Die Beauty-Industrie neigt dazu, uns einzureden, unserem Haar fehle es immer an irgendwas, unabhängig von seiner Textur und seinem Aussehen. Ob es deinen Haaren nun angeblich an Feuchtigkeit, Keratin oder Dichte mangelt: Du kannst drauf wetten, dass es da draußen diverse Produkte gibt, die all deine Probleme auf wundersame Art lösen sollen. Kein Wunder also, dass das Haarpflegeregal im Drogeriemarkt ganz schön überfordernd wirken kann – und wenn du dich jemals gefragt hast, ob die Versprechen dieser Produkte wirklich wahr oder nur cleveres Marketing sind, bist du damit nicht allein.
Auf jedes nötige Produkt – wie Shampoo (das Produktablagerungen, Fett und Schmutz aus deinem Haar und deiner Kopfhaut entfernt) und Hitzeschutzspray (das deine Haare vor Stylingschäden schützt) – kommt nämlich eine ganze Handvoll anderer Produkte, deren Funktion eher fragwürdig klingt. Kann Rosmarinöl deine Haare wirklich schneller wachsen lassen? Sind Nahrungsergänzungsmittel für schöne Haare wirklich nutzlos? Und kann man kaputte Spitzen wirklich reparieren? Wir haben Expert:innen um ihre ehrliche Meinung gebeten.
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Kann man kaputte Spitzen reparieren?
Wenn die Haare den Elementen (zum Beispiel in Form von Wind und UV-Strahlung), der Reibung durch Klamotten, Bettwäsche oder Bürsten, oder Hitze von Styling-Tools ausgesetzt werden, nehmen sie mit der Zeit Schaden. Es ist völlig normal, dass dein Haar dann etwas mitgenommen aussieht – und kaputte Spitzen entwickelt. Produkte, die behaupten, diesen Spliss zu „reparieren“ oder zu „beheben“, sind allerdings irreführend. „Das ist wie eine Laufmasche in deiner Strumpfhose“, erklärt die Trichologin Eva Proudman. „Wenn sich dein Haar einmal unten aufteilt, wandert diese kaputte Spitze weiter nach oben – bis du das Haar irgendwann abschneidest. Es lässt sich nicht wieder zusammenkleben.“
Produkte gegen Spliss umhüllen das Haar lediglich, damit es sich glatter anfühlt und auch so aussieht. „Kaputte Spitzen lassen sich nicht reparieren, weil die äußere Schutzschicht des Haares – die Kutikula – übereinanderliegt, so wie Dachziegel“, erklärt Proudman. „Das beschützt die Kortex, die Proteinfaser des Haares. Ist diese Schutzschicht einmal kaputt, ist sie kaputt.“ Proudman vergleicht das damit, wenn ein Ziegel von diesem metaphorischen Dach abfällt. „Du kannst etwas drüberlegen, damit kein Wasser reinläuft – aber repariert ist das Dach dann nicht.“
Ein weiterer Nachteil dieser Splissprodukte ist der, dass sie sich Schicht für Schicht auf dem Haar ablagern können – vor allem, wenn sie nicht wasserlöslich sind oder Silikon enthalten, meint Proudman. „Anfangs denkst du vielleicht: Wow, das Zeug ist ja ein echtes Wundermittel! Nach drei Wochen stellst du dann aber vielleicht fest, dass deine Haare sehr trocken sind.“ In anderen Worten: Ab zum Spitzenschneiden – und zwar so schnell wie möglich.
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Lässt Rosmarinöl die Haare schneller wachsen?
Rosmarinöl bringt es auf TikTok auf unglaubliche 205 Millionen Views, und viele behaupten dort, es helfe gegen Haarausfall. Obwohl es dazu viele Erfahrungsberichte gibt, spricht die Wissenschaft eine andere Sprache. „Haaröle sind ein bisschen irreführend“, erklärt Proudman. „Wenn du deine Kopfhaut mit trockenen Händen – also ohne Öl – massierst, stimulierst du damit die Durchblutung der Haarwurzeln. Das wiederum stimuliert deren Aktivität – und das führt zu stärkerem Haarwachstum.“
In anderen Worten: Es ist also vielleicht gar nicht das Öl, das für das bessere Haarwachstum verantwortlich ist – sondern die Massage. Hat Rosmarinöl denn dann überhaupt irgendwelche Vorteile? „Rosmarinöl hat eine leichte beruhigende und stimulierende Wirkung“, meint Proudman. Es könnte also gegen Trockenheit und Juckreiz helfen. Gleichzeitig hat es angeblich entzündungshemmende und antioxidative Eigenschaften und könnte somit Rötungen reduzieren und vor schädlichen Umwelteinflüssen wie Luftverschmutzung schützen.
