Vom feuchtigkeitsspendenden Glycerin bis zum pickelbekämpfenden Benzoylperoxid: Inzwischen gibt es so viele beliebte Hautpflege-Wirkstoffe, dass es absolut verständlich ist, wenn dich die ganzen Begriffe ein wenig verwirren. Kein Wunder, dass viele von uns vor lauter Überforderung inzwischen die eigene Hautpflege-Routine auf das absolute Minimum zurückschrauben und lieber auf eine Handvoll Basic-Produkte vertrauen, deren Wirksamkeit auch wirklich erwiesen ist.
Einer der derzeit meistgehypten Wirkstoffe ist Tretinoin. Wenn du dich durch TikTok scrollst, wirst du dort schnell über jede Menge Posts von Dermatolog:innen, Ärzt:innen und Beauty-Profis stolpern, die davon schwärmen. Mit über 565 Millionen TikTok-Views ist Tretinoin aktuell eindeutig einer der meistgesuchten Wirkstoffe in der App.
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Dennoch ist es verhältnismäßig schwer, den Stoff selbst in die Hände zu bekommen: Tretinoin-Produkte sind verschreibungspflichtig – und das aus gutem Grund. Daher betrachten viele Skincare-Expert:innen den Trend zum Tretinoin auch eher skeptisch. Die Londoner Ästhetikerin Alicia Lartey ist der Meinung, wir sollten den Tretinoin-Hype nur mit Vorsicht genießen. „Ich finde nicht, dass Tretinoin auf TikTok hätte viral gehen sollen“, meint sie. Alicia empfindet es vor allem als „verantwortungslos von Influencer:innen“, die Tretinoin empfehlen – obwohl die Mehrzahl von ihnen überhaupt keine Hautpflege-Expertise vorzuweisen hat. Tretinoin ist nämlich ein Medikament, nicht nur ein „Beauty-Geheimtipp“.
Hier kommt nun also alles, was du wissen solltest, bevor du dir Tretinoin verschreiben lässt.
Was ist Tretinoin und was bringt es der Haut?
Alicia erklärt mir, Tretinoin sei eine topische Retinolsäure (gewonnen aus Vitamin A). „Tretinoin hilft gegen Akne, Zeichen der Hautalterung, ungleichmäßige Hauttextur und Pigmentflecken“, sagt sie. Der Dermatologe Dr. Adil Sheraz ergänzt, Tretinoin könne die Elastizität der Haut verbessern (und sie somit glatter und praller erscheinen lassen) sowie den Teint ausgleichen.
Worin unterscheiden sich Tretinoin, Retinol und Retinal?
Um zu verstehen, wie genau Tretinoin wirkt, sollte man sich erstmal mit der Wirkstoffpyramide beschäftigen, zu der es gehört. Dr. Sheraz erklärt, dass Tretinoin Teil der Retinoid-Familie ist – einer Vielzahl verschiedener Retinoide, die in zahlreichen Hautpflegeprodukten enthalten sind.
Tretinoin steht auf dieser Pyramide ganz oben. „Es ist die potenteste Form eines topischen Retinoids“, erklärt Dr. Sheraz. Darunter steht Retinaldehyd, auch bekannt als Retinol, das vor allem in diesem Jahr in vielen Produkten vertreten ist – wie in jenen von Medik8, Youth To The People und AHC. Ohne jetzt in einen wissenschaftlichen Vortrag auszuarten, erklärt Dr. Sheraz, Retinal werde in den Hautzellen „umgewandelt“ und dadurch aktiviert. „Retinal ist schwächer als Tretinoin, aber stärker als Retinol“, sagt er.
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Retinal ist Alicias liebstes rezeptfreies Retinoid. „Es hat außerdem antibakterielle Eigenschaften“, meint sie, „und das ist super bei zu Akne neigender Haut.“ Noch dazu wirkt es schneller als Retinol.
Auf der Stufe unter Retinal steht Retinol. „Das erfordert mehrere Umwandlungen in der Haut, um zu wirken, und ist deutlich schwächer als Tretinoin“, erklärt Dr. Sheraz. Das ist aber nicht zwangsläufig schlecht. „Weil es weniger potent ist, reizt es die Haut auch weniger und ist daher rezeptfrei verfügbar.“
Auf der untersten Stufe der Retinoid-Pydramide findest du schließlich das sogenannte Retinylpalmitat. Alicia zufolge ist das die schwächste Form eines Retinoids, und obwohl es in vielen Hautpflegeprodukten zum Einsatz kommt, glaubt sie persönlich nicht, dass es viel für die Haut leiste. Genau daher mag sie es von allen Retinoiden am wenigsten.
Um es kurz zu sagen: Tretinoin ist der stärkste der vier Wirkstoffe, aber auch in verschiedenen Stärken verfügbar.
