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Ich habe keine Lust auf Sex mehr – liegt es an meinem ADHS-Medikament?

Willkommen bei Can We Talk?, der Sex- und Beziehungskolumne, die deine brennendsten Fragen rund um Sex, DatingBeziehungen und Trennungen beantwortet, die du deinen Partner:innen ungern stellen möchtest – oder auch deinen Freund:innen. Diesmal hilft die Beziehungstherapeutin Moraya Seeger DeGeare einer Person, deren ADHS-Medikament ihre Libido zu beeinträchtigen scheint.
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Liebe Moraya,
ich bin jetzt seit fünfeinhalb Jahren mit meiner Partnerin zusammen und nehme seit etwa zweieinhalb Jahren ein ADHS-Medikament. Vor diesem Medikament hatte ich einen starken Sexualtrieb. Der Unterschied zu jetzt fiel mir vor circa drei Monaten zum ersten Mal auf: Ich glaube, dass meine ADHS-Medikamente meine Libido drastisch gesenkt haben.
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Meine Partnerin und ich versuchen, rund einmal pro Woche Sex zu haben. Wenn wir mal eine „Dürre“ durchmachen, probieren wir es meist mit nacktem Kuscheln ohne sexuelle Erwartungen. Mein Körper reagiert aber auf gar nichts mehr sexuell. Ich habe bisher nicht mit meiner Ärztin drüber gesprochen; das mache ich aber definitiv noch.
Meine Partnerin geht wirklich super damit um. Sie macht mir mit dem Sex keinen Druck und versteht, was los ist. Sie redet mir nie ein schlechtes Gewissen ein, wenn ich gerade nicht in der Stimmung bin – aber mir fehlt unsere körperliche Intimität. Meine Partnerin glaubt, meine fehlende Libido könnte eher an meiner Therapie liegen (in der ich meine Traumata bewältige und mein inneres Kind heile, dieses ganze tiefgründige Zeug) als an meinen Medikamenten. Ich bin mir da aber nicht sicher, weil meine Therapeutin und ich uns mit diesen Themen erst seit rund einem Monat beschäftigen.
Ich will Sex haben wollen, kriege aber weder meinen Körper noch meinen Kopf dazu, sich irgendwie sexy, geschweige denn geil zu fühlen. Das ist seltsam, weil ich total auf meine Partnerin stehe und in sie verliebt bin. Diese Gefühle kann ich aber mithilfe von körperlicher Intimität nicht so ausdrücken, wie ich es gern würde. Hast du irgendeinen Rat für mich, um meine Lust zurückzuholen, ohne dabei meine mentale Gesundheit zu opfern?
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Moraya Seeger DeGeare: Wer gerade an der eigenen inneren Heilung arbeitet – ob nun durch Medikamente, eine Therapie, spirituelle Arbeit oder alles auf einmal –, wird Gefühle daraufhin zwangsläufig anders verarbeiten und die Welt mit anderen Augen sehen. Du lernst dabei nicht nur dein neues, (bald) geheiltes Ich kennen, sondern entdeckst auch innerhalb von Beziehungen neue Seiten an dir. Das beeinflusst eben auch den Sex und die Lust. Wenn wir zur Bewältigung von ADHS-Symptomen Medikamente einnehmen, sorgen die häufig dafür, dass das Leben von „überwältigend“ zu „ruhig“ umschaltet. Diese innere Stille kann für Menschen mit traumatischen Erfahrungen verstörend sein. Manche deiner ADHS-Symptome waren vielleicht die Art deines Körpers, mit deinen Traumasymptomen umzugehen. Diese Symptome haben sich womöglich im Laufe deines Lebens gegenseitig beeinflusst und miteinander vermischt.
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Weil du gerade einen neuen Blick auf die Welt entwickelst, ändert sich auch, wie du mit dir selbst sprichst und dir deiner körperlichen Empfindungen bewusst bist. Du verknüpfst Gehirn und Körper jetzt ganz neu miteinander – und wenn du in der Vergangenheit traumatische Erfahrungen gemacht hast, kennst du das Gefühl, Körper und Geist seien nicht miteinander verbunden, vermutlich zu gut. Diese neuen Erkenntnisse solltest du nicht als Nebenwirkungen der Medikamente betrachten, sondern als Chance darauf, dein neues Ich in deinem heilenden Körper kennenzulernen.
