Wie schlimm ist es wirklich, altes Make-up zu benutzen?

Ich muss ein Geständnis ablegen: Ich habe eine ungesunde emotionale Bindung zu meiner Chocolate-Gold-Lidschattenpalette von Too Faced. Du denkst vielleicht, dass das nicht gerade ein Geständnis wert ist, aber was, wenn ich dir sage, dass ich sie 2017 gekauft habe?

Fast fünf Jahre nach ihrer Blütezeit (inzwischen wurde die Palette eingestellt) fahre ich immer noch mit meinen Fingern über die butterweichen, matten Farbtöne und staune, wenn ich die leuchtenden Schimmer über meine Augenlider gleiten lasse, ohne das kleine aufgedruckte Datum auf der Verpackung zu beachten, das mich praktisch anfleht, sie wegzuwerfen. Aber ich habe nicht vor, das zu tun.

Die Lidschatten sind immer noch verdammt gut pigmentiert und jedes Mal, wenn ich sie öffne, rieche ich den süßen Kakaoduft. Diese zuverlässige Palette hat mich durch einige bedeutende Momente in meinem Leben begleitet, darunter das Studium, fünf Jobs, vier Umzüge und eine Pandemie. Wenn ich ganz ehrlich bin, hat sie auch alle meine romantischen Beziehungen überdauert. Inzwischen hat die Palette einen sentimentalen Wert und da ich nur drei der 16 Farbtöne benutzt habe, wäre es Verschwendung, sie loszuwerden.

Mit diesem Dilemma bin ich nicht allein. Eine kürzlich durchgeführte Studie hat ergeben, dass jede:r Vierte von uns abgelaufenes Make-up benutzt. Die TikTokerin Emma Abrahamson ging vor kurzem viral, weil sie ihrer Urban-Decay-Naked-Palette „alles Gute zum 10-jährigen Jubiläum“ wünschte. Auch sie benutzt ihre Palette immer noch, was man ihr nicht verübeln kann, da die Marke das kultige Produkt 2018 auslaufen ließ. Emma wurde zwar kritisiert, aber das Video erhielt Hunderte von solidarischen Kommentaren. Eine Person schrieb: „Ich weiß, dass sie jetzt nicht mehr verwendet werden sollte, aber meine Naked-Palette von 2012 müsst ihr mir aus meinen kalten, toten Händen reißen.“ Eine andere schrieb: „Meine muss mindestens elf Jahre alt sein! Sie werden so schnell erwachsen.“

Um herauszufinden, welche Leichen in den Schränken (oder besser gesagt in den Schminktaschen) meiner Freund:innen stecken, habe ich eine informelle Instagram-Umfrage durchgeführt. Wie ich vermutet hatte, gaben 100 Prozent der Befragten zu, regelmäßig veraltete Produkte zu benutzen. Und warum? Die Lebenshaltungskosten sind hoch und Make-up ist teuer. Glossier und The Ordinary sind nur einige der Marken, die in letzter Zeit Preiserhöhungen angekündigt haben, also macht es Sinn, das Beste aus den Produkten herauszuholen, die du bereits besitzt.

Meine DMs wurden mit Anekdoten über jahrzehntealte Dipbrow-Pomaden von Anastasia Beverly Hills und MAC-Kollaborationen in limitierter Auflage überschwemmt. Jemand schickte mir ein Foto von einer Lidschattenpalette aus dem Jahr 2009, die sie täglich benutzt. Das ist praktisch Vintage. Selbst diejenigen, die in der Schönheitsbranche arbeiten, drücken hin und wieder ein Auge auf das Verfallsdatum. „Die Palette von Jackie Aina x Anastasia Beverly Hills aus dem Jahr 2018 hat mich im Würgegriff“, gesteht die Beauty-Kolumnistin Vanese Maddix.

Gut, jetzt wissen wir, wie verbreitet es ist, abgelaufene Produkte aufzubewahren. Kommen wir nun zum Kern der Sache: Ist es wirklich so schlimm, altes Make-up zu benutzen? Ich habe Dr. Emma Wedgeworth, Fachärztin für Dermatologie und Sprecherin der British Skin Foundation, gefragt. „Nach Ablauf des Verfallsdatums besteht die Gefahr, dass sich die Zusammensetzung der Produkte verändert und damit das Risiko einer Verunreinigung durch Bakterien und Schimmelpilze steigt“, sagt sie. „Wenn du sie auf dein Gesicht aufträgst, kann das zu Irritationen oder Porenverstopfung führen, die sich zum Beispiel in Form von Juckreiz oder Pickeln äußern können.“ Dr. Wedgeworth fügt hinzu: „Wenn du bereits eine geschwächte Hautbarriere [z. B. trockene, schuppige, gereizte Haut] oder eine bestehende Hauterkrankung hast, besteht ein höheres Risiko für Infektionen oder Reizungen.“ Besonders in diesen Fällen rät Dr. Wedgeworth, sich genau an das Verfallsdatum zu halten.

