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70% der Frauen haben kaum Lust auf Sex – warum schämen wir uns also dafür?

„Es fällt mir schwer, mich als normal zu betrachten.“

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„Ich fühle mich, als stimmt was nicht mit mir.“ – „Ich komme mir vor wie eine schlechte Partnerin und als sei ich ganz anders als alle anderen.“ – „Ich habe das Gefühl, da fehlt was in mir.“
Die niedrige Libido von Frauen ist nur selten ein Thema. Tatsächlich wirkt sie in einer immer sexpositiveren Welt immer mehr wie eines der letzten Tabus. Ein schwacher Sexualtrieb wird nur selten als das betrachtet, was er eigentlich ist: ein reduziertes Interesse einer Person an Sex. Stattdessen wird die geringe Libido oft als moralisches Versagen abgestempelt, als Fehler in einer Beziehung – als etwas, was man „heilen“ sollte.
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Die oben genannten Zitate stammen von Frauen, die derzeit nur wenig Lust auf Sex haben. Anstatt bei einer schwachen Libido aber die medizinischen, soziokulturellen, psychologischen, hormonellen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren zu berücksichtigen, die dafür mitverantwortlich sein können, empfinden viele Betroffene die schwach ausgeprägte Lust als ihre eigene „Schuld“.
Und vielleicht ist das auch deswegen nicht verwunderlich, weil eine schwache Libido oft als Gag missbraucht wird. Dank Filmen, Serien und Co. verbinden wir damit zum Beispiel ältere Männer, die von Viagra abhängig sind, oder Frauen, die sich über Kopfschmerzen oder Müdigkeit beschweren, um sich vor dem Sex zu „drücken“.
Die Realität sieht aber anders aus. Eine Studie von Headspace und Peanut hat ergeben, dass sieben von zehn Frauen Erfahrung mit einem schwachen Sexualtrieb haben. Und für den gibt es auch nicht zwangsläufig einen „Auslöser“. Vaginale Trockenheit, Schmerzen beim Sex und Alkohol können die Libido beeinträchtigen – genauso wie Erkrankungen wie Endometriose, Depression und Krebs. Stress, Müdigkeit, Erschöpfung sowie Probleme mit dem Körperselbstbild und der Beziehung können ebenfalls auf die Lust drücken.
„Vielleicht wird deine Sexualfunktion durch etwas Gesundheitliches, Antidepressiva oder ein Verhütungsmittel negativ beeinflusst“, erklärt die Sexualtherapeutin Aleks Trkulja. „Vielleicht hängt es aber auch mit gesellschaftlichen Überzeugungen rund um Sexualität zusammen – zum Beispiel mit der Stigmatisierung und dem Slutshaming von Frauen mit einem starken Sexualtrieb. Vielleicht verbindest du mit dem Sex irgendwelche Ängste, vielleicht fühlst du dich bei solcher Intimität auch nicht sicher. Vielleicht hat deine Regierung auch einen Einfluss auf den Ausdruck deiner Sexualität – zum Beispiel, indem es den Zugang zu Abtreibungen einschränkt –, was wiederum deine sexuelle Risikobereitschaft beeinträchtigen kann.“
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Im Fall von Penelope* lag die schwache Libido an einer schlechten geistigen Verfassung und ihrer Einnahme von Antidepressiva. „Ich wollte einfach überhaupt nichts [Sexuelles] mehr machen. Ich habe mich zum Sex gezwungen, um ‚normal‘ zu bleiben“, erzählt sie.Bei Sabrina, 23, und Anne, ebenfalls 23, sorgte die Pille für eine dramatische Veränderung der Lust. „Ich habe jetzt schon seit einer ganzen Weile kaum Lust auf Sex, vor allem aber seit der Pille. Ironisch, oder? Genau das, was mir sicheren Sex ermöglicht, hält mich davon ab, ihn überhaupt zu haben“, meint Sabrina. „Das frustriert mich, weil ich mich meinem Partner ja gern nah fühlen möchte, gleichzeitig aber überhaupt keine Lust darauf habe. Früher stand ich auch total auf erotische Literatur, für die ich mich jetzt gar nicht mehr interessiere. Das finde ich traurig.“


Wenn du eine:n Partner:in hast, der oder die dir wegen deiner schwachen Libido Vorwürfe macht, ist das vermutlich nicht die wahre Liebe.

