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Sollte ich in einer neuen Beziehung von meiner HPV-Infektion erzählen?

Willkommen bei Can We Talk?, der Sex- und Beziehungskolumne, die deine brennendsten Fragen rund um Sex, DatingBeziehungen und Trennungen beantwortet, die du deinen Partner:innen ungern stellen möchtest – oder auch deinen Freund:innen. Diesmal hilft die Beziehungstherapeutin Moraya Seeger DeGeare einer Person, die sich unsicher ist, ob sie intimste Details direkt mit einer neuen Partnerin teilen sollte.
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Liebe Moraya,
ich bin seit Kurzem mit meiner Freundin zusammen und stehe total auf sie. Wir hatten bisher keinen Sex – das soll sich aber bald ändern. Ich bin aber total überfordert, weil ich vor Kurzem eine HPV-Diagnose bekommen habe. [HPV steht für „Humane Papillomviren“ und können Entzündungen und Hautveränderungen wie Warzen hervorrufen.] Meine Ärztin meinte, ich müsste das neuen Partner:innen nicht zwangsläufig erzählen, wenn ich nicht will; scheinbar habe ich anhand meiner Symptome und gesundheitlichen Vergangenheit nur ein geringes Risiko, die Viren weiterzugeben. Noch dazu sind HP-Viren ihr zufolge weit verbreitet. Das hörte sich für mich alles so an, als sei das gar kein großes Ding – es fühlt sich aber groß an. Hören andere Leute wirklich so eine Diagnose und stören sich daran gar nicht? 
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Ich persönlich habe das Gefühl, es wäre irgendwie unehrlich, nicht von meiner Geschlechtskrankheit zu erzählen. Gleichzeitig habe ich aber Angst davor, meine Partnerin könnte mich verlassen, wenn ich ihr das sage, und ich denke dauernd, ich sollte wegen dieser Diagnose am besten nie wieder daten. Werde ich mich für immer so fühlen, als würde ich etwas Schlimmes mit mir herumtragen? Ich überlege, gar nichts zu sagen und sie einfach darum zu bitten, ein Lecktuch zu benutzen. Damit habe ich aber gar keine Erfahrungen, und ich habe Schiss, dass es dadurch komisch werden könnte. Außerdem habe ich gehört, dass Lecktücher nicht zu 100 Prozent vor einer HPV-Infektion schützen. Da bin ich mir aber nicht sicher.
Ich habe Angst, dass sie mich weniger anziehend finden könnte, wenn ich mich ihr dahingehend weiter öffne. Meiner Meinung nach haben wir schon eine sehr tiefe Bindung – das wäre also wirklich beschissen.
Zu alldem kommt, dass ich leider Erfahrungen mit sexuellen Traumata gemacht habe, wegen denen ich in Therapie war, und ich jetzt weiß, dass all das hier eine Rolle spielt. Ich bin so verwirrt und überfordert, gleichzeitig aber immer noch heiß auf meine Freundin. Ich will das Richtige tun, weiß aber gar nicht mehr, was das sein soll. Was kann ich machen?
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Moraya DeGeare: Manchmal sucht unser Gehirn nach Möglichkeiten, unsere tiefsten Ängste zu bestätigen. Manchmal basieren diese Ängste auf falschen Überzeugungen von uns selbst, oder manchmal auf etwas, was irgendjemand mal über uns gesagt hat. Das ist das Problem mit Traumata: Es geht dabei nicht immer nur um das traumatische Erlebnis an sich, sondern auch darum, wie dieses Erlebnis für immer veränderte, wie wir die Welt betrachten… und uns selbst.
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Dieser tiefsitzende Schmerz kann sich im Körper einnisten. Ich kenne die Details deines sexuellen Traumas nicht; es ist aber völlig normal – selbst nach einer erfolgreichen Therapie –, wenn du das Gefühl hast, auf irgendeine Art selbst versagt zu haben. So, als hättest du dich absichtlich in eine Situation gebracht, in der du dir eine Geschlechtskrankheit einfangen konntest. Bevor du nach deiner sexuell traumatischen Erfahrung wirklich mit der Verarbeitung beginnen konntest, hast du dir vielleicht sogar selbst dafür Vorwürfe gemacht, in einer Situation geblieben zu sein, in der du verletzt oder missbraucht wurdest. Dabei sind sexueller Missbrauch und Gewalt in intimen Beziehungen leider sehr weit verbreitet: Du bist nur eine von vielen und somit überhaupt nicht allein mit deiner Erfahrung. Und obwohl du nicht erzählt hast, ob dein sexuelles Trauma einer ehemaligen Partnerschaft entspringt, frage ich mich – falls das so sein sollte –, ob du genau deswegen jetzt so große Angst davor hast, selbst jemandem zu schaden. 
