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Mein Arzt ignorierte meine Endometriose-Schmerzen, damit ich fruchtbar blieb

Foto: Eylul Aslan
„Ich weiß noch genau, wie ich bei meinem Gynäkologen in der Praxis saß und ihn um eine Hysterektomie anflehte – um die operative Entfernung meiner Gebärmutter. Ich sagte ihm, dass ich keine Kinder bekommen will – wollte ich nie, werde ich nie. Warum war ihm das so egal?“
Sarah, damals 17, litt unter Endometriose, bei der sich (der Gebärmutterschleimhaut ähnliches) Gewebe und Zysten an den Eierstöcken und anderen Organen ansiedeln und dort gegebenenfalls im Laufe des Menstruationszyklus wachsen und bluten. Für Sarah bedeutete das konkret: regelmäßige Schmerzen, Übelkeit, sogar Ohnmachtsanfälle. Sie war zu dem Zeitpunkt schon seit sieben Jahren wegen der Endometriose in ärztlicher Behandlung und bat jetzt um die einzige Option, die ihr noch zu blieben schien: eine Hysterektomie. Doch ihr Arzt verneinte sofort. „Laut ihm war ich zu jung, um zu entscheiden, was das Richtige für meinen Körper war. Er war der Meinung, meine Gefühle beeinträchtigten mein Urteilsvermögen.“
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„Aber er war noch nicht damit fertig, mich zu beleidigen. Er deutete an, dass ja mein zukünftiger Partner vielleicht ein Kind mit mir würde bekommen wollen. Eine Entfernung meiner Gebärmutter würde ihm diese Möglichkeit nehmen“, erzählt Sarah weiter. Und auch, als sie sich an eine Privatpraxis wandte, bekam sie keine Hilfe: „Ich hatte das Glück, dass meine Familie dazu bereit war, mir eine Privatbehandlung zu bezahlen“, erklärt sie. „Aber wieder bekam ich da zu hören, dass ich – obwohl ich inzwischen volljährig war – immer noch zu jung sei, um eine Entscheidung über meinen Körper zu treffen… Allen Ärzt:innen, mit denen ich seitdem über meine Beschwerden gesprochen habe, war meine Fruchtbarkeit wichtiger als meine körperliche und geistige Gesundheit.“
Heute ist Sarah 22 Jahre alt und stellt klar: „Die Endometriose hat sich enorm auf meine Lebensqualität ausgewirkt.“ Damit meint sie ihre Bildung, ihre Arbeit, ihr Sozialleben: In der Schule wurden ihre Noten immer schlechter, später musste sie sich auf der Arbeit häufig krank melden, während auch ihre Psyche unter den chronischen Schmerzen litt. Und trotz alldem hatte sie zusätzlich noch den Eindruck, von Ärzt:innen immer auf ihren „Uterus reduziert zu werden“ – als sei ihre Fähigkeit, Kinder in die Welt zu setzen, alles, was zählte.

Endometriose-Patient:innen sollten nicht um ärztliche Behandlung und Unterstützung kämpfen müssen.