Starke emotionale Veränderungen entstammen meist mehreren Faktoren. Es könnte eine Nebenwirkung der Medikamente sein; oder ein Bewältigungsmechanismus deines Körpers, während du dich mit deinen Traumata auseinandersetzt; oder unausgesprochene Dinge in deiner Beziehung. Auch Schönes und Positives muss ausgesprochen werden; behaltet ihr es jeweils für euch, kann das dafür sorgen, dass eine Kluft zwischen euch entsteht. Vielleicht fühlst du dich dank deiner Medikamente jetzt weniger von deinen Gefühlen überfordert. Dennoch bist du ihretwegen womöglich gezwungen, ganz offen darüber zu sprechen, was dich wirklich heiß macht – vor allem, wenn sich manche deiner Empfindungen aufgrund der Medikamente inzwischen weniger intensiv anfühlen.
Du solltest dir auch überlegen, wieso dir die Stille in deinem Kopf eventuell unangenehm ist. Das Ziel deiner Medikamente ist ein Gefühl der Ruhe und inneren Ordnung; vielleicht hast du dich noch nicht daran gewöhnt, dass du daher nun auch beim Sex einen klareren Kopf hast als früher. Ich weiß, dass sich das albern anhört. Wenn du Sex aber eben anders kennst, kann das eine starke Wirkung auf dich haben.
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Die Lust ist ein intensives Gefühl, das auch überwältigend sein kann. Es verbindet Körper und Geist, lässt Realität und Fantasie miteinander verschwimmen, wird oft durch körperliche Stimulation ausgelöst und von starken Emotionen begleitet. Diese Lust fühlt sich für dich jetzt aber womöglich ganz anders an, weil du sie auf völlig neue Art entdeckst.
Überlege dir, inwiefern dein ADHS und seine Symptome jeden deiner Lebensbereiche beeinflusst haben – von der Arbeit über die Bildung bis hin zu Freundschaften, romantischen Beziehungen und deinem Sexleben. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse könnten Tränen, Scham, aber auch ein Verständnis dazu mit sich bringen, wie du in manchen Lebensbereichen bisher vielleicht überfunktioniert hast. Die Tatsache, dass du überhaupt erst zu Medikamenten gegriffen hast, lässt mich vermuten, dass dich dein ADHS enorm beeinträchtigt hat. Zusätzlich zu seinen negativen Auswirkungen solltest du aber auch die Stärken anerkennen, die dein Gehirn daraus gewonnen hat. Vielleicht warst du beim Sex extrem fokussiert und hast dich dadurch nie so leicht dabei ablenken lassen; oder womöglich waren es, im Gegenteil, gerade die ganzen Ablenkungen, die den Sex für dich so stimulierend machten. Vielleicht bist du ein Mensch, der in intimen Momenten schnell tiefe Gefühle empfindet, die dich anmachten und dir jetzt leider fehlen. Erkunde deine Gefühle – zum Beispiel in Form von Tagebuchschreiben, Gesprächen mit deiner Partnerin und/oder deiner Therapeutin, um herauszufinden, welche tiefliegenden Probleme hier eine Rolle spielen könnten.

Euch den Druck zu nehmen, bedeutet nicht, euch die Lust zu nehmen. Ihr löst euch dadurch lediglich von euren Erwartungen und entdeckt neue Möglichkeiten, euch selbst und einander wieder näher zu kommen.

Moraya Seeger Degeare
Es ist wichtig, dir selbst Zeit zu geben, um dir einen sicheren Raum zu schaffen, in dem du Körper und Geist wieder miteinander vereinen kannst. Indem du deinen Fokus von der sexuellen „Performance“ hin zur Neugier verlagerst, ermöglichst du der Lust einen neuen Zugang zu deinem Leben. Wie kannst du deinen Körper genießen – mit all seinen einzigartigen Gedanken, Energien und neuen Bedürfnissen? Es kann frustrierend sein, zu erkennen, dass sich deine Bedürfnisse womöglich verändert haben und die Strategien, die früher funktionierten, heute nicht mehr reichen – vor allem, wenn du dir die körperliche Verbindung zu deiner Partnerin und das Erleben körperlicher Lust so sehr wünschst.
