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Wir müssen über TikToks absurden „Erdbeerbeine“-Trend reden

Foto: Serena Brown.
Der Sommer ist offiziell da – und mit ihm Aperol Spritz und hübsche Sommerkleider. Für viele Menschen bringt das heißersehnte warme Wettter aber eben auch den Druck, schnell eine „Sommerfigur“ zu bekommen.
Künstliche Schönheitsstandards haben sich im Laufe der Zeit immer weiterentwickelt. Nehmen wir zum Beispiel mal die moderne „Body Positivity“-Bewegung, die uns dazu ermutigt, unsere Körper zu lieben – egal, wie sie aussehen. Zumindest in den sozialen Netzwerken scheint diese Einstellung aber noch nicht komplett angekommen zu sein, denn sobald die sonnige Jahreszeit beginnt, erinnern uns virale Beauty-Trends wie Achselaufhellung oder Anti-Cellulite-Tools immer wieder daran, dass wir doch bitte alle möglichst flache Bäuche, spiegelglatte Oberschenkel und viele andere vermeintlich „perfekten“ Attribute mitbringen sollten.
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Was sind „strawberry legs“ (z. Dt.: „Erdbeerbeine“)?

TikTok ist voller Tipps und Tricks, um beispielsweise Körperbehaarung zu reduzieren oder sogenannte „Hip Dips“ an den Hüften zu kaschieren. In letzter Zeit sind TikToker:innen aber vor allem besessen von sogenannten „strawberry legs“ – und insbesondere davon, wie man sie „loswird“. „‚Strawberry legs‘ beziehen sich auf die kleinen roten oder braunen Pigmentflecken an den Beinen, die normalerweise um Haarwurzeln herum entstehen“, erklärt die Dermatologin Dr. Penelope Pratsou. Diese Follikel erinnern an die winzigen Kerne auf der Oberfläche einer Erdbeere – daher auch der Name „Erdbeerbeine“.
Vielleicht hast du auch schon 2019 von dem Begriff gehört, dank eines viralen Tweets über die winzigen Haarwurzeln auf Beyoncés Beinen. Frauen of color neigen dank ihrer verstärkten Melaninpräsenz in der Haut eher zu deutlichen „Erdbeerbeinen“; Melanin sorgt für die Pigmentierung unserer Haare, Augen und Haut. Obwohl diese dunkel gefärbten Haarwurzeln demnach völlig normal und natürlich sind, gibt es Dr. Pratsou zufolge einige mögliche Ursachen für dieses erdbeerähnliche Aussehen.
Die geläufigste dieser Ursachen ist die sogenannte Keratosis Pilaris (auch bekannt als „Reibeisenhaut“), eine raue oder unebene Hauttextur, die dadurch entsteht, dass Keratin die Haarfollikel verstopft. Studien zufolge könnte Keratosis Pilaris genetisch bedingt sein. Eine weitere mögliche Ursache ist Follikulitis, wobei sich „Haarfollikel entzünden können, nachdem Haare durch Rasieren, Waxing oder andere Methoden entfernt wurden“, erklärt Dr. Pratsou. Bei den meisten Menschen sind „Erdbeerbeine“ aber einfach bloß sichtbare Haarwurzeln. Wenn deine Körperhaare kräftiger sind (sprich: dunkler und/oder dicker) oder du dich regelmäßig rasierst, erkennst du die Wurzeln leichter. Auch der Rasurbrand, der Ausschlag nach der Rasur, wird manchmal als „Erdbeerbeine“ bezeichnet.
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Die emotionale Last, einen spezifischen „Look“ zu erreichen, ist eine Sache; bei der Behandlung von „Erdbeerbeinen“ schaden viele Leute aber sogar ihrer Haut.

