„Meine Schwester hat mir vor Kurzem verraten, dass sie schwanger ist – seit sieben Wochen“, erzählt die 31-jährige Rachel. Eine Nachricht, über die sich die meisten Verwandten wohl freuen würden; nur können Rachel und ihr Partner leider selbst keine Kinder bekommen. „Wir stecken mitten im Adoptionsprozess, und ich habe Angst davor, unser Kind und unser Weg dorthin könnte von ihrer Schwangerschaft und einem leiblichen Kind überschattet werden.“ Mit dieser Angst hat sich Rachel auch schon ihrer Mutter anvertraut, die wenig verständnisvoll reagierte. „Meine Mutter war ziemlich verärgert, als ich meine Vermutung ausgesprochen habe, sie würde ihr leibliches Enkelkind womöglich mehr lieben als unser Kind. Sie ist verletzt, und meine Schwester weigert sich inzwischen, mit mir zu reden, weil ich jetzt auch zur Babyparty einer Freundin abgesagt habe. Wie kann ich das alles wiedergutmachen, bevor ich mir mein eigenes Support-Netzwerk zerstöre und damit unsere Chancen auf eine Adoption ruiniere?“
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Dr. Sheri Jacobson, eine pensionierte Psychotherapeutin mit über 17 Jahren Berufserfahrung, kann hier weiterhelfen.
Dr. Sheri Jacobson: Lass uns zuerst darüber sprechen, wie kompliziert diese Situation ist: Der Stress und die Spannungen, die du gerade erlebst, sind keine Seltenheit in Gruppen wie eurer, vor allem in Familien. Wenn du dir das vor Augen hältst, solltest du dich fragen: Wo soll euer gemeinsamer Weg hinführen? Du betonst, wie wichtig es dir ist, das alles zu klären, damit dir dein Support-Netzwerk erhalten bleibt. Was kannst du also tun, um diese Spannungen zu lockern?
Der erste Schritt kann eine Entschuldigung sein. Letztlich ist es deine Entscheidung, ob sie nötig ist – doch könnte sie wirklich helfen, vor allem in Hinsicht auf deine Mutter. Als Nächstes finde ich es sehr wichtig, den anderen deine Gefühle und Gedanken mitzuteilen. Allein das sorgt schon oft für Entspannung, weil wir häufig dazu neigen, immer alles nur aus unserer eigenen Perspektive zu betrachten. Wenn du dir also Mühe gibst, deinen Blickwinkel und deine Situation zu erklären, verstehen die anderen hoffentlich, dass du gerade selbst einige Sorgen durchlebst, die sie bisher womöglich nicht berücksichtigt haben.
Es kann schwierig sein, dich so verletzlich zu zeigen. Niemand gibt gern etwas zu, auf das man nicht stolz ist – vor allem Eifersucht und Neid. Es wird dir nicht leicht fallen, laut auszusprechen, wie sehr du dir wünschst, deine Familie würde dein eigenes Kind und deine eigene Erfahrung als genauso wichtig empfinden wie die deiner Schwester – vielleicht sogar als wichtiger. Wenn es dir aber gelingt, das rüberzubringen, kann euch das sogar näher zusammenrücken lassen.
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Du erwähnst deine Angst davor, von der Situation deiner Schwester überschattet oder deswegen anders behandelt zu werden. Ich kann nicht wissen, was dich zu dieser Angst geführt hat; es ist aber wichtig, dir vor Augen zu halten, dass wir Menschen von Natur aus sehr ich-bezogen sind. Wir betrachten die Welt aus unseren ganz individuellen Perspektiven, und niemand versteht diese besser als wir selbst. Daher passiert es schnell, dass wir uns unwichtig oder depriorisiert fühlen. Die meisten von uns sehnen sich nach Wertschätzung, Anerkennung und Einbeziehung – daher ist es sehr leicht, sich von den positiven Entwicklungen anderer Leute „überschattet“ zu fühlen.