Als deine Ärztin also deinen Wunsch abwinkte, deine Diagnose mit deiner Partnerin zu teilen, erlaubte sie dir damit, etwas zu tun, das deinem eigenen Selbstbild widerspricht. Gleichzeitig bestätigte sie damit einen schambelasteten Irrglauben, den du seit deinem Trauma mit dir herumträgst. Wir leben in einer Gesellschaft, die leider zu häufig die Opfer für ihre traumatische Erfahrung verantwortlich macht; das verlangsamt den Heilungsprozess und verstärkt das Leid zusätzlich. Selbst nach einer Vergewaltigung werden Überlebende oft gefragt, wie kurz ihr Rock war oder ob sie wirklich so viel hätten trinken sollen. Noch schlimmer: Selbst minderjährigen Überlebenden wird häufig vermittelt, sie seien Schuld, weil sie ihren Täter:innen „Hoffnungen“ gemacht hätten. Diese Worte tun vor allem dann weh, wenn sie von einer geliebten Person ausgesprochen werden.
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Das ist meine professionelle Einschätzung – doch ist deine letztlich viel wichtiger. Ich frage dich: Warum, glaubst du, fällt dir diese Situation so schwer? Immerhin hat dir deine Ärztin die Freiheit gegeben, nichts zu tun. Tu mal so, als hätte sie das nicht gesagt. Wäre es dann für dich aus emotionaler Sicht überhaupt eine Option, deine Diagnose zu verschweigen? Scheinbar nicht; ansonsten hättest du jetzt nicht das Gefühl, irgendwie festzuhängen. Manchmal kann es dann helfen, dich diesem Gefühl komplett hinzugeben. Stelle dir einen Timer, schnapp dir ein Blatt Papier und schreibe alle deine Gedanken auf, ohne dich selbst zu filtern.
Sobald der Timer dann vorbei ist und du die Chance hattest, deinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, frage dich selbst: Was ist das Schlimmste, was passieren könnte? Vielleicht erzählst du deiner Partnerin, dass du positiv auf HPV getestet wurdest, und vielleicht fängt sie dann an zu schreien, dass es mit euch vorbei sei, weil du diese (sehr weit verbreitete) Diagnose bekommen hast? Klingt absurd? Aus gutem Grund – denn wenn wir uns einer solchen Angstspirale wirklich mal bis zum Ende hingeben, ist das Ergebnis oft schwer vorstellbar. Wenn du diese Person nämlich gut kennst und dir gar nicht ausmalen kannst, dass sie negativ auf deine Neuigkeit reagieren könnte, solltest du darauf auch vertrauen. Hol dich selbst immer wieder zurück in die Realität. Viel zu oft lassen wir uns nämlich von Angst und Scham mitreißen, ohne wirklich alles bis zum Ende durchzudenken. Stattdessen solltest du dich aber daran festhalten, was du wirklich weißt.
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Durch diese Gedankenspirale, in der du gerade festhängst, führt nämlich ein Weg hindurch – und um auf diese andere Seite zu gelangen, ist Verletzlichkeit entscheidend. Öffne dich zum Beispiel jemandem, dessen oder deren Gedanken und Meinungen du vertraust. Wenn diese Person auch nur ein halbwegs liebevoller Mensch ist, wird sie darauf garantiert einfühlsam reagieren – und dir allein schon damit einen Teil der Scham nehmen, die du mit dir herumträgst. Zu sehen, wie wenig schockiert diese Person von deiner Diagnose sein dürfte, sorgt sicher dafür, dass dir ein Stein vom Herzen fällt. Genau deswegen kann es so stark sein, unsere tiefsten Ängste und Schamgefühle mit jemandem zu teilen, und daraufhin zu erkennen, dass wir immer noch akzeptiert und geliebt werden.
