Letzten Monat, am ersten sonnigen Wochenende des Jahres, machte ich mich mit ein paar Snacks und einer Flasche Wasser auf den Weg in den Park. Als ich meine Wohnung verließ, rief ich meine Freundin Mary an. Sie lebt in London – und wollte zufällig auch gerade in einen Park bei ihr um die Ecke. Als wir uns also telefonierend in zwei verschiedenen Parks ins Gras setzten, Hunderte Kilometer voneinander entfernt, fühlte sich das an, als säßen wir direkt nebeneinander.
Ich treffe mich mit Mary nur etwa einmal pro Jahr. Wir telefonieren aber andauernd miteinander, und wenn wir gerade mal nicht zum Quatschen kommen, schicken wir uns via WhatsApp endlose Sprachnachrichten oder planen genau, wie und wann wir uns das nächste Mal sehen könnten. Das war nicht immer so. Vor der Corona-Pandemie hatten wir nur über einen Gruppenchat mit zwei anderen Freundinnen in anderen Städten Kontakt, und selbst dort schrieben wir nur sporadisch miteinander. Wir waren alle viel zu beschäftigt mit unseren „echten“ Freund:innen, die wir im echten Leben umarmen konnten.
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Dann kam der Lockdown, und es dauerte nicht lange, bis wir jeden Tag von früh bis spät im Gruppenchat schrieben und uns ab und zu mal via Zoom „trafen“. Während des ersten Lockdowns hing ich quasi rund um die Uhr am Handy und freute mich über die unzähligen Benachrichtigungen. Wir schrieben über banale Dinge, aber auch über Ernstes wie Beziehungsprobleme, unsere geistige Gesundheit und generell die Realität in der Selbstisolation.
Was ich an dieser Zeit so schön fand, war, dass sie mich Freund:innen in anderen Städten oder Ländern viel näher brachte, als ich ihnen seit Jahren gewesen war. Und weil sich ja ohnehin niemand miteinander treffen konnte, fand unser aller Sozialleben jetzt eben online statt. Wir schickten uns Memes, tauschten uns über unseren Alltag aus, und unsere Freundschaften wurden enger denn je.
Die Wahrheit ist: In der realen Welt, vor Corona, waren digitale Kontakte eben nur zweitrangig gewesen. Persönliche Gespräche und Treffen waren immer die Nummer Eins. Ich hätte mich viel lieber mit meinem Freundeskreis in einer Bar getroffen, anstatt den ganzen Abend am Handy zu hängen – selbst wenn ich dann mit meiner allerbesten Freundin telefoniert hätte. Weil meine Lieblingsoption durch Corona aber eben nicht mehr möglich war, stellte ich dann doch fest, wie erfüllend solche Freundschaften via Handy doch sein können. Inzwischen ziehe ich sie sogar großen Gruppentreffen vor. Die Pandemie zwang mich dazu, meine „Fernfreundschaften“ zu pflegen – und das hat mein Leben verschönert.
Auch die 33-jährige Eileen hat etwas Ähnliches erlebt. Sie kennt ihre beste Freundin schon seit ihrer Geburt; inzwischen leben sie aber schon seit Jahren in verschiedenen Ländern. „Ich glaube nicht, dass die Pandemie zwischen uns viel verändert hat“, erzählt sie. „Tatsächlich hat sie uns einander sogar eher näher gebracht, weil wir häufiger skypten oder telefonierten.“ Obwohl Eileen meint, dass es seit Corona schwieriger geworden ist, ihre Freundin zu treffen, stört sie das kaum. „Bei einer echten Freundschaft macht die Distanz kaum einen Unterschied“, sagt sie. „Man gewöhnt sich dran.“
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Leider läuft das aber nicht immer so. Für manche – wie die 27-jährige Fran – wurden die Fernfreundschaften durch die Pandemie noch schwieriger. „Mir wurde klar, dass ich keine pflegeintensiven Freundschaften führen kann“, erzählt sie. „Die Gespräche, die ich jetzt mit Freund:innen in der Ferne führe, gehen eher in Richtung Smalltalk. Obwohl das bedeutet, dass wir uns auseinandergelebt haben, macht mir das nichts aus.“ Für Fran fühlte es sich unnatürlich an, während der Pandemie mehr Kontakt zu ihren Freund:innen zu haben, obwohl es gleichzeitig schwieriger war denn je, sich zu treffen. „Deswegen investiere ich einfach nicht mehr so viel Mühe wie früher“, sagt sie. „Seitdem sind meine Freundschaften nicht mehr dieselben. Ich habe mit der Zeit akzeptiert, dass wir uns nicht mehr so nah stehen.“
Es stimmt: Dank der Pandemie wurde vielen von uns klar, dass sie nicht rund um die Uhr für WhatsApp-Nachrichten oder FaceTime-Anrufe verfügbar sein können oder wollen. Weniger pflegeintensive Freundschaften sind natürlich auch deutlich einfacher zu führen, wenn ihr ohnehin in der Nähe voneinander wohnt und euch darauf verlassen könnt, einander bei der nächsten Party oder dem nächsten Treffen zu sehen, ohne das explizit so abzusprechen. Wenn du hingegen Hunderte Euro hinblättern musst, um in eine andere Stadt (oder sogar ein anderes Land) zu reisen, ist das schon schwieriger. Ohne regelmäßige Treffen ist es dann unvermeidbar, dass manche Freundschaften im Sand verlaufen.