Dermatologinnen und Dermatologen sind eher vorsichtig, vor allem, weil sie täglich mehrere Hautkrankheiten behandeln. Aber wie kannst du feststellen, ob dein Make-up abgelaufen ist? Es ist wichtig zu wissen, dass jedes Produkt – egal wie teuer, selten oder beliebt es ist – irgendwann abläuft. Die Stabilität einer Emulsion ist nicht unendlich und sie baut sich mit der Zeit ab. Die Aufgabe von Kosmetik-Chemiker:innen ist es, im Labor Stabilitätstests durchzuführen, um die Haltbarkeit eines Produkts zu bestimmen.

„Wenn Produkte auf ihre Stabilität getestet werden, wird eine sogenannte PAO (period after opening, die Verwendungsdauer – also die Zeit, in der das Produkt nach dem Öffnen haltbar ist) festgelegt, die angibt, wie lange ein Produkt nach dem Öffnen garantiert ‚gut‘ oder stabil ist“, sagt Ramón Pagán, Kosmetikchemiker, Produktentwickler und Kosmetiker. „Wenn du dir die Rückseite deiner Kosmetika ansiehst, wirst du ein kleines Tiegeldesign mit einer Zahl darin sehen. Das ist die PAO.“ Auf die Nummer folgt in der Regel ein M (für „Monate“), sodass du das Haltbarkeitsdatum eines Produkts leicht im Auge behalten kannst.

Abgesehen von der Verwendungsdauer kannst du, wenn ein Produkt in die Jahre gekommen ist, einige unangenehme Veränderungen an der Formel feststellen. Laut Ramón sind diese von Produkt zu Produkt unterschiedlich. „Flüssige Produkte wie Foundations sind eine Mischung aus Wasser und Silikon oder Öl, und wenn diese schlecht werden, kann es dazu führen, dass sich Öl und Wasser voneinander trennen. Du kannst eine Veränderung der Konsistenz, der Textur und des Trageverhaltens feststellen. Da sie Wasser enthält, kann sie auch Mikrobenwachstum entwickeln“, sagt er. Vielleicht siehst du die Bakterien nicht wachsen, aber wenn dein Lieblings-Teintprodukt anfängt, einer Lavalampe zu ähneln oder eine uneinheitliche, flüssige Textur abgibt, ist es Zeit, sich zu verabschieden.

Flüssigkeiten sind wahrscheinlich am offensichtlichsten, aber was ist mit Lippenstiften und Cremeprodukten? Bei diesen wirst du vielleicht erst eine Weile nach dem Verfallstag eine Veränderung bemerken. Das liegt daran, dass Formeln auf Öl- und Wachsbasis in der Regel wasserfrei sind und daher ein geringeres Risiko einer ernsthaften mikrobiellen Verunreinigung besteht. Das ist eine gute Sache, aber das bedeutet nicht, dass du sie für immer behalten kannst. „Diese Produkte enthalten Lipide, die oxidieren, sodass sie irgendwann ranzig werden und schlecht riechen“, warnt Ramón. Oftmals riecht der Lippenstift dann wie ein Buntstift. Wenn das passiert, ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass das Produkt schlecht geworden ist.

Du wirst es auch nicht gerne hören, aber Wimperntusche ist eine Brutstätte für Bakterien und sollte alle drei bis sechs Monate ausgetauscht werden. „Da der Stift so nah an der Schleimhaut der Augenpartie verwendet wird (und dann wieder in die feuchte Mascara-Tube eingeführt wird), bietet er Mikroben eine perfekte Umgebung für ihr Wachstum“, sagt Ramón. Die Verwendung von Wimperntusche nach ihrem Ablaufdatum kann zu Augeninfektionen führen. Die Art und Weise, wie viele von uns Mascara benutzen, ist auch nicht gerade hilfreich. Durch das Pumpen mit dem Stift gelangt Luft in die Tube – und das ist eine Einladung für Bakterien. Wenn eine Wimperntusche ausgetrocknet ist oder ihre Textur, Farbe oder ihren Duft verändert hat, ist sie abgelaufen und muss sofort weggeworfen werden.

