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„Hip Dips“ sind kein Schönheitsproblem, das du beheben musst 

Foto: Rochelle Brock
Wie die meisten anderen Menschen wusste ich lange Zeit nicht, dass ich Hip Dips hatte. Sie fielen mir erst dann ins Auge, als ich sah, wie jemand in den sozialen Medien wegen ihnen ausflippte. 2017 trat ich einer Facebook-Fitnessgruppe mit mehr als 20.000 Mitgliedern bei und begann, täglich Posts von Mädchen zu sehen, die Kommentare posteten wie: „Bitte, bitte, bitte sagt mir, dass es eine Lösung für diese Hüft-Dellen gibt. Ich wusste nicht, wie schlimm mein Hintern aussieht, bis ich diese Hose anprobiert habe“, oder: „Hat jemand hier einen Tipp, wie man diesen Makel loswerden kann? Hilfe!“
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Was genau sind aber Hip Dips (manchmal auch als „Geigenhüfte“ bezeichnet)? Diese Bezeichnung bezieht sich auf die seitlichen Dellen in der Hüfte zwischen dem Beckenknochen und dem Oberschenkel, die manche von uns eben von Natur aus haben – oder auch nicht. So oder so stimmt alles mit dir. Doch irgendwie haben Hüft-Dellen die furchtbare Welt des Body-Shamings, die sich durch (unerreichbare oder gefährliche) Schönheitsideale wie Thigh Gaps und Ab Cracks auszeichnet, erobert. Meiner Meinung nach – und du stimmst mir bestimmt zu – sollte all das (wie die Ära des Kalorienzählens) der Vergangenheit angehören.
Ständig an deinem Körper herumzunörgeln, kann deine psychische Verfassung ganz schön beeinträchtigen. Aus diesem Grund stellte ich diese Gruppe vernünftigerweise auf stumm und versuchte, sie aus meiner Erinnerung zu verbannen. Jahre später wurde ich aber das Gefühl nicht los, dass irgendetwas mit meinen Hüften nicht stimmte. Sobald ich diese vermeintliche „Problemzone“ einmal entdeckt hatte, konnte ich sie nicht mehr ignorieren. Seitdem bin ich Hunderten von jungen Frauen begegnet, die von ihrer Hüft-Form besessen sind. Wenn du auf einer beliebigen Social-Media-Plattform nach dem Begriff „Hip Dips“ suchst, wirst du mit negativen Kommentaren überflutet – von „Vorher-Nachher“-Bildern auf Instagram, die wahrscheinlich sowieso mit Airbrush bearbeitet worden sind, bis hin zu Tausenden von YouTube-Videos und Artikeln, die erklären, wie du deine Hüft-Dellen mithilfe von zehn Tricks „für immer loswirst“.
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Hüft-Dellen haben die furchtbare Welt des Body-Shamings, die sich durch (unerreichbare oder gefährliche) Schönheitsideale wie Thigh Gaps und Ab Cracks auszeichnet, erobert. All das sollte – wie die Ära des Kalorienzählens – der Vergangenheit angehören.