Faye Farthing, Endometriosis UK
Eine schlechte geistige Verfassung ist unter Endometriose-Betroffenen weit verbreitet: Jede:r fünfte Patient:in leidet außerdem unter Depressionen, sogar ein Drittel von ihnen unter Angststörungen. Trotz dieses eindeutigen Zusammenhangs ist die psychologische Versorgung von Patient:innen mit gynäkologischen Erkrankungen mangelhaft – vor allem, weil die Ärzt:innen oft nicht wissen, wie sie das Thema ansprechen sollen. Eine Studie von 2014 ergab, dass vor allem Betroffene der meistverbreiteten gynäkologischen Erkrankungen (wie dem Polyzystischen Ovarsyndrom und dem Prämenstruellen Syndrom) eben wegen jener Krankheiten besonders häufig unter geistigen Beschwerden leiden. Außerdem wies die Studie nach, dass gynäkologischen Expert:innen sowohl das Selbstvertrauen als auch die Kompetenzen fehlen, um diese psychologischen Themen während der Behandlung gezielt anzusprechen.
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Faye Farthing, Sprecherin für die britische Organisation Endometriosis UK, betont gegenüber Refinery29, dass kein:e Endometriose-Patient:in jemals das Gefühl vermittelt bekommen sollte, sein:ihr Schmerz sei weniger wichtig als die eigene Fruchtbarkeit. „Endometriose-Patient:innen, die unter ihrer Krankheit leiden und ihre Fruchtbarkeit selbst als weniger wichtig empfinden, sollten nicht um die ärztliche Behandlung und Unterstützung kämpfen müssen“, sagt sie. „Leider spielt die gesellschaftliche Erwartung, dass Frauen – und alle Menschen mit einer Gebärmutter – automatisch Kinder in die Welt setzen wollen, dabei eine große Rolle. In manchen Kulturen und Gesellschaften ist diese Erwartungshaltung besonders stark; dadurch wird das Leben mit gynäkologischen Erkrankungen, die sich auf die Fruchtbarkeit auswirken können, noch zusätzlich erschwert. Dasselbe gilt, wenn sich Frauen bewusst gegen Kinder entscheiden.“
Sarah ist mit ihrer Erfahrung dabei keineswegs alleine. Mit 18 Jahren war Rachel in derselben Situation: Die Endometriose verursachte solche Schmerzen, dass der Alltag zur unüberwindbaren Herausforderung wurde. Die einzige ärztliche Behandlungsmethode: Schmerzmittel – immer stärkere. Diese Schmerzen, kombiniert mit der fehlenden Behandlung, führte dazu, dass Rachel nur noch eine Option sah: Die Gebärmutter musste weg. „Ich sah keinen anderen Ausweg aus der Krankheit; es wurde ja nichts unternommen. Also bat ich um eine Hysterektomie.“
Die Ärzt:innen weigerten sich allerdings, weil der Eingriff bedeuten würde, dass Rachel keine eigenen Kinder würde gebären können. Rachel wollte – will – aber gar keine Kinder haben. Trotzdem war die Fruchtbarkeit auch hier das K.O.-Kriterium: die Fortpflanzungsfähigkeit war offenbar wichtiger als Rachels Schmerz.
Letztlich wandte sich Rachel an eine Privatklinik, die darauf spezialisiert ist, das Endometrium (das Gewebe, das die Schmerzen verursacht) operativ zu entfernen. Doch selbst bei dieser OP wurde bei Rachel nicht sämtliches Gewebe entnommen – wieder einmal war Rachels Fruchtbarkeit die Priorität.
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Als cis Frau gilt es oft als deine einzige Funktion, dich fortzupflanzen. Dabei sehe ich meinen Lebenssinn nicht darin, Kinder zu kriegen.