Zugegeben: Meine Fernfreundschaften funktionieren genau deswegen so gut, weil sie eben viel Aufmerksamkeit erfordern. Das stört mich aber nicht. Ich würde immer viel lieber mit einem Freund oder einer Freundin quatschen, anstatt mir auf dem Arbeitsweg oder der Fahrt zum Fitnessstudio Musik anzuhören. Noch dazu führen Mary und ich ziemlich ähnliche Liebe. Wir sind zum Beispiel beide selbstständig und demnach nicht an die Zeitbeschränkungen eines 40-Stunden-Jobs gebunden. Wir können uns einander jederzeit anrufen und davon ausgehen, dass die jeweils andere vermutlich Zeit zum Quatschen hat. Das macht es viel leichter, den Kontakt aufrechtzuerhalten.
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Anderen, wie der 26-jährigen Dani, fällt es hingegen viel schwerer, eine Freundschaft ohne regelmäßige Treffen zu führen. „Fernfreundschaften sind für mich sehr schwierig, weil ich immer das Gefühl habe, ohne den persönlichen Kontakt eine Distanz aufzubauen“, erzählt sie. „Bei mir sind dadurch schon einige gute Freundschaften einfach eingeschlafen. Heute folgen wir uns nur noch via Social Media. Vielleicht geht das nur mir so – aber ohne regelmäßigen Kontakt in Person fühlt sich das an, als würde man in verschiedenen Welten leben.“
Das war laut der Psychotherapeutin Eloise Skinner während der Pandemie eines der größten Probleme für diejenigen in Fernfreundschaften. „Zu den größten Herausforderungen von Fernfreundschaften gehört die ineffektive Kommunikation (zum Beispiel, wenn Dinge falsch verstanden oder interpretiert werden) oder die Schwierigkeit, über tiefere, bedeutsamere Themen zu sprechen“, erklärt sie.
Anderen fiel es ihr zufolge hingegen während der Pandemie sogar leichter, über ebenjene Themen zu reden. „Durch Corona wirkten diese Themen vielleicht weniger abschreckend, weil wir zu dem Zeitpunkt alle mit geteilten Herausforderungen zu kämpfen hatten“, sagt sie. „In einer Fernfreundschaft war es daher zum Beispiel sogar leichter, über ernstere Themen zu sprechen, weil wir alle Ähnliches durchlebten.“
Das kann ich so unterstreichen. Während des Lockdowns hatten meine Freund:innen und ich viele gemeinsame Schwierigkeiten zu bewältigen, obwohl wir doch Welten voneinander entfernt lebten. Und selbst ohne diese Herausforderungen macht das Leben in verschiedenen Welten für mich einen der großen Vorzüge dieser Freundschaften aus: Uns mangelt es nie an Gesprächsthemen, weil wir nie genau dasselbe erleben. Dadurch können wir außerdem viel mehr voneinander lernen.
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Ein weiterer Faktor, der viele Fernfreundschaften während der Pandemie beendete, war deren Einfluss auf die geistige Gesundheit. Lexi, 26, lernte eine ihrer besten Freundinnen (die in Brasilien lebt) über ihr Seminar zur Doktorarbeit kennen. Die beiden führen schon immer eine Fernfreundschaft. „Als Corona auf dem Höhepunkt war und wir online miteinander sprachen, fiel uns das echt schwer, weil es uns beiden schlecht ging“, erzählt sie.
Die Pandemie hatte eindeutig einen enormen Einfluss darauf, wie wir Freundschaften betrachten und unsere Zeit verbringen wollen – und dieser Einfluss war nicht immer positiv. Manche Freundschaften wurden enger, andere zerbrachen. Ich persönlich finde, dass du aus einer Freundschaft genau das bekommst, was du reinsteckst – und es ist keine einfache Sache, eine Freundschaft über Hunderte oder gar Tausende Kilometer hinweg aufrechtzuerhalten.
Das funktioniert laut Skinner am besten durch kurze, aber regelmäßige Kommunikation. „Wenn zwischen euren Kontaktaufnahmen große Lücken liegen, kann es sehr schwer sein, den Rhythmus der Freundschaft wiederzufinden“, sagt sie. „Das lässt sich aber durch regelmäßige, unkomplizierte Kommunikation beheben. Vielleicht schickt ihr euch Instagram-Posts zu, oder Artikel, die die andere Person interessieren könnten; vielleicht teilt ihr regelmäßig Fotos miteinander oder schreibt euch, dass ihr aneinander denkt.“
Wenn dann doch mal eine Weile ohne jeglichen Kontakt vergeht, kann es Überwindung kosten, sich beieinander zu melden. Wenn dir diese Freundschaft aber am Herzen liegt, ist es wichtig, es einfach zu tun. „Vielleicht schreibst du zuerst eine kurze Nachricht, in der du die Person wissen lässt, dass du an sie denkst und gern mal wieder telefonieren oder zoomen würdest“, meint Skinner. „So eine Nachricht erfordert nicht viel Aufwand. Gleichzeitig lässt du die Person dadurch aber wissen, dass du an sie denkst und eure Freundschaft schätzt.“
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Natürlich ist mir klar, dass es viel schöner wäre, wenn meine Fernfreundschaften hier um die Ecke leben würden. Ich finde aber auch, dass der erschwerte Zugang zu den Menschen, die dir am Herzen liegen, dafür sorgen kann, dass du sie umso mehr zu schätzen weißt. Genau dadurch wird eure gemeinsam verbrachte Zeit nämlich umso wertvoller. Das hat mir die Pandemie wirklich gezeigt – und dafür bin ich ehrlich dankbar.
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