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Ich bin queer & habe nie hetero Männer gedatet – bis jetzt

Foto: Refinery29.
Als meine lesbische Langzeitbeziehung 2022 in die Brüche ging, war einer meiner ersten Instinkte, mir die Dating-App Hinge wieder runterzuladen und meine Einstellungen so zu ändern, dass mir nun auch Männer vorgeschlagen wurden. Nachdem ich dadurch meinen eigenen Dating-Algorithmus auf den Kopf gestellt hatte – ich hatte mich bisher immer nur durch Frauen und nicht-binäre Menschen geswipt –, warf mir die App jetzt plötzlich eine große Handvoll Männer vor die Füße. Für jemanden, deren letzte Erfahrung im Dating mit Männern ein Dreierdate mit zwei bisexuellen Typen in einer offenen Beziehung gewesen war, war das jetzt ein kleiner Kulturschock. Ich bekam so viele Nachrichten von so vielen netten Kerlen, die Beziehungen völlig anders angehen als ich.
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Obwohl meine Suche vielversprechend losging, swipte ich im Laufe der nächsten Monate nur bei zwei Typen nach rechts. Und obwohl mir bisher der Enthusiasmus fehlt, mich auch tatsächlich mit ihnen zu treffen, habe ich dochernsthaft darüber nachgedacht. Das ist für mich eine ziemlich krasse Entwicklung und widerspricht meiner jahrelangen Tendenz, meine gelegentliche Hingezogenheit zu hetero Männern zu ignorieren – oft, weil ich mir keine Beziehungsdynamik wünsche, die sich auch nur ansatzweise wie stereotypische Heterosexualität anfühlt. Langsam wird mir aber klar, dass meine alte Einstellung vermutlich eher meiner verinnerlichten Biphobie entsprang. Ich hatte Schiss, meine queere Identität zu „entwerten“, wenn ich mich auf irgendeiner ebene auf cis hetero Männer einlasse. Letztlich bringt mir dieses Denken aber überhaupt nichts und sorgt stattdessen dafür, dass ich alle cis hetero Männer über einen Kamm schere.
Wenn ich aus meiner Erfahrung eines gelernt habe, dann, dass es bei Mainstream-Heterosexualität nicht nur darum geht, wen du datest. Sie ist ein Lifestyle. Das habe ich merkwürdigerweise aus meiner letzten gescheiterten queeren Beziehung gelernt. Ich hatte das Gefühl, irgendwie „festzuhängen“, war voller Groll und unerfüllter Bedürfnisse. Mir wurde aber klar, dass meine Beschwerden oft dieselben waren, die ich auch schon von hetero Frauen in unbefriedigenden Langzeitbeziehungen gehört hatte. Diese Erkenntnis beruhigte mich irgendwie. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass meine Beziehungsprobleme – trotz meiner Queerness und Poly-Erfahrungen – auch außerhalb nischiger queerer Kreise gehört und verstanden wurden.
Anstatt daraus aber den Schluss zu ziehen, dass ich diese Beziehung beenden und nicht mehr zurückblicken sollte, wurde mir vermittelt, dass „echte“ Beziehungen eben so seien. Ich fing an, die traurige Realität meiner einseitigen Beziehung zu akzeptieren und mir einzureden, dass Beziehungen eben Opfer erfordern – manchmal sogar die eigene Zufriedenheit. Irgendwann war es soweit, dass mir meine TikTok- und Instagram-Algorithmen dauernd Content à la „Woran du erkennst, dass er sich zurückzieht“ oder „Wie du deine weibliche Energie nutzt“ servierten. Und ich hasse es, zugeben zu müssen, dass ich all das verschlang.
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War ich da gerade dabei, stereotypische Hetero-Werte zu verinnerlichen, indem ich sie innerhalb meiner heteronormativen queeren Beziehung befolgte? Ja, ich denke schon. Was soll ich sagen? Der Reiz einer Beziehung, die – wenn du die Augen ein bisschen zusammenkneifst – uralten traditionellen Familien- und Beziehungsbildern entspricht, ist stark. Und je älter du wirst, desto schwieriger ist es, dich gegen die Institution der Ehe und der verpflichtenden Cis-Hetero-Monogamie aufzulehnen, weil sich das irgendwann sehr einsam anfühlen kann, während um dich herum alle dem perfekten Pärchenbild nacheifern. 