Rachel
Direkt nach der OP spürte Rachel, dass irgendwas nicht stimmte, und flehte darum, erneut untersucht zu werden. Das Ergebnis: Eierstockkrebs – der monatelang ungestört hatte wachsen können, weil aufgrund von Befürchtungen um Rachels Fruchtbarkeit nie genau hingesehen worden war. Inzwischen hat Rachel den Krebs besiegt, ist aber nach wie vor wahnsinnig wütend darüber, dass Gender-Normen so vielen Menschen schaden und sogar Leben gefährden können.
„Es ist eine enorme Zumutung, dass so viele Leute automatisch davon ausgehen, jemand mit weiblicher Anatomie müsse automatisch Kinder haben wollen“, sagt Rachel gegenüber Refinery29. „Als cis Frau gilt es oft als deine einzige Funktion, dich fortzupflanzen. Dabei sehe ich meinen Lebenssinn nicht darin, Kinder zu kriegen. Als mir aber vermittelt wurde, ich solle diese Funktion über meine eigene Gesundheit stellen, litt meine Psyche extrem darunter.“
„Es ist sehr schwierig, mit deinem Arzt oder deiner Ärztin ein respektvolles Gespräch zu führen, wenn dieses Gegenüber deine eigenen Wünsche völlig ignoriert“, fügt Rachel hinzu. „Ich hatte das Gefühl, keine eigene Entscheidung treffen zu dürfen. Die stellten sich wohl vor, ich würde eines Tages aufwachen und begreifen, dass ich mir ja schon immer Kinder gewünscht habe, obwohl das noch nie der Fall war.“
An dieser Stelle sollte gesagt werden: Natürlich wollen viele Endometriose-Patient:innen die eigene Fruchtbarkeit erhalten – das ist aber ebenso ihre persönliche Angelegenheit wie die Entscheidung, die Fruchtbarkeit hinten anzustellen. So oder so: Beide Wünsche sollten von den behandelnden Ärzt:innen gleichwertig respektiert werden. Trotzdem wird den meisten Patient:innen genau dieses Privileg entrissen, wenn ihre Ärzt:innen der Meinung sind, selbst über die jeweilige Fruchtbarkeit entscheiden zu dürfen. 
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Das sieht auch Faye so. „Es ist wichtig, dass Ärzt:innen bei der Behandlung und Diskussion die persönlichen Situationen und Prioritäten ihrer Patient:innen berücksichtigen. Betroffene sollten nie das Gefühl haben müssen, ihre Behandlung würde durch ihren Kinderwunsch beeinträchtigt“, erklärt sie.
Diese Erfahrung machen aber leider nicht nur Endometriose-Patient:innen. Die 25-jährige Morgan wollte sich sterilisieren lassen; sie hatte noch nie Kinder haben wollen und jede Verhütungsmethode ausprobiert, fühlte sich aber mit keiner so richtig wohl – ihre Kupferspirale hatte sich sogar verschoben. Trotz dieser guten Gründe weigerten sich Morgans Ärzt:innen, sie zu sterilisieren. 

Ich bekam das Gefühl, mein einziger Wert in dieser zukünftigen Beziehung sei meine Fruchtbarkeit. Das war entmenschlichend.

Morgan
„Schon bevor ich Probleme mit der Verhütung hatte, war ich mir absolut sicher, dass ich keine Kinder bekommen wollte“, erklärt sie. „Und ganz abgesehen davon finde ich auch, dass es als Erwachsene mein gutes Recht ist, [um eine Sterilisation] zu bitten. Ich hatte aber den Eindruck, dass mich meine Ärzt:innen auf meine Fortpflanzungsfähigkeit reduzierten und ihnen meine mentale und körperliche Gesundheit dabei weitestgehend egal war. Außerdem fragten sie mich, was denn passieren sollte, wenn ich irgendwann einen Partner fand, der sich Kinder wünschte. Dadurch bekam ich das Gefühl, mein einziger Wert in dieser zukünftigen Beziehung sei meine Fruchtbarkeit. Das war entmenschlichend.“
Um eine Schwangerschaft mit Sicherheit zu verhindern, unterzog sich Morgans Partner schließlich einer Vasektomie. Morgan erzählt, dass er dabei nie gefragt wurde, ob er in einer Beziehung sei, sich noch Kinder wünsche – oder was passieren würde, wenn sich seine jetzige oder zukünftige Partnerin Kinder wünschte. Er bat einfach nur um den Eingriff, und bekam ihn. Obwohl Morgan gegenüber Refinery29 meint, dass sie sich natürlich darüber freut, dass ihr Partner die Vasektomie bekam, „betonte das nur wieder die genderbasierten Unterschiede in der Medizin“.
Dr. Amy Blackstone, Autorin von Childfree by Choiceund Soziologie-Professorin, kommentierte das im R29-Interview so: „Was mich daran schockiert, ist, wie viele Ärzt:innen sich offenbar grundsätzlich weigern, Frauen zu glauben. Ihnen nicht die Behandlung zukommen zu lassen, die sie sich selbst wünschen – weil die Mediziner:innen glauben, es besser zu wissen –, ist nicht bloß eine Form der Bevormundung; es ist außerdem nur wieder eine weitere Methode, Frauen die Entscheidung abzusprechen, ob, wann oder wie viele Kinder sie bekommen möchten.“
Diese Entscheidung hängt von vielen Faktoren ab. Aber ganz egal, wie sie letztlich ausfällt – es ist eine persönliche Wahl. Und die Schmerzen einer Person sollten nie missachtet werden, nur weil sie sich für oder gegen Kinder entscheidet. 

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