Über dieses Phänomen scheinen sich gerade sehr viele von uns den Kopf zu zerbrechen: Die Google-Suchanfragen schnellen in die Höhe, und auf TikTok hat der Hashtag #strawberrylegs inzwischen über 150 Millionen Views. Videos mit Titeln wie „So habe ich meine Erdbeerbeine geheilt“ und „Frauentipps, die ich gerne früher gekannt hätte: Wie man Erdbeerbeine loswird“ bekommen Tausende Likes und Kommentare von User:innen, die sich mit ihren Beinen unsicher fühlen. Aber gibt es denn wirklich einen Grund dafür, dieses Phänomen zu behandeln, oder ist das bloß ein weiteres sinnloses Schönheitsideal, das uns unter dem Vorwand der „Körperpflege“ um die Ohren gehauen wird?
Studien zufolge vergleichen 87 Prozent aller Frauen ihre Körper mit Bildern, die sie in den sozialen Medien sehen; ganze 50 Prozent geben an, sich selbst danach in einem schlechteren Licht zu betrachten. Frauen stehen seit jeher unter dem Druck, so und so auszusehen, meint Dr. Pratsou. Sie ergänzt, dass dieser aktuelle Trend dafür sorgt, dass wir jetzt auch noch auf etwas achten, was uns vorher sonst nie aufgefallen wäre (oder das wir zumindest nie als behandlungswürdiges Problem angesehen haben). 
Dank Bildbearbeitungssoftware und Filtern lassen Instagram, TikTok und Co. die vermeintliche „Perfektion“ natürlicher und möglicher erscheinen, als sie tatsächlich ist, meinen Psycholog:innen. Das befeuert definitiv unsere Unsicherheit und den sozialen Druck, diese Perfektion zu erreichen. Frauen of color leiden häufig sogar noch stärker unter einem negativen Körperbild. Die emotionale Last, einen spezifischen „Look“ zu erreichen, ist eine Sache; bei der Behandlung von „Erdbeerbeinen“ schaden viele Leute aber sogar ihrer Haut.
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Ist die Behandlung von „Erdbeerbeinen“ sicher?

Unter dem Druck dieser fragwürdigen Online-Schönheitsstandards werden Frauen oft (und oft auch unbewusst) dazu beeinflusst, potenziell gefährliche „Hacks“ und Methoden auszuprobieren, die angeblich helfen sollen. Hunderte von „Erdbeerbeine“-Tutorials versprechen porenlose Beine dank diverser aggressiver Behandlungsformen. Dazu zählen zum Beispiel übermäßiges Peelen mit physischen Peelings, „Tools“ und hochkonzentrierten Säuren wie Glykol-, Milch- und Salicylsäure.
Die Ästhetikerin und Hautexpertin Dr. Ana Mansouri erklärt, dass Säuren (auch „chemische Peelings“ genannt) und mechanische Peelings (beispielsweise Scrubs und Werkzeuge wie Haarentfernungssteine) die Hautbarriere zerstören können, wenn sie falsch angewendet werden. Und obwohl viele der dafür benötigten Produkte gute Bewertungen bekommen, kann man es schnell übertreiben. Dieselbe Hautpartie immer wieder zu peelen, kann womöglich zu viel Haut entfernen; das sorgt dann für ernsthafte Hautreizungen.
Anna Tran hat sich ein mechanisches Peeling-Tool gekauft, nachdem sie dazu eine virale TikTok-Werbung gesehen hatte. „Ich hatte schon immer ‚Erdbeerbeine‘, habe mir darüber aber nie viele Gedanken gemacht, weil ich die Flecken für ganz normal hielt“, erzählt sie. „Dann installierte ich TikTok und bekam dauernd diese Werbung angezeigt. Ich schätze, dadurch wurden mir die Flecken viel deutlicher bewusst.“
Anna gab irgendwann nach und klickte auf den Link. „Ich kaufte mir eins der Tools, weil es so günstig war. Ich denke, alleine das hätte mich schon skeptisch machen sollen.“ Anna probierte das Gerät an einer Hautpartie ihres Beins aus und merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. „Meine Haut war direkt gereizt und irgendwie gräulich“, sagt sie. „Das Tool entfernte tatsächlich ein paar Haare, aber als die nachwuchsen, wuchsen sie nach innen. Eingewachsene Haare hatte ich an den Beinen noch nie erlebt. Dadurch bekam ich dann erst recht deutliche Flecken.“
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Warum wird uns Unsicherheit wegen etwas vermittelt, das für viele von uns so normal ist? Warum müssen wir uns darüber überhaupt den Kopf zerbrechen?