Hier die gute Nachricht: Alte Puderlidschatten, Rouge, Bronzer und Highlighter können durchaus noch verwendet werden. „Puder enthält normalerweise kein Wasser, das mikrobielles Wachstum fördert, und auch keine Öle, die ranzig werden könnten“, erklärt die Kosmetikchemikerin Alex Padgett. „Die meisten Puderprodukte sind einfach nur Puder und können daher nicht wirklich verderben.“ Alex sagt sogar, dass sie immer noch eine Palette aus dem Jahr 2014 benutzt.

Es gibt allerdings Bedingungen für diese Nachsicht. „Wenn du deine Puderprodukte richtig behandelst“, sagt Alex, „musst du sie nach Ablauf des Verfallsdatums nicht wegwerfen.“ Das bedeutet, dass du den Deckel jedes Mal schließen musst, wenn du ein Produkt benutzt hast, und es in einer trockenen Umgebung aufbewahren solltest (nicht in einem heißen, feuchten Badezimmer). Achte auch darauf, dass du saubere Pinsel verwendest, um Puderprodukte aufzutragen. „Wenn du Puderprodukte mit den Fingern aufträgst, können die natürlichen Öle deiner Haut zurückbleiben und dort, wo du sie wiederholt berührt hast, eine Farb- oder Texturveränderung verursachen“, sagt Alex. „Statt einer pudrigen Konsistenz wird es dichter, dunkler und sieht vielleicht nass aus. In diesem Fall musst du sie wegwerfen.“

Beauty-Fans auf Reddit haben die Frage aufgeworfen, ob das Verfallsdatum auf Produkten ein Trick ist, um die Verbraucher zum Nachkaufen zu bewegen. Andere bekräftigen die Expert:innenmeinungen in diesem Artikel und weisen darauf hin, dass Marken mithilfe des Datums sicher vorhersagen können, wie lange ihre Produkte haltbar sind. Die meisten Marken verwenden zum Beispiel eine Art von sicheren Konservierungsmitteln in ihren Kosmetikprodukten. Diese sind in Kosmetika unverzichtbar, denn sonst würden wir Bakterien und Schimmel auf unsere Haut auftragen. Aber es gibt einen Trend zu „sauberem“ Make-up ohne Konservierungsstoffe. Die Verwendungsdauer solcher Make-up-Produkte ist daher deutlich kürzer.

All das zu wissen, muss nicht in einem Make-up-Massaker enden. Beginne damit, deine Schminktasche zu entrümpeln, indem du die Nutzungsdauer all deiner Produkte überprüfst. Wenn du herausgefunden hast, welche Produkte technisch abgelaufen sind, gehst du sie durch und machst eine intuitive Auswertung mit deinen Sinnen. Wenn du Zweifel hast, wirf sie weg.

Wenn deine Produkte nicht abgelaufen, in gutem Zustand und desinfiziert sind (du kannst Desinfektionsspray für Make-up kaufen), kannst du sie an Freund:innen und Verwandte weitergeben. Es kann sich auch lohnen, bei deiner örtlichen Frauenhilfsorganisation nachzufragen, ob sie ungewolltes Make-up annehmen.

Sobald du dich entschieden hast, was du behalten willst, ist es an der Zeit, deine Hygienemaßnahmen zu verbessern. Dazu gehört, dass du dir die Hände desinfizierst, bevor du deine Finger in das Make-up tauchst, und deine Schminkpinsel wöchentlich reinigst. Ein weiterer Trick, den ich von den Expert:innen gelernt habe, ist, Augen- und Lippenstifte jedes Mal anzuspitzen, wenn du sie benutzt, um das Bakterienwachstum auf der obersten Schicht zu entfernen. Es lohnt sich auch, deine Lippenstifte regelmäßig mit Isopropylalkohol zu besprühen (im Grunde genommen Reinigungsalkohol).

Make-up wegzuschmeißen, mag verantwortungslos für die Umwelt sein, deshalb lohnt es sich, beim Einkaufen clever zu sein. Sieh dir nicht nur jeden einzelnen Artikel in deinem Kit an, sondern frage dich auch: Werde ich es benutzen? Und vor allem: Brauche ich es? Wenn die Antwort nein lautet, ist es wahrscheinlich am besten, es im Regal stehenzulassen. Schließlich steckt in vielen von uns, die mit Beauty-YouTube und Haul-Videos aufgewachsen sind, ein Make-up-Hamster. Das ist keine Schande. Die Einstellung „Verschwende nichts, was du nicht willst“ ist richtig, besonders im Jahr 2022. Make-up ist teuer, also macht es Sinn, ein Produkt bis zum letzten Krümel auszukratzen.

Und ich? Ich denke, es ist höchste Zeit, dass ich auf die Expert:innen höre und eine Beerdigung für meine fünf Jahre alte Lidschattenpalette organisiere. Möge sie in Frieden ruhen.