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Meine Freundin betrügt ihren Partner. Sollte ich es ihm sagen?

Foto: Refinery29.
Wenn du schon mal in der Lage warst, dir überlegen zu müssen, dich von einer befreundeten Person zu distanzieren, lag das vermutlich am Verhalten dieses Menschen dir gegenüber. Der 26-jährigen Charlotte* ging es dabei aber darum, wie ihre Freund:innen andere Leute behandelten. Das Ganze passierte vor ein paar Jahren, als Charlotte mit zwei Freund:innen feiern war – und diese beiden miteinander schliefen, obwohl einer von ihnen eine Freundin hatte. „Sie flehten mich an, seiner Freundin nichts davon zu erzählen. Mit der war ich aber auch befreundet“, erinnert sie sich. „Am Ende musste ich mich von ihnen allen zurückziehen, weil ich mit den Schuldgefühlen einfach nicht klarkam.“
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Untreue kann sich langfristig auf die mentale und emotionale Gesundheit auswirken. Das kann nicht nur für zukünftige Vertrauens- und Beziehungsprobleme sorgen, sondern auch das Selbstwertgefühl einer Person zerstörten. Betrugstrauma – also das Trauma, das daraus entsteht, von einer geliebten Person hintergangen worden zu sein – ist absolut real und kann sogar doppelt so schlimm sein, wenn du zum Beispiel nicht bloß von einem:einer Partner:in, sondern auch von deinen Freund:innen betrogen wurdest.
Was würdest du tun, wenn du in Charlottes Situation wärst? Natürlich ist es leicht gesagt, zu behaupten, du hättest der Freundin von Charlottes Kumpel direkt alles erzählt; wenn du aber selbst mal von einem geliebten Menschen angefleht würdest, dieses zerstörerische Geheimnis für dich zu behalten, sähe das vielleicht in Wahrheit ganz anders aus. „Es ist eine enorme Last“, meint Charlotte. „Ich habe dadurch das Gefühl, eine Freundin anzulügen, und das widerspricht meinen Moralvorstellungen.“
Die 23-jährige Elise* versteht genau, wie Charlotte das meint. Eine ihrer Freundinnen ist andauernd unehrlich zu ihrem Partner, doch Elise kann nur hilflos zusehen. „Das ist furchtbar“, sagt sie. „Ich fühle mich schuldig, weil mir mein moralischer Kompass immer wieder einredet, ich sollte ihrem Partner davon erzählen. Das würde aber meine Freundschaft kaputtmachen. Also sind mir quasi die Hände gebunden.“
Deine eigene Moral zu verraten, kann dein Gewissen stark belasten und sich dabei auch auf deine geistige Gesundheit auswirken. Wer das Gefühl hat, sich unmoralisch verhalten zu haben – indem man zum Beispiel die Untreue einer befreundeten Person für sich behält –, leidet daraufhin nachweislich unter Schuld- und Schamgefühlen, die wiederum auch beispielsweise bei einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und Depressionen beobachtet werden. Trotzdem wäre es vielleicht genauso schmerzhaft (oder sogar noch schmerzhafter), eine:n deiner besten Freund:innen zu verlieren. Was kannst du in einer solchen Situation also tun?
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Die australischen Philosophie-Professor:innen Dean Cocking und Jeanette Kennett sind der Meinung, dass der Verzicht auf die eigene Moral zu einer Freundschaft aber auch grundlegend dazugehört. „Sie behaupten, Freundschaft enthalte ohnehin das Risiko der Korruption der eigenen Moral, weil es laut ihnen zu einer Freundschaft gehört, dich in vielen Situationen den Entscheidungen der anderen Person zu unterwerfen – unabhängig von deren Motivation dahinter“, erklärt der Philosoph Daniel Koltonski, der sich mit Fragen zu Ethik, Freundschaften und Beziehungen befasst. Kurz gesagt bedeutet das, dass es zu einer Freundschaft gehört, gelegentlich auch mal etwas Falsches zu tun, wenn dich ein:e Freund:in dazu auffordert. Und das kann eben auch bedeuten, ein Geheimnis zu bewahren.