Und mal ehrlich: Du bist mit deiner Erfahrung wirklich nicht allein. HPV ist die häufigste sexuell übertragene Infektion der Welt. Der Gynäkologin Heather Bartos zufolge sollten wir aber dennoch die damit einhergehenden Risiken bedenken. Dazu zählen Genitalwarzen und bestimmte Formen von Krebs. Obwohl die Meinungen in der medizinischen Community auseinandergehen, sind sich dennoch die meisten Ärzt:innen darin einig, dass es die Entscheidung von Patient:innen sein sollte, ob sie diese Information mit anderen teilen – vor allem, weil Männer nicht auf HPV getestet werden könnten und die meisten (9 von 10) HPV-Infektionen von allein verheilen oder unnachweisbar werden. Trotzdem: Wenn du dich in deiner persönlichen Lage nicht wohl damit fühlst, die Diagnose für dich zu behalten, solltest du diesem Gefühl Folge leisten (insbesondere, weil sich deine Partnerin vermutlich sehr wohl testen lassen und sich sogar dagegen impfen lassen kann, wenn sie es bisher nicht getan hat – und ja, das kann sogar helfen, wenn sie bereits HPV hat). Denk dran: Jedes Gespräch über das Thema ist gut und kann gegen die Stigmatisierung helfen.
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Scham kann uns enorm davon abhalten, gesunde Beziehungen mit anderen Menschen zu führen – ganz egal, ob die romantischer oder platonischer Natur sind. Um gegen diese Scham anzukämpfen, möchte ich dir dabei helfen, von „Was wird sie über mich denken?“ zu „Wie möchte ich mich in meinem Leben gegenüber anderen Menschen verhalten?“ zu switchen. Wenn du deine Diagnose verschweigst, nimmst du deiner Partnerin die Entscheidung, was sie ihrem Körper aussetzen möchte. Das kann ihrer mentalen Gesundheit und ihrem Freiheitsempfinden viel mehr schaden, als es ihre potenzielle HPV-Infektion könnte.
Ihr diese Entscheidung zu ihrem eigenen Körper zu überlassen, könnte eure Beziehung daher sogar vertiefen und deiner Partnerin dabei helfen, sich mit dir noch wohler zu fühlen. Du kannst sie auch fragen, ob du sie dabei begleiten sollst, wenn sie sich testen lässt (und am besten teilst du auch schon Informationen von deiner Ärztin mit ihr, wenn du ihr von deiner Diagnose erzählst). Vielleicht habt ihr von vornherein noch nicht viel über eure sexuelle Vergangenheit gesprochen. Es ist schön, wenn du auf diese Weise dieses wichtige Gespräch anregst.
Indem du transparent mit dem Thema umgehst, signalisierst du deiner Partnerin, dass du gewillt bist, über komplexe Dinge wie Gesundheit, Sexualität und Gender zu sprechen. Die musst du nicht alle in einem Gespräch abarbeiten!
Der beste Sex basiert immer auf Vertrauen und Mühe. Das kann für dich bedeuten, dich ihr mit einem Thema zu öffnen, das dich sehr belastet – und das nimmt euch die Hemmungen, über weitere wichtige Dinge zu sprechen, die euch schwer fallen, wie zum Beispiel die Verwendung eines Lecktuchs. 
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Während man versucht, gemeinsam herauszufinden, ob eine Beziehung eine Zukunft hat, ist es ganz normal, zusammen solche stressigen Situationen bewältigen zu müssen. Es ist okay, dass dich das jetzt überfordert – selbst wenn das Gespräch am Ende total harmlos verläuft. Vielleicht war deine Partnerin auch schon davon verunsichert, dass du den Sex bisher vor euch herschiebst, und euer Gespräch könnte diese Unsicherheiten beseitigen. Vielleicht ist deine Freundin danach sogar erleichtert.
Das Heißeste an einer frischen Beziehung ist nämlich nicht nur der Sex, sondern auch die Erkenntnis, jemandem so viel zu bedeuten, dass er oder sie dich an den eigenen Gefühlen teilhaben lässt. Deine Emotionen mit deiner Freundin zu teilen, könnte also sogar das Heißeste sein, was ihr bisher zusammen erlebt habt.
Moraya
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DeGeare ist eine Ehe- und Familientherapeutin, die sich auf Intimität, LGBTQIA+-Paare, Beziehungen zwischen Personen verschiedener Kulturen und die Entwicklung einer ethnischen Identität spezialisiert hat. Die Ratschläge in dieser Kolumne sollen dir eine Richtung aufzeigen, die dich zur Heilung führen und dir ein Gefühl von Sicherheit in dieser Welt vermitteln kann. Sie ersetzen keine Beziehung zu einem Therapeutin oder einer Therapeutin, der oder die deine persönliche Geschichte kennt. 

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