Wo bekomme ich Tretinoin?
Im Gegensatz zu Retinol, Retinal und Retinylpalmitat ist Tretinoin in Deutschland rezeptpflichtig (auch wenn das nicht für alle Länder gilt) und muss dir daher von einem Arzt oder einer Ärztin verschrieben werden, meist von Dermatolog:innen. Daher kommst du um eine dermatologische Untersuchung nicht drumrum, wo überprüft wird, ob sich deine Haut für die Behandlung eignet – und welches Tretinoinprodukt für dich das richtige sein könnte. Schließlich gibt es Cremes und Gele mit verschiedenen Stärken und Konzentrationen.
Für wen ist Tretinoin geeignet?
Wer schon andere Formen von Retinoiden ausprobiert hat, aber bisher keine großen Verbesserungen der Haut feststellen konnte, ist gut für Tretinoin geeignet, meint Dr. Sheraz. „Vorausgesetzt, du hast keine empfindliche Haut oder eine angegriffene Hautschutzbarriere“, ergänzt er. Das kann sich in Form von wunder, schuppiger, trockener, geröteter oder anderweitig gereizter Haut äußern. Auch Betroffene von moderater Akne können von Tretinoin profitieren, vor allem, weil auf die Pickel meist Pigmentflecken, Unebenheiten und/oder Ungleichmäßigkeiten im Teint folgen.
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Wie verwende ich Tretinoin?
Alicia erklärt, dass dir dein:e Dermatolog:in vermutlich erst einmal ein niedrigkonzentriertes Tretinoin verschreibt (zum Beispiel 0,0015-prozentiges Tretinoin). „Es wird auch empfohlen, alle anderen Peelingprodukte aus der Pflegeroutine zu streichen (wie chemische Säuren wie Glykol- oder Salicylsäure) und stattdessen auf barrierereparierende Pflege zu setzen“, sagt sie. Dazu gehört beispielsweise ein sanfter, simpler Moisturizer. Alicia schwört bei sensibler Haut auf die „Sandwich“- bzw. „Buffering“-Methode, bei der du vor und nach dem Tretinoin eine Feuchtigkeitscreme aufträgst. „Anfangs verwendest du Tretinoin nur ein-, zweimal pro Woche abends, bis sich deine Haut daran gewöhnt hat“, erklärt sie.
Dr. Sheraz stimmt zu, dass andere „aktive“ Produkte ganz aus der Pflegeroutine gestrichen werden sollten. Dazu gehören auch andere retinolbasierte Produkte sowie Benzoylperoxid, das meist genutzt wird, um die Entstehung von Pickeln zu verhindern. Aufgrund ihrer großen Risiken – zum Beispiel in Zusammenhang mit Hautkrebs – sollten Solarien der Hautgesundheit zuliebe ohnehin vermieden werden, insbesondere aber während der Verwendung von Tretinoin, warnt Dr. Sheraz. „Tretinoin sollte außerdem nicht während der Schwangerschaft oder Stillzeit genutzt werden.“
Wenn dir Tretinoin verschrieben wird, meint Dr. Sheraz, sollte dein Hautarzt bzw. deine Hautärztin immer sicherstellen, dass du genau weißt, wie du deine Haut ordentlich mit Feuchtigkeit versorgst. Obwohl das vielleicht wie Grundwissen erscheint, können Retinoide die Haut stark austrocknen – die richtige Feuchtigkeitspflege ist also Pflicht. Such dazu nach sanften, beruhigenden Wirkstoffen wie Hyaluronsäure, Glycerin, Sheabutter und Panthenol. Tagsüber ist außerdem Sonnenschutz ein Muss, weil Retinoide die Haut anfälliger für schädliche UV-Strahlen machen können.
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Welche Nachteile hat Tretinoin?
Tretinoin ist ein durchaus beeindruckender Wirkstoff, sollte aber unbedingt mit Vorsicht genossen werden. Weil es ein potentes topisches Medikament ist, meint Dr. Sheraz, „kann es bei manchen Leuten zu ernsthaften Hautreizungen, Rötungen, Schuppungen und Entzündungen führen.“ Dadurch fühlt sich die Haut unangenehm wund an. Wenn es dazu kommt, solltest du davon ausgehen können, dass dein Arzt oder deine Ärztin auch weiß, wie sich diese Nebenwirkungen behandeln lassen, „und dir etwas verschreiben können, das deine Haut gegebenenfalls wieder beruhigt“, ergänzt Dr. Sheraz. Aufgrund seiner austrocknenden Wirkung kann Tretinoin außerdem Ekzeme hervorrufen. „Genau deswegen gehört zur Behandlung mit Tretinoin auch immer ein guter Moisturizer.“
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