Sabrina, 23
„Ich hatte früher eine ziemlich starke Libido. Als ich mit meinem Partner zusammen kam, entschied ich mich für die Pille, die meine Lust quasi zerstört hat“, sagt Anne. Als sie darauf kam, dass eins mit dem anderen zusammenhängen könnte, beschloss sie, auf eine andere Pille umzusteigen, die ihr nicht so stark die Lust nahm.
„Mein Freund meinte, er sei für alles offen. Er machte mir überhaupt keinen Druck und gab mir auch nie das Gefühl, eine schlechte Partnerin zu sein“, erzählt sie. „Wenn du eine:n Partner:in hast, der oder die dir wegen deiner schwachen Libido Vorwürfe macht, ist das vermutlich nicht die wahre Liebe.“
Sabrina hat ebenfalls schon einige schwierige Erfahrungen im Umgang mit ihrer schwachen Lust gemacht. „Mein Partner und ich haben sogar schon überlegt, unsere Beziehung zu öffnen, damit er sexuell auf seine Kosten kommen konnte, ohne mich damit unter Druck zu setzen. Wir konzentrieren uns mittlerweile mehr aufs Vorspiel und arbeiten daran, mir Lust zu machen. Manchmal klappt das ganz gut, aber so richtig gemeistert haben wir es noch nicht.“
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Die 25-jährige Julia war als Jugendliche sexuell sehr neugierig und hatte immer viel Lust. Als sie jedoch das polyzystische Ovarsyndrom (PCOS) diagnostiziert bekam, wurde ihr die Pille verschrieben, um ihr hormonelles Ungleichgewicht und ihre anderen Symptome in den Griff zu bekommen.
„Ich habe schon wenig Lust, seit ich mit 18 die Pille verschrieben bekam. Ich würde sie gerne absetzen, um herauszufinden, ob sich meine Libido dadurch steigern ließe – nur ist das nicht wirklich eine Option, da ich sie ja wegen meiner Krankheit einnehme“, erzählt sie. In ihren bisherigen Beziehungen war es durchaus schon ein „Problem“, dass sie wochenlang auf Sex verzichten kann.
Es klappt leider auch nicht immer mit dem stimulierenden Vorspiel. „Wir waren mal zusammen in einem Sexshop, um uns ein bisschen umzusehen. Da war aber alles so teuer, dass wir am Ende nur Gleitgel und eine Packung Batterien für ein Sexspielzeug gekauft haben, das ich schon zu Hause hatte. Die Batterien waren aber leider die falschen, und das Gleitgel war ‚kühlend‘, was ich total unangenehm fand. Deswegen hatten wir an diesem Tag dann gar keinen Sex“, sagt Julia.
Laut Trkulja sind Libido- und Lustschwankungen aber ganz natürlich – vor allem, wenn externe Faktoren wie Medikamente den Körper zusätzlich beeinflussen.


Es fällt mir schwer, mich als normal zu betrachten. Ich habe mich bisher keinen Freund:innen anvertraut und versuche meistens, gar nicht drüber nachzudenken, weil ich mich dadurch nur minderwertig fühle – und das ist scheiße.

Ellie, 21
Für Arya war eine Vaginose der Grund für einen drastisch nachlassenden Sexualtrieb. „Ich denke nicht oft über meine Libido nach. Wenn ich es tue, fühle ich mich beschissen, weil ich früher sexuell sehr aktiv war und meinen Partner jetzt immer wieder abblitzen lasse. Wir haben es bisher nicht geschafft, daran wirklich zu arbeiten. Ich habe es auch noch nie jemandem erzählt“, gibt sie zu.
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Auch die 21-jährige Ellie schämt sich für ihre schwache Libido, weil sie ihre Sexgewohnheiten dauernd mit anderen vergleicht. „Ich habe immer das Gefühl, mit mir stimmt irgendwas nicht, weil ich alle meine Freund:innen und irgendwelche Leute online davon sprechen höre, sie hätten jede Woche oder noch öfter Sex. Ich selbst denke überhaupt nur einmal im Monat an Sex“, erzählt sie.
„Es fällt mir schwer, mich als normal zu betrachten. Ich habe mich bisher keinen Freund:innen anvertraut und versuche meistens, gar nicht drüber nachzudenken, weil ich mich dadurch nur minderwertig fühle – und das ist scheiße.“
Die Hälfte der Befragten in der Headspace- und Peanut-Studie gaben an, ein schwacher Sexualtrieb sei ihrer Meinung nach ein Tabuthema. Dabei betrifft die schwache Libido so viele Menschen – wieso also wird nicht mehr dagegen unternommen? Die Frage stellen nicht nur wir: 90 Prozent aller Frauen sind der Studie zufolge davon überzeugt, die Medizinbranche würde die sexuelle Lust von Frauen nicht sonderlich ernst nehmen – eine Tatsache, die sich leider auch nicht nur auf die sexuelle Gesundheit von Frauen beschränkt. 
Was können wir also tun? Trkulja empfiehlt, dir selbst den Druck zu ersparen, andauernd Sex haben zu „müssen“. „Wenn du gestresst bist oder es dir nicht gut geht, ist es unrealistisch, von dir selbst zu erwarten, dich wie eine enthemmte Sexgöttin zu verhalten. Verständnis und Mitgefühl für deinen eigenen Körper sind jetzt das Beste, was du tun kannst. Und dein:e Partner:in kann dir dabei helfen, indem er oder sie keinen sexuellen Druck auf dich ausübt. Das kann auch eine tolle Gelegenheit für euch sein, euch einander auf anderer Ebene nah zu fühlen.“
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Die 26-jährige Mila hat nur wenig Lust auf Sex – weiß aber, dass eine Beziehung trotzdem gesund sein kann. Obwohl sie und ihr Verlobter nur etwa vier- bis achtmal pro Jahr Sex haben, leben die beiden ihre Intimität auf andere Weise aus. „Vergleiche dich nicht mit anderen Pärchen“, betont Mila. „Wir kuscheln andauernd, und das reicht mir völlig. Wir brauchen keinen regelmäßigen Sex, um uns die Stärke unserer Beziehung zu bestätigen.“
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