Yemisi Samuel
Dasselbe gilt auch für hochkonzentrierte Säuren. Obwohl viele TikToker:innen sichere Produkte empfehlen – wie die Glycolic Acid 7% Toning Solution von The Ordinary (9,95 € via Flaconi) oder gering dosierte Salicylsäure –, ist das Internet voller günstiger Produkte mit Säurekonzentrationen von 20 oder sogar 30 Prozent. In unprofessionellen Händen kann es dadurch zu Verbrennungen, Narbenbildung und Pigmentflecken kommen. Dr. Ana zufolge verschlimmert die Beschädigung der Hautbarriere außerdem Hauttrockenheit und -dehydrierung und kann sogar zu Ausschlägen, Hautreaktionen und in manchen Fällen sogar chemischen Verbrennungen führen.
„Erdbeerbeine“-Tutorials sind weiterhin im Trend, doch gibt es inzwischen immer mehr Videos, in denen sich Leute gegen diese körperlichen „Ideale“ auflehnen – vor allem Frauen of color, die durch ihre verstärkte Melaninpräsenz ohnehin eher zur Hyperpigmentierung neigen. „Der weibliche Körper wird viel zu stark kontrolliert. Wtf sind Erdbeerbeine?“, schreibt zum Beispiel Anjola Ojutalayo auf Twitter. „Viele solcher Sachen sehen den Körper als ‚problematisch‘ an, als etwas, was dauernd behandelt oder geändert werden müsste. Es reicht jetzt!“
Es dauerte nicht lange, bis die ersten Reaktionen darauf kamen. „Lmaoooo! Manche Leute geben echt alles, damit sich Schwarze Frauen noch unsicherer fühlen“, kommentierte jemand. „Ich hatte schon immer ‚Erdbeerbeine‘, habe mich daran nie gestört und werde es auch nie tun. So viele dieser Sachen sind für uns total normal.“ Auf TikTok erstellen viele Schwarze Frauen genau deswegen Videos, in denen sie das Konzept von „Erdbeerbeinen“ klar ablehnen. Es geht ihnen darum, die Beine zu lieben, die sie haben – so pigmentiert, wie sie von Natur aus sind.
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„Können wir Erdbeerbeine bitte normalisieren?“, fragt die TikTokerin @mayanextdoor4 in einem viralen Video. „Ich habe es satt, die ganzen TikToks […] mit superglatten Beinen zu sehen. Nein. Meine Beine sehen so aus, und wenn ihr mir nicht glaubt, dann guckt mal her“, sagt sie und zoomt auf ihre Beine. „Seht ihr? Erdbeeren!“
Yemisi Samuel kennt den Druck, superglatte Extremitäten zu haben, ebenfalls sehr gut. „In meiner nigerianischen Kultur wird so viel Druck auf Frauen und ihre Haut ausgeübt“, erzählt sie gegenüber R29. „Ich habe diese kleinen Flecken auf meinen Beinen und weiß noch, wie ich mal in Shorts nach Hause reiste und lauter Kommentare von meinen älteren weiblichen Verwandten bekam. Sie wirkten angewidert, dass ich keine Creme oder sowas benutzt hatte, um das zu korrigieren.“
Als sie zurück in Großbritannien war, entwickelte Yemisi deswegen eine große Unsicherheit rund um ihre Haut. „Ich ging zu einer Hautspezialistin, die mir sagte, ganz viele ihrer Patient:innen hätten dieselben Sorgen – und dass die Flecken total normal seien.“ Genau daher freut sich Yemisi so darüber, jetzt mitzubekommen, wie sich Frauen of color gegen dieses Schönheitsideal wehren. „Warum wird uns Unsicherheit wegen etwas vermittelt, das für viele von uns so normal ist? Warum müssen wir uns darüber überhaupt den Kopf zerbrechen?“
