht.

Der Plus-Size-Fashion-Experte Gianluca Russo hat gemischte Gefühle, wann immer er auf seinen Social-Media-Kanälen Fast-Fashion-Brands auf seinen Fotos taggt. „Als jemand in der Plus-Size-Fashion-Community stresst es mich immer, die Brands zu verlinken, die ich trage, wenn der Großteil davon Fast Fashion ist. Die Wahrheit ist aber: Was anderes habe ich nicht“, erzählt er. „Als Plus-Size-Mann ist meine Klamottenauswahl absolut furchtbar.“
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Obwohl Russo die Brand-Namen häufig nur zähneknirschend verrät, ist ihm das noch immer lieber als die Alternative, sagt er – nämlich, den Mitgliedern seiner Community gar keine Ressource zu bieten. „Wenn wir unsere ohnehin schon wenigen Optionen auch noch verschweigen, tun wir damit denen keinen Gefallen, die nach Inspiration und Anleitung suchen.“ Noch dazu würde dadurch der Eindruck entstehen, die große Veränderung sollte vor allem bei den Konsument:innen selbst beginnen, anstatt bei den Brands oder Regierungen, die diese Industrie regulieren (sollten). 
Bis das geschieht, meint Elizabeth, dass sie gern mehr Menschen für die Nachhaltigkeits-Bewegung gewinnen will, anstatt potenzielle Interessent:innen zu vergraulen. „Im Zusammenhang mit ethischer und nachhaltiger Fashion stelle ich mir immer wieder die Frage: Wie machen wir das Ganze zugänglicher? Wie ermutigen wir die Leute dazu, mitzumachen? Wie verhindern wir, dass daraus ein Wettbewerb darin wird, wer sich am ethischsten verhält? Das hängt nämlich so stark von finanziellen Privilegien ab“, sagt sie. „Ich finde, dazu ist es die falsche Herangehensweise, Influencer:innen zu verteufeln, die anderen Leuten ein besseres Körpergefühl und Selbstbewusstsein im Umgang mit Mode geben.“
Noch dazu, betont sie, muss der bewusste Konsum keine Alles-oder-nichts-Erfahrung sein, solange du es dir noch gar nicht leisten kannst, immer nur nachhaltig zu kaufen. Jede kleine Veränderung kann einen Unterschied machen – zum Beispiel, indem du anstatt mehrere Fast-Fashion-Klamotten ein einzelnes, hochwertiges Piece kaufst, an dem du lange deine Freude hast. Selbst eine kleine Umstellung – wie andere Waschgewohnheiten oder das Reparieren von kaputten Kleidungsstücken – kann sich positiv auf die Umwelt auswirken, meint Elizabeth.
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„Wir versuchen immer wieder, von den Leuten 100 Prozent zu verlangen, anstatt alle zu 10 Prozent zu motivieren“, sagt sie. „Und darüber denke ich im Umgang mit Plus-Size- und ethischer Mode häufig nach: Wie bekomme ich jemanden, der:die noch nie ein ethisch produziertes Kleidungsstück gekauft hat, zu einem ersten solchen Kauf?“ Du weißt nicht, wo du anfangen sollst? Dann folg doch erstmal ein paar Creators wie Elizabeth, die regelmäßig über Slow-Fashion-Brands und -Ressourcen postet. Denn ja, es gibt ethische size-inclusive Brands!

Ich finde, es sollte unser aller Ziel sein, weniger zu konsumieren und besser zu kaufen. Gleichzeitig sollte unser Blick auf ethische, nachhaltige und Slow Fashion auch berücksichtigen, dass uns auf dem Weg dahin ganz individuelle Hürden bevorstehen.

Sollten mehr vermeintlich ethische Anti-Fast-Fashion-Labels ihr Größenangebot erweitern? Auf jeden Fall. Aber selbst wenn jede Slow-Fashion-Brand auch Übergrößen anbieten würde, bleibt es nach wie vor eine Tatsache, dass die meisten Plus-Size-Konsument:innen an das Shoppen mit einem ganz anderen Style und anderen Erfahrungen herangehen als Straight-Size-Kund:innen. Das wird sich leider nicht ändern, solange dicke Menschen weiterhin diskriminiert und benachteiligt werden. 
Wie Elizabeth sagt: „Ich finde, es sollte unser aller Ziel sein, weniger zu konsumieren und besser zu kaufen. Gleichzeitig sollte unser Blick auf ethische, nachhaltige und Slow Fashion auch berücksichtigen, dass uns auf dem Weg dahin ganz individuelle Hürden bevorstehen – abhängig von Körpergröße, Gender, Be_hinderung oder Hautfarbe, zum Beispiel.“
Vielleicht macht sich die Modeindustrie zu diesen Unterschieden irgendwann einmal wichtige Gedanken – und leitet endlich die Veränderung in die Wege, die wir uns so dringend wünschen.
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