Natürlich sind Hüft-Dellen und die Debatte darum nichts Neues. Das Gleiche gilt ebenfalls für die Idee, dass Hip Dips angeblich ein „Problem“ seien, das „behoben“ werden müsse. Diese Überzeugung hat sich so sehr verfestigt, dass es jetzt sogar eine eigene Body-Positivity-Bewegung gibt, die versucht, die Diskussion über diesen Körperteil zum Positiven zu wenden. Lass uns ehrlich sein: Geigenhüften hätten erst nie als Schönheitsmakel angesehen werden sollen.
Das heißt aber noch lange nicht, dass die Diskussion darüber keine negativen Auswirkungen auf junge Frauen hat. Serena, 23, hörte zum ersten Mal durch Kayla Itsines von Hüft-Dellen. Die Fitness-Influencerin mit 12,6 Millionen Followern postete auf Instagram eine Story darüber, welche Übungen gegen diese Vertiefungen helfen. „Ich musste den Begriff zuerst googeln, um überhaupt verstehen zu können, worauf sich Kayla in ihrem Video bezogen hatte“, erzählt Serena. „In diesem Moment stellte ich fest, dass ich Hip Dips habe und ich wahrscheinlich etwas dagegen unternehmen sollte. Davor war mir gar nicht bewusst gewesen, dass diese Vertiefungen als Makel angesehen werden.“
Yara, 26, erging es ähnlich wie Serena. Auch sie bewegten Diskussionen rund um Hüft-Dellen im Internet dazu, ihren eigenen Körper genau unter die Lupe zu nehmen und zu überprüfen, ob sie denn auch solche Vertiefungen habe. „Online unterhielten sich Leute über Geigenhüften und auf Fitnessseiten standen Dinge à la: ‚Wie du Hüft-Dellen loswirst‘“, erzählt sie. „Außerdem war das Thema in Magazinen neben Artikeln über ‚Lebensmitteln, die du vermeiden solltest‘ angeführt. Das finde ich lächerlich, weil die Form deiner Hüften ja schließlich nichts damit zu tun hat, was du isst oder ob bzw. wie viel du trainierst.“
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Als Wissenschaftlerin mit einem mehr als oberflächlichen Verständnis des menschlichen Körpers wusste Yara, dass dieser Trend keinen Sinn ergab. Nichtsdestotrotz gibt er ihr keine Ruhe. „Ich fühle mich trotzdem noch unwohl in meiner Haut, weil die Leute, die ich in den sozialen Medien, Zeitschriften und im Fernsehen sehe, schließlich keine Hüft-Dellen haben.“ Deshalb achtet Yara besonders darauf, was sie trägt. Sie neigt dazu, eng anliegende Kleidung zu vermeiden, die ihre Hüften „unnötig„ zeigt oder betont.
Die meisten Frauen, mit denen ich über Hüft-Dellen sprach, meinten, Promis mit Sanduhr-Figur seien der Hauptgrund dafür, dass sich Schönheitsideale verändert haben. Zudem wird allen so vermittelt, dass Geigenhüften ein Problem seien, dass es zu „beheben“ gelte. Es überrascht wohl niemanden, dass die Kardashians in diesem Zusammenhang häufig erwähnt wurden.
Wenn Hip Dips also einfach Teil deiner körperlichen Beschaffenheit sind, macht es keinen Sinn, zu versuchen, etwas an ihnen zu ändern, richtig? Hannah Lewin, eine Personal Trainerin, die seit über fünf Jahren Frauen trainiert, sagt, dass es so gut wie unmöglich ist, diese Vertiefungen loszuwerden. „Aus biomechanischer Sicht handelt es sich dabei um natürliche, nach innen gerichtete Kurven, die durch die Form deines Beckens verursacht werden. Sie haben mit der Struktur deines Skeletts zu tun, weshalb du sie nicht ändern kannst – egal, wie viel Fett du auch abbaust“, erklärt sie. „Es gibt viele Dinge, die du für deine Sitzbeinmuskulatur oder Bauchmuskeln tun kannst wie zum Beispiel Übungen für den Unterkörper, um den gesamten Bereich zu stärken. Das Letzte, was du nämlich brauchst, sind verhärtete Hüftbeuge- und Sitzbeinmuskeln oder eine untrainierte Gesäßmuskulatur.“ Sie betont aber auch, dass sich die tatsächliche Form oder das Aussehen der Hüfte nicht ändern lassen. „[Hüft-Dellen] sind im Wesentlichen Teil deiner Knochenstruktur – und die kannst du nun einmal nicht verändern.“
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Wenn Hip Dips also rein biologisch bedingt sind, warum werden dann ständig Produkte und Trainingspläne angepriesen, um sie loszuwerden? Hannah glaubt, dass dieses Phänomen auf unsere extrem schädliche, aber höchst profitable Diätkultur zurückzuführen ist. „Manche Leute finden immer einen Weg, um aus der Unsicherheit anderer Leute Kapital zu schlagen – ob es nun Fitness-Influencer auf Instagram sind, Firmen, die Diät-Injektionen anbieten oder ‚Teatoxes‘ (eine Entgiftung auf der Basis von Tee) verkaufen. Beeinflussbare Menschen mit solchen Produkten neugierig zu machen und diese an sie zu verkaufen, kann sehr gewinnbringend sein“, erklärt sie.