Obwohl sich aber herausstellte, dass es einfach nicht mein Ding war, Heterosexualität „nachzuspielen“, heißt das nicht, dass hetero Männer damit automatisch für mich gestrichen sind. Und scheinbar kommen auch immer mehr hetero Frauen zur selben Schlussfolgerung wie ich – hör dir nur mal Flowers von Miley Cyrus oder Shakiras Diss-Track an. Immer mehr Frauen, die Männer daten, wird klar, dass ihnen die Institution der Heterosexualität das Leben ruiniert – und nicht zwangsläufig die Männer selbst.
Der Diskurs rund um die Heterosexualität ist gerade auf seinem Höhepunkt und wird von Journalist:innen wie Moya Lothian-McLean im britischen Guardian und Eloise Hendy im The Independent fortgeführt. Beide Autorinnen stellen die These auf, dass die performative Verzweiflung an der Heterosexualität das ungleiche Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen in Beziehungen sogar eher noch verschlimmert, anstatt es anzufechten, und davon ausgeht, dass cis hetero Männer sich gar nicht verändern könnten. In anderen Worten: Frauen in heterosexuellen Beziehungen scheinen sich häufig verpflichtet zu fühlen, ihre Beziehung zu beklagen, anstatt etwas dafür zu unternehmen (oder auch nur daran zu glauben), dass sich ihre Partner ändern könnten.
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In queeren Kreisen reden wir oft über die Unterschiede zwischen sexueller und romantischer Hingezogenheit und darüber, dass sich diese nicht immer so überschneiden, wie man es erwarten würde. Ich lerne inzwischen hinzunehmen, dass das zumindest in meinem Fall stimmt, und die verschiedenen Facetten meiner Sexualität zu genießen. Für mich gehört es zum Dating und zum Herumexperimentieren dazu, einzusehen, dass ich mich aus romantischer Sicht zwar meistens für Frauen und queere Menschen mit einem ähnlichen Lifestyle wie meinem interessiere – aber dass mich das nicht davon abhält, auch hetero Männer zu daten. Immerhin können wir einige der schönsten Dating-Erfahrungen mit den Menschen sammeln, zu denen wir uns zwar hingezogen fühlen, für die wir aber nie Gefühle entwickeln würden.
Trotz all dessen gehe ich ziemlich selbstbewusst – und sogar ein bisschen aufgeregt – an die Möglichkeit heran, bald auch hetero Männer zu daten. Mein Neujahrsvorsatz für dieses Jahr war sehr schlicht: Ich will einfach mehr Spaß haben. In meinem Liebesleben setze ich das um, indem ich mir erstmal keine Gedanken um meine nächste ernste Beziehung mache. 
Und die werde ich sicher nicht mit einem hetero Mann führen. Das kann ich mit Gewissheit sagen, weil meine Gefühle für diese Typen einfach nicht so tief gehen. In meinen großen romantischen Träumen werden immer nur Frauen und queere Menschen die Hauptrollen spielen. Das heißt aber auch, dass es auch nur ihnen vorbehalten bleibt, mir das Herz zu brechen, weil ich mich aus Liebe an eine sterbende Beziehung mit ihnen klammere.
Während ich also auf die nächste große Liebe warte, vertreibe ich mir gern bis dahin die Zeit mit einem hetero Typen, der mit mir ein Bier trinken geht und meine Hand halten will. Ohne Zukunftspläne, ohne Hoffnung auf eine Seelenverwandschaft – nur voller Wärme und Spaß am Leben. Denn vielleicht geht es einfach darum, unabhängig von deiner sexuellen Orientierung einzusehen, dass es Menschen gibt, die langfristig einfach nichts für dich sind – mit denen du aber dennoch eine kurze, tolle Zeit verbringen kannst.
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