Es ist also überhaupt nicht verwerflich, dass du so empfindest. Wenn du deine Situation aber ändern möchtest, solltest du auch die Perspektiven der anderen berücksichtigen – ebenso, wie du ihnen einen Einblick in deine gewährst. Betrachte es als Gedankenübung: Versuche mal, dich in deine Schwester hineinzuversetzen. Oder sprich ganz offen mit ihr darüber. Du kannst das Gespräch beispielsweise so eröffnen: „So fühlt sich das für mich an – ich möchte aber auch wissen, wie es sich für dich anfühlt. Ich meine das alles überhaupt nicht böse. Du kannst aber bestimmt nachvollziehen, dass es mir schwer fällt, weil mein Partner und ich das Kind schon seit einer Weile planen.“ Diese Lücke zwischen euch zu überbrücken, gelingt euch nur durch gegenseitiges Verständnis oder Kommunikation – oder beides.
Die meisten Leute empfinden im Laufe ihres Lebens Eifersucht und Neid. Das sind völlig legitime, typisch menschliche Emotionen; du solltest also nicht versuchen, sie zu leugnen oder zu unterdrücken. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig zu hinterfragen, wieso du eigentlich eifersüchtig bist, und was du unternehmen kannst, um deine Gedanken in andere Bahnen zu lenken. Genau darum geht es in der kognitiven Verhaltenstherapie: die eigenen, oft irrtümlichen Vermutungen zu hinterfragen.
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Was ich bei der Therapie meiner Patient:innen in der Eifersuchtsbewältigung ebenfalls als nützlich empfinde, sind Dankbarkeitsübungen. Je häufiger wir dankbar sind – für Dinge in uns selbst oder in unserem Umfeld –, desto eher betrachten wir das Glas als „halb voll“. Du kannst lernen, die Erfolge anderer Leute auf positive Art zu betrachten.
Nehmen wir als Beispiel den Wettkampfsport. Einerseits können dich Rivalitäten dazu motivieren, andere zu übertreffen – können aber auch dafür sorgen, dass du dich verbittert fühlst, wenn du mal verlierst. Dieses schlechte Gefühl kann dann wiederum dazu führen, dass du in Zukunft von vornherein schlechtere Leistungen erbringst. Wenn du hingegen die Errungenschaften anderer Leute feierst, unterstützt du damit nicht nur sie, sondern nimmst dir selbst jede Menge mentalen Druck von den Schultern, wodurch du besser performen kannst. Klar kannst du dich immer noch nach eigenen Erfolgen sehnen – nur halten dich die von anderen nicht zwangsläufig davon ab, diese Erfolge auch selbst zu erreichen.
Es ist sehr schwer, dieses Mindset zu erreichen. Wir sind emotionsgetriebene Wesen und reagieren oft instinktiv, ohne weiter drüber nachzudenken. An deinen Gedanken und Verhaltensweisen zu arbeiten sowie dich in Dankbarkeit zu üben, kann die Intensität deiner Gefühle verkürzen und erleichtern.
Bitte vergiss außerdem nicht, dass du selbst ohnehin schon unter viel Stress stehst: Ein Adoptionsvorgang ganz sehr kräftezehrend sein, und es ist schwer, die eigenen Beziehungen nicht davon beeinflussen zu lassen. Nur spricht kaum jemand offen darüber! Oft drückt unser Körper von selbst aus, dass wir in einer schwierigen Situation stecken – zum Beispiel in der Art, wie wir mit anderen sprechen oder wie wir uns verhalten. Andere Leute bemerken das instinktiv. Um damit umzugehen, empfehle ich dir vor allem eins: Selbstmitgefühl. Je eher wir akzeptieren, dass wir gerade eine schwierige Phase durchleben, desto mehr Freiraum gewinnen wir hinzu, um diese Emotionen zu verarbeiten, anstatt sie zu bekämpfen. Es kann auch hilfreich sein, deinen Stress in kreative oder guttuende Aktivitäten zu lenken. Wenn du lernst, deine Emotionen auf eine Weise auszudrücken, die zu dir passt, ist es unwahrscheinlicher, dass du sie an anderen Leuten auslassen musst – vor allem an denen, die dir besonders nah stehen.
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