Du leidest an Schlaflosigkeit? Hey, ich auch. Dabei lag die Lösung für unsere Probleme womöglich die ganze Zeit in unseren Tiefkühlfächern – behaupten zumindest TikToker:innen wie @heyfrankiesimmons, @empathary und @borcikjewelry. Sie sind davon überzeugt, dass dich ein Kühlpack auf deiner Brust innerhalb von nur 15 Minuten in den Schlaf lullen kann.
Meine Schlafstörungen ruinieren mir schon den Großteil meiner 20er den Tag. Wann immer ich eine halbwegs erholsame Nacht hinter mir habe – was ungefähr zweimal pro Woche passiert –, arbeite ich am nächsten Tag besser, ernähre mich gesünder, bin ehrgeiziger und lieber zu meinen Mitmenschen. An den restlichen Tagen fühle ich mich eher so unruhig, als hätte ich einen ordentlichen Kater (und das ohne den kleinsten Tropfen Alkohol), kann nur langsam denken und lasse mich schnell ablenken, aber für nichts begeistern. Und abgesehen von diesen direkten Auswirkungen hat die Schlaflosigkeit auch noch potenziell ernste, langfristige gesundheitliche Konsequenzen – zum Beispiel Übergewicht, Diabetes und Herzkreislauferkrankungen sowie eine verkürzte Lebenserwartung. „Was passiert, wenn ich nicht schlafe?“, fragte die DJane Daisy Maskell in einer BBC-Dokumentation zur zunehmenden Schlaflosigkeit der Gen Z. „Beinahe jeder Artikel zu dem Thema ist sich sicher, dass du früher oder später daran stirbst.“ Kein Wunder also, dass meine Angst deswegen wächst und wächst.
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Wenn es dir wie mir geht, hast du kein Problem mit dem Einschlafen an sich. Stattdessen schreckt dich dein Hirn mitten in der Nacht aus dem Schlaf und fängt sofort damit an, dich mit Gedanken an den halb geschriebenen Artikel zu bombardieren, den du längst hättest einreichen sollen, oder mit der Erinnerung an den Streit mit deiner besten Schulfreundin vor acht Jahren. Mit solchen Problemen bin ich nicht allein; laut DAK ist von schweren Schlafstörungen (Insomnie) allein in Deutschland rund jede:r Zehnte betroffen. Die Corona-Krise hat das Ganze nur noch verschlimmert.
Es ist 1:30 Uhr und ich scrolle mich gerade durch TikTok, als ich über ein Video der Wellness-Influencerin @heyfrankiesimmons stolpere, das mein unerholtes Hirn sofort anspricht (danke, Algorithmus!). Darin präsentiert sie eine vermeintlich einfache Lösung für nächtliches Aufwachen: „Vor ein paar Jahren kam das ziemlich oft vor, dass ich nachts gegen 4 Uhr unruhig aufwachte“, erzählt sie. „Jedes Mal musste ich mich aus dem Bett quälen, Atem- und Energieübungen machen und Tee trinken, um mich wieder zu beruhigen und endlich einzuschlafen.“
Damit war Schluss, als sie von dem Trick hörte, den Vagusnerv zu kühlen. Der Vagus ist einer der längsten Nerven und quasi die Kommunikations-Autobahn des Körpers. Er kontrolliert einen großen Teil deines parasympathischen Nervensystems – das Netzwerk, das dafür sorgt, dass deine körperlichen Grundfunktionen so laufen, wie sie sollen, von der Tränenproduktion übers Niesen bis hin zur Erektion. Innerhalb dieses Netzwerks beeinflusst der Vagusnerv außerdem die Stimmung und den Puls.
In den letzten vier, fünf Jahren wird die Stimulation des Vagusnervs innerhalb der Wellness-Community als mögliches Mittel gegen Stress diskutiert; dafür gibt es tatsächlich auch einige wissenschaftliche Indizien. „Indem du die Funktionen des Vagusnervs besser verstehst, kannst du womöglich mit deinem Nervensystem arbeiten, anstatt dich von ihm manipuliert zu fühlen“, erklärt die Psychologin Dr. Arielle Schwartz. Eine Studie von 2018 ergab „erste Hinweise darauf, dass die Vagus-Stimulation eine vielversprechende ergänzende Behandlung für behandlungsresistente Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen und entzündliche Darmerkrankungen sein kann“.
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Aber warum sollte das Kühlen des Vagusnervs helfen können? Das liegt an der „Aktivität“ bzw. dem „Ton“ des Nervs. Wenn du deinen Vagus stimulierst, lässt sich damit unter anderem dein Herzschlag regulieren – sprich: Du kannst deinen gestressten Körper dadurch schneller beruhigen.
Laut einer weiteren Studie von 2018 kann die Temperaturregulierung eine gut Form dieser Stimulation sein. „Die Ergebnisse demonstrieren ein Muster der kardiovaskulären Reaktionsfähigkeit auf Kältestimulation. Das lässt einen Anstieg der kardio-vagalen Aktivierung vermuten. Der Effekt im lateralen Halsbereich war erheblich.“ Um es mal einfacher zu formulieren: Durch das Auflegen von etwas Kaltem am oberen Torso lässt sich der Vagusnerv aktivieren – und du dich beruhigen.