Als Wissenschaftlerin wusste ich, dass dieser Body-Shaming-Trend keinen Sinn ergab. Trotzdem fühlte ich mich unwohl in meiner Haut, weil die Leute in den sozialen Medien, Zeitschriften und im Fernsehen keine Hüft-Dellen haben.

Yara, 26
Hannah erzählt, dass sie in den letzten Jahren immer öfter Anfragen von Kund:innen erhalten hat, die mithilfe eines Trainingsprogramms ihre Hip Dips loswerden wollten. Die Expertin priorisiert bei ihrer Arbeit aber Kraftaufbau; Ästhetik spielt für sie dabei nur eine zweitrangige Rolle. Wenn die Personal Trainerin bemerkt, dass eine Frau besessen von den Vertiefungen an ihren Hüften zu sein scheint, rät sie dieser Person in manchen Fällen sogar dazu, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Ich habe mich an die Psychologin und Mitbegründerin von My Online Therapy Dr. Elena Touroni gewandt, um zu erfahren, welche psychologischen Faktoren hier im Spiel sein könnten. „Wenn sich jemand zwanghaft mit einem bestimmten Körperteil beschäftigt, deutet das auf eine ungesunde Wahrnehmung des eigenen Körpers hin“, erklärt sie. „Erfahrungen aus der Kindheit, das Selbstwertgefühl der Person in Frage und das Ausmaß, in dem jemand seine Identität und seinen Wert von seinem Körper abhängig macht, können hier ausschlaggebend dafür sein, ob jemand anfällig dafür ist, Probleme mit seinem Körperbild zu entwickeln.“
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Dr. Touroni befürchtet, dass unsere gegenwärtige gesellschaftliche Fixierung auf Selbstverbesserung zu Körperdysmorphie oder Essstörungen führen kann. Das kann sich in Form von exzessivem Sport, der Einnahme von Abführmitteln, Heißhungerattacken und anschließendem Erbrechen, Diäten und einer Obsession mit dem eigenen Aussehen äußern.
Die 29-jährige Rosie erzählt, dass sie sich schämt, zuzugeben, welch hohen Stellenwert ihre Hip Dips mittlerweile in ihrem Leben eingenommen haben. „Ich kaufe gepolsterte Hosen, weil ich wie Models ohne Hüft-Dellen aussehen will“, sagt sie. Rosie hat sogar mit dem Gedanken gespielt, sich einer Schönheitsoperation (z.B. Implantate oder Fettabsaugung) zu unterziehen, um die Vertiefungen ebnen zu lassen und so ein runderes, kurvigeres Aussehen zu schaffen.
Dr. Jane Leonard, Allgemeinmedizinerin und Kosmetikerin, berichtet, dass sich in ihrer Praxis die Anfragen nach solchen Operationen häufen. Diese erhöhte Nachfrage sei ihr zufolge eine neuere Entwicklung. Sie betont, wie wichtig es ist, dass psychologische Zusammenhänge von Ärzt:innen oder Chirurg:innen, die den Eingriff durchführen, im Vorfeld untersucht werden, um Anzeichen von Körperdysmorphie ausfindig machen zu können.
Vor diesem Hintergrund wird klar, warum die Rolle der Body-Positivity-Bewegung hier so wichtig ist. Wir sollten schließlich nie damit aufhören, die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft regelmäßig ein Körperteil von Frauen zum nächsten Opfer unserer Diätkultur macht, zu hinterfragen.
Hannah glaubt, dass Instagram ganz besonders zu diesem Problem beigetragen hat, da es sich darauf auswirkt, welche Ergebnisse ihre Kund:innen anstreben und was sie für realistisch halten. „Ich habe das Gefühl, dass Leute früher ein persönliches Fitnessziel hatten. Sie wollten zum Beispiel mit dem Laufen anfangen oder hatte eine Vorstellung davon, wie ihr Körper am Ende aussehen sollte“, erzählt sie. „Jetzt scrollen sich aber alle durch Instagram, ignorieren genetische und biomechanische Faktoren und wollen wie eine ganz andere Person aussehen. Der Discover-Feed ist wie ein Katalog voller Traumkörper, aus dem man sich einen aussuchen möchte.“
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Hannah glaubt, dass unsere „Quick-Fix“-Kultur (ausgezeichnet durch den Wunsch nach schnellen [Schein]lösungen) und die Verfügbarkeit von Filler und Apps wie Facetune ebenfalls zu diesem Phänomen beitragen könnten. Sie ist auch besorgt darüber, dass unqualifizierte Fitness-Influencer Informationen verbreiten, die nicht ganz korrekt sind. „Echter, langfristiger Fettabbau erfordert wirklich harte Arbeit“, fügt sie hinzu. „Schnelle Lösungen werden angepriesen und effektiv genutzt, um Geld zu verdienen. Dabei scheint es nicht wichtig zu sein, wie sie sich auf Konsument:innen auswirken können.“