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Eine deiner größten aktuellen Herausforderungen ist die Balance zwischen „Grübelei“ und „wichtige Fragen“: Wo hört Nachdenken auf, und wo fängt Besessenheit an? Das fällt vielen von uns schwer. Vielleicht erkennst du, dass du nicht – so wie früher – alle Antworten auf deine Fragen kennst, und erkunden solltest, wie dein Körper hier und jetzt auf bestimmte Stimuli reagiert. Eventuell hilft es dir gerade gar nicht, es mit alten Strategien zu versuchen. Stattdessen kann es nützlich sein, zusammen mit deiner Partnerin eine Liste zu erstellen: Welche neuen Fantasien würdet ihr gern gemeinsam ausprobieren? Bevor ihr anfangt, diese Liste abzuarbeiten, solltet ihr aber klären, ob ihr auch wirklich beide Lust darauf habt – oder ob Solo-Spaß vielleicht erstmal die bessere Lösung wäre. Euch den Druck zu nehmen, bedeutet nicht, euch die Lust zu nehmen. Ihr löst euch dadurch lediglich von euren Erwartungen und entdeckt neue Möglichkeiten, euch selbst und einander wieder näher zu kommen.
Damit das klappt, solltest du dich aber zuallererst um deine Scham kümmern. Vielleicht hast du während deiner Traumabehandlung erkannt, dass Sex gerade gar nicht die Art ist, wie du dich deiner Partnerin gegenüber öffnen und von ihr trösten lassen möchtest – und das ist okay. Nichtsexuelle Arten von Trost und Nähe, wie Gespräche oder gemeinsame Aktivitäten, können euch dabei helfen, wieder auf dieselbe Wellenlänge zu kommen. Traumaarbeit ist hart. Vielleicht steckst du daher gerade einfach in einer Phase, während der dich alles ein bisschen mehr belastet als sonst und es dir daher schwerfällt, genauso verspielt weiterzumachen wie früher.
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Deine Medikamente decken womöglich auch etwas auf, was du mit deiner Partnerin diskutieren kannst. Hast du dich in der Vergangenheit auch schon zum Sex verpflichtet gefühlt und es schnellstmöglich durchgezogen? Jetzt, da diese Dringlichkeit, die wir mit „gutem Sex“ oft assoziieren, eventuell nicht mehr da ist, spürst du vielleicht eine Veränderung. Aber bloß, weil sich der Sex emotional und körperlich heute anders anfühlt, macht ihn das nicht automatisch „schlechter“. Es kann dir helfen, darüber mal gründlich nachzudenken und in dich hineinzuhören.
Es ist immer eine gute Idee, über solche potenziellen Nebenwirkungen auch mit Therapeut:innen und/oder Ärzt:innen zu sprechen. Sie können dir erklären, wie Traumaarbeit und Medikamente dein Lustempfinden beeinflussen können, bezogen auf deine persönliche Geschichte. Achte darauf, dabei auch alle Medikamente zu erwähnen, die du so einnimmst. Deine Therapeutin kann dir außerdem erzählen, wie es anderen Patient:innen in ähnlichen Situationen geht, und hat vielleicht Rat für dich.
Obwohl deine Lage sicher frustrierend ist, ist sie doch eine Gelegenheit, deinen Körper neu kennenzulernen, tiefe Gespräche mit deiner Partnerin zu führen und deine eigene Lust zu erkunden. Begegne den Veränderungen mit Neugier. Und obwohl sich unser Geist mit Veränderungen zwar tendenziell erstmal unwohl fühlt, sei dir sicher: Du wirst auch in diesem Teil deines (Liebes-)Lebens wieder Sicherheit empfinden, sobald du dich in deinem eigenen Körper wieder sicher fühlst.
Du bist nicht „kaputt“, und dein Sexleben genauso wenig. Sei gut zu dir selbst, während du dich selbst in deinem jetzigen Körper ganz neu kennenlernst.
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Moraya Seeger DeGeare ist eine Ehe- und Familientherapeutin, die sich auf Intimität, LGBTQIA+-Paare, Beziehungen zwischen Personen verschiedener Kulturen und die Entwicklung einer ethnischen Identität spezialisiert hat. Die Ratschläge in dieser Kolumne sollen dir eine Richtung aufzeigen, die dich zur Heilung führen und dir ein Gefühl von Sicherheit in dieser Welt vermitteln kann. Sie ersetzen keine Beziehung zu einem Therapeutin oder einer Therapeutin, der oder die deine persönliche Geschichte kennt.  

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