Koltonski sieht das im Vergleich zu Cocking und Kennett aber etwas weniger eindeutig. Er findet, dass dich eine Freundschaft immer dazu verpflichtet, deinen Freund:innen die Selbstbestimmung zu ermöglichen, eigene Entscheidungen zu treffen (und eben auch Fehler zu machen). Diese Regel gilt aber nur, wenn er oder sie mehr zu verlieren hat als du, solltest du das Geheimnis weitererzählen. Oder um es anders zu sagen: Wenn die moralische Entscheidung (in diesem Fall zum Fremdgehen) nur deine:n Freund:in betrifft, dein eigenes Leben aber nicht wirklich beeinflusst, solltest du die Entscheidung deines Freundes oder deiner Freundin respektieren – vorausgesetzt, du denkst, dein:e Freund:in würde dasselbe auch für dich tun. Ansonsten entsteht nämlich ein Ungleichgewicht. Zu guter Letzt solltest du unbedingt daran glauben können, dass er oder sie eigentlich doch noch das Richtige tun will. Wenn all diese Bedingungen erfüllt sind, ist es moralisch „richtig“, dich der Entscheidung deines Freundes oder deiner Freundin zu fügen – selbst wenn das bedeutet, dass du lügen musst oder dich zumindest mitschuldig machst, findet Koltonski. „Selbst wenn du dabei moralische Bedenken hast, ist das sein oder ihr Leben, seine oder ihre Beziehung. Er oder sie hat dabei mehr zu verlieren. Du solltest also tun, was er oder sie von dir will – nicht zwangsläufig das, was du in dem Moment als richtig empfindest.“
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Ihm zufolge musst du dazu aber verstehen können, was diese Person dazu motiviert. „Versucht er oder sie, etwas moralisch Akzeptables zu tun, das du einfach nur anders betrachtest?“, sagt er. „Oder scheißt er oder sie wirklich auf die Moral? Wenn du dich in dieser Situation dem Willen der anderen Person unterwirfst, kannst du dir selbst nicht vormachen, etwas moralisch Akzeptables zu tun.“ Frage dich selbst: Glaubt dein:e Freund:in, vermeiden zu können, anderen wehzutun? Will er:sie früher oder später doch noch ehrlich sein? Oder will er:sie einfach in Ruhe weiter den:die Partner:in betrügen und damit durchkommen?
Gleichzeitig solltest du dir bewusst machen, dass „ein striktes Moralgefühl nicht unbedingt mit dem Chaos des Lebens vereinbar ist“, meint Koltonski. Wenn du deine Moral über alles andere stellst, könnte es schwierig werden, irgendeine Freundschaft aufrechtzuerhalten, sagt er – denn wir alle verhalten uns dann und wann mal unmoralisch. Wenn dir dein:e Freund:in also sehr wichtig ist, kann es diese Freundschaft wert sein, gelegentlich auch mal deine persönliche Moral zu missachten. „Manchmal müssen wir mit unseren eigenen moralischen Prinzipien brechen, um diese wichtigen Beziehungen aufrechtzuerhalten“, meint er. „Schwierig ist bloß die Frage, wie weit dieses Missachten gehen sollte.“ Laut Koltonski solltest du dich selbst fragen, wie wichtig es dir ist, nach deiner eigenen Moral zu leben und wichtige Beziehungen zu bewahren – und zu hinterfragen, wann du dazu bereit bist, das eine zugunsten des anderen zu opfern. Diese Entscheidung ist ihm zufolge aber eine ganz persönliche.
Letztlich sind diese Fragen aber eben auch nur entscheidend, wenn du diese Freundschaft aufrechterhalten möchtest. Würde dich ein:e wahre:r Freund:in überhaupt in eine so komplizierte Lage bringen? Und möchtest du mit jemandem befreundet sein, der oder die jemanden betrügt? „Deine Freund:innen sollten eigentlich die Menschen sein, die du am meisten respektierst und denen gegenüber du besonders loyal bist“, sagt Elise. „Wenn jemand dein eigenes Vertrauen so sehr bricht, sagt das viel über diesen Menschen aus.“ Charlotte sieht das ähnlich. Weil sie selbst schon betrogen wurde, weiß sie, wie sehr das wehtun kann. „Dabei zuzusehen, wie mein Kumpel seine Freundin betrog, gab mir das Gefühl, ihn gar nicht wirklich zu kennen. Ich fragte mich, ob ich ihm wirklich trauen konnte“, erzählt sie. Schlussendlich distanzierte sie sich von diesem Freund. Elise hat ihre Freundschaft aufrechterhalten, sieht ihre Freundin aber heute in einem anderen Licht.
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Gespräche rund um Moral, Liebe und Freundschaft nehmen schnell abstrakte und komplizierte Formen an. Letztendlich geht es aber darum, was du fühlst. Solange du dein eigenes Leben nach deinem eigenen Moralempfinden führen kannst, weißt du zumindest, dass du dich selbst und deinen inneren Frieden in Ehren hältst. Wenn das für dich bedeutet, eine Freundschaft zu verlieren, ist das eben so. Und vielleicht war es dann von vornherein keine besonders tiefe Freundschaft.
*Name wurde von der Redaktion geändert.
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