Ich kaufe gepolsterte Hosen, weil ich wie Models ohne Hüft-Dellen aussehen will.

Rosie, 29
Was können wir also tun, um uns gegen diesen gefährlich Trend zu wehren? Dr. Touroni ist der Meinung, dass wir dem Konzept des „perfekten Körpers“ den Rücken kehren sollten. Stattdessen sollten wir ihr zufolge eine Beziehung zu unserem Körper entwickeln, die liebevoll und akzeptierend ist und sich auf Gesundheit und Gleichgewicht statt auf Perfektion konzentriert – eine Einstellung, die auch als Körperneutralität bekannt ist. Sie empfiehlt, damit aufzuhören, Marken in den sozialen Medien zu folgen, die implizieren, dass man sich „ändern“ oder verbessern muss, und sich stattdessen mit Aktivitäten zu beschäftigen, die uns mehr in Kontakt mit unserem Körper bringen (z.B. Body-Scan-Meditation, Yoga und Sport). „Wie wir wissen, sind Körpertypen meist genetisch bedingt. Liebe, Mitgefühl und Akzeptanz sollten die wichtigsten Werte sein, die wir übermitteln – sowohl uns selbst als auch anderen“, sagt sie abschließend.
Serena wünscht sich mehr Ehrlichkeit und Transparenz von den Leuten in den sozialen Medien, die Work-outs für bestimmte Bereiche anpreisen. Yara denkt, dass wir mehr Offline-Gespräche über Hip Dips von Leuten brauchen, die sich wirklich mit dieser Materie auskennen. „Ich möchte nicht, dass Leute so tun, als würden ihre Hüft-Dellen sie nicht stören, wenn das nicht auch tatsächlich der Fall ist. Ich halte es nämlich für sehr wichtig, dass wir offen über dieses Thema reden und unsere Unsicherheiten eingestehen können. Immerhin ist es völlig normal, sich unsicher zu fühlen.“ Außerdem wünscht sie sich, dass Influencer und Personal Trainer:innen für die Verbreitung von Fehlinformationen zur Rechenschaft gezogen werden. Zudem hofft sie, dass Mainstream-Medien anerkennen, dass es sich bei diesem Body-Shaming-Trend tatsächlich um ein sehr gefährliches Thema handelt, das jungen Frauen echten Schaden zufügt.
Wenn du mit einer Essstörung zu kämpfen hast und Unterstützung benötigst, findest du hier professionelle Hilfe.

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