Es klingt plausibel, dass mich ein Kühlpack auf der Brust demnach genug entspannen könnte, um mich wieder einschlafen zu lassen. „Wickel es in ein Handtuch und leg dich für mindestens 15 Minuten damit hin – oder sogar länger, wenn nötig“, rät Frankie in ihrem TikTok. „Ein echter Gamechanger!“
Nach jahrelanger Ruhelosigkeit, gescheiterten Meditationsversuchen im Mondschein und unzähligen halb ausgetrunkenen Kräutertees auf meinem Nachttisch war ich für jeden Versuch bereit. Also stellte ich den viralen Kühlpack-Hack auf die Probe…
Tag 1 (Montag)
Ich wachte um 1:30 Uhr auf und schleppte mich vom Bett in die Küche, auf der Suche nach einem Eis-Pack. Ich fand eins im Tiefkühler, schlurfte damit zurück ins Bett und legte es mir auf die Brust. Das fühlte sich an, als würde ich nach einem heißen Essen ein kaltes Eis schlürfen – leicht unangenehm, aber irgendwie erfrischend. Ich weiß, dass ich um 2:45 Uhr nochmal auf die Uhr schaute; das Nächste, woran ich mich erinnere, war das Klingeln meines Weckers um 7 Uhr. Mit einem Blick auf den kalten, nassen Fleck in meinem Bett dachte ich mir: Ich muss dran denken, mir morgen eine Schüssel mit zum Bett zu nehmen, wo ich das Kühlpack reinwerfen kann.
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Tag 2
Ich schreckte um 3 Uhr aus dem Schlaf und holte mir mein Eis. Der Hund kam mit mir und beschloss, mal kurz zum Pinkeln rauszumüssen. Der kalte Luftstoß aus der Gartentür fühlte sich wie eine unheilvolle Vorahnung an. Ich fragte mich, ob es vielleicht bloß das Aufstehen an sich war, das mir beim Einschlafen half – eine weitere bewährte Einschlaftechnik. Ich schlüpfte zurück ins Bett, mit meinem eingewickelten Eis, und schlummerte nach etwa einer halben Stunde wieder ein. Diesmal hatte ich auch an die Schüssel gedacht! Daraufhin schlief ich bis 7 Uhr durch.
Tag 3
Ich schlief die Nacht durch, ganz ohne Eis. Zzz!
Tag 4
Ich wachte um 2:30 Uhr auf und schnappte mir mein Eis, brauchte es aber kaum. Ich hatte das Gefühl, schon wieder weggenickt zu sein, bevor mein Kopf überhaupt das Kissen berührte. Dabei schoss mir noch durchs Hirn: Ist das einfach der Placebo-Effekt? Vertraute ich so sehr auf die Wirkung des Kühlpacks, dass es funktionieren musste? So oder so – das war mir eigentlich egal.
Tag 5
Ich wachte um 4 Uhr auf und kam gar nicht auf die Idee, mir mein Eis zu holen. (Weswegen ich vielleicht auch keine so gute Kandidatin für ein echtes klinisches Experiment wäre.) Bis 7 Uhr scrollte ich mich durch TikTok, bis mein Wecker klingelte.
Tag 6
Vermutlich meine bisher schlimmste Nacht. Ich hatte am Abend zu viel Weißwein getrunken und fühlte mich beim Einschlafen so an, als stünde ich in einem rasenden Bus – und wachte um 00:30 Uhr auf, weil mein Blut so laut in meinen Ohren rauschte (vermutlich wegen zu viel Zucker im Wein). Ich bereute sofort alles und konnte mich nicht dazu aufraffen, mich nach unten zu schleppen, um mir mein Eis zu holen. Also lag ich nur im Bett und lauschte bis 4 Uhr dem Zähneknirschen meines Partners. Dann stand ich auf, angespannt, genervt und pessimistisch, dass das ein guter Sonntag werden würde.
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Tag 7
Ich ging um 21 Uhr völlig fertig ins Bett – und schlief die ganze Nacht durch, ohne Kühlpack.
Um es mal zusammenzufassen: In den Nächten, in denen ich aufwachte, schien mich das Eis tatsächlich schneller als gewöhnlich wieder in den Schlaf zu lullen. Ich bin allerdings nicht ganz davon überzeugt, dass dafür wirklich das Eis verantwortlich war – und nicht der Akt des Aufstehens und Eis-Holens. Die mitternächtliche Routine wurde für mich zu einer Art Ritual. Der Spaziergang im Mondschein in die Küche gefiel mir, und die kalte Luft aus dem Tiefkühler war erfrischend. Wie die kalte Seite vom Kopfkissen, nur eben für den ganzen Körper.
Ich bin keine Schlafforscherin, und das gilt auch für viele der TikToker:innen, die diesen Hack empfehlen. Es ist immer besser, dich mit jeglichen gesundheitlichen Sorgen und Problemen an eine:n Expert:in zu wenden. Als Langzeit-Schlaflose befolge ich aber das Mantra: Wenn’s für dich funktioniert, zieh’s weiter durch. Also werde ich auch in Zukunft mitten in der Nacht zum Tiefkühler marschieren (sofern ich nicht endlich lerne, einfach mal durchzuschlafen).