Die Ästhetikerin und Hautexpertin Alicia Lartey empfiehlt ihren Patient:innen daher immer, sich keine Sorgen wegen ihrer sogenannten „Erdbeerbeine“ zu machen. „Fast 80 Prozent aller Jugendlichen und 40 Prozent der Erwachsenen haben diese Flecken“, betont sie. „Ich betrachte das daher lieber als eine Hautform anstatt als Erkrankung.“ Alicia erzählt, dass sie als Kind und Erwachsene für ihre „Erdbeerbeine“ gehänselt wurde. „Ich weiß, wie sich das anfühlt“, sagt sie. „Ich selbst habe eine extreme Form davon an den Armen, und obwohl ich mich regelmäßig peele, um die Textur zu verbessern, übertreibe ich es nicht. Ich will immer die Gesundheit meiner Haut bedenken – und Frauenkörper werden ohnehin schon so stark kontrolliert.“
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Diese oder jene Körperbehaarung und Pigmentierung als eine Form von Haut zu betrachten, ist so wichtig. In Online-Tutorials ist oft von einer „Heilung“ die Rede – womit impliziert wird, „Erdbeerbeine“ müssten „geheilt“ werden. In Wahrheit sind die meisten dieser pigmentierten Follikel komplett harmlos. Betroffene einer Keratosis Pilaris (einer Keratinansammlung in der Haut) empfinden das manchmal als unangenehm; in dem Fall gibt es aber Behandlungsmöglichkeiten, die helfen können. 
Weniger aggressive Säuren wie Salicylsäure, zum Beispiel in Form eines Cleansers, können schon viel bewirken, meint Dr. Ana. Sie empfiehlt außerdem die Verwendung einer Bodylotion mit einer niedrig konzentrierten Säure (wie Milch- oder Glykolsäure), um die Haut regelmäßig sanft zu peelen. „Sanfte Säuren sollten maximal zwei- bis dreimal pro Wochen verwendet werden“, rät sie, „und verzichte dann besser auf mechanische Peelings wie Scrubs, weil die zu aggressiv sind und die Hautbarriere beschädigen können.“
In Bodylotions solltest du nach feuchtigkeitsspendenden Wirkstoffen wie Urea, Hyaluronsäure, Glycerin und Ceramiden Ausschau halten, um deine Haut zu schützen. Manchmal empfehlen sich auch Produkte mit milden Retinoiden; die lässt du dir aber am besten von einem Dermatologen oder einer Dermatologin verschreiben, weil sie nicht zwangsläufig von allen Hauttypen toleriert werden.
Der Begriff „Erdbeerbeine“ hört sich vielleicht albern an – dabei ist das Phänomen etwas ganz Normales. „Wenn die Flecken zu deiner normalen Hautanatomie gehören, solltest du sie am besten ignorieren“, empfiehlt Dr. Pratsou. Und auch Dr. Ana rät ihren Patient:innen davon ab, sich nicht den Kopf über ihre Hautunsicherheiten zu zerbrechen. Ihr zufolge hat es überhaupt keinen positiven Effekt, deine Hauttextur und deine Poren so gründlich zu untersuchen – vor allem, weil sich andere Leute deine Haut ja nie so genau ansehen werden. 
Social-Media-Trends befeuern das nie enden wollende Streben nach unerreichbarer Makellosigkeit. Dabei ist eigentlich nur wichtig, dass du gesund bist und dich in deiner eigenen Haut wohlfühlst. Vor allem, weil es den „perfekten“ Körper ja gar nicht gibt.
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