Ein Wirkstoff, der durchaus eine nachweisliche Wirkung hat, ist Menthol, sagt Proudman. Deswegen ist es auch so oft in Shampoos und Spülungen zu finden. Weder Menthol noch Rosmarinöl kann aber das Haarwachstum beschleunigen noch androgenetischen (weiblichen) Haarausfall stoppen; beides ist laut Proudman nämlich genetisch bedingt.
Kann ein Shampoo wirklich für dichteres Haar sorgen?
„Ich habe noch nie ein Shampoo gesehen, das die Haarwachstumsrate wirklich beschleunigt oder das Haar sichtbar dichter werden lässt“, meint der Haarstylist Tom Smith, Experte für Haargesundheit. Er ist der Meinung, dass ein Shampoo, das wirklich das Haarwachstum steigern würde, als Medikament gelten müsste – wie im Fall von Minoxidil. „Die Behauptung, ein Produkt würde das Haar dicker machen, stammt meist daher, dass der Haarschaft von dem Produkt umhüllt wird“, ergänzt Smith. „Dadurch haben manche Leute das Gefühl, ihr Haar sei dicker.“
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Proudman stimmt darin zu, dass jede solche Wirkung ausschließlich kosmetischer Natur sein könne. Sie selbst hat schon klinische Untersuchungen mit Volumen-Shampoos durchgeführt, die Proteine wie Weizen oder Soja auf dem Haar ablagern. „Sie lagern sich außen ab und verleihen dem individuellen Haar einen größeren Durchmesser. Dadurch sieht es dicker aus und fühlt sich auch so an“, erzählt Proudman. Diese Volumenprodukte können aber weder das Haarwachstum beschleunigen noch mehr Haare herbeizaubern. „Jedes Haar durchläuft einen Wachstumszyklus, und der wird von deinen Genen bestimmt“, erklärt sie. „Bei rund 80 Prozent aller Menschen wächst das Haar im Monat um einen halben bis einen Zentimeter – bei manchen mehr, bei manchen weniger. Nichts, womit du deine Haare wäschst oder pflegst, kann das ändern. Das ist die Genetik.“
Smith fügt hinzu, dass verdickende Haarprodukte zwar durchaus ihre Vorteile haben, bei exzessivem Gebrauch aber dafür sorgen können, dass die Haare schwerer werden, sich leichter verknoten oder nur schwer bändigen lassen. Dagegen können sulfathaltige Shampoos helfen, die Produktablagerungen schnell und effektiv beseitigen – wie der The Ordinary Sulphate 4% Cleanser for Body and Hair (derzeit 7,49 € via Douglas) mit sanftem SLES-2, das die Haare gründlich reinigt.
Ist Keratin schlecht für die Haare?
„Der Körper produziert selbst Keratin“, erklärt Proudman – und zwar in den Haaren, der Haut und den Nägeln. Der Körper braucht Nahrung, vor allem gute Proteine, um dieses Keratin herzustellen. Eine ausgewogene Ernährung ist deswegen für gesunde Haare entscheidend. Haarpflegeprodukte mit Keratin sollen das Haar vor Schäden beschützen, Frizz reduzieren und es glätten können. Typischerweise ist das Keratin in diesen Produkten aber gar kein echtes Keratin, erklärt Proudman. Meist ist es bloß eine Form von Aminosäure (ein Baustein für Protein), die das Haar umhüllt, anstatt darin einzudringen. „Dadurch gewinnt die Haarstruktur überhaupt nicht an Keratin“, sagt sie.
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In der Haarpflegeindustrie mangelt es an Regulierungen, und das Wort „Keratin“ wird oft sehr locker verwendet, erklärt Proudman. Das kann dann missverständlich sein. Smith sieht das genauso. „In der Haarpflege bedeutet ‚Keratin‘ oft ‚enthält Protein‘. Dabei kommen diverse Proteine zum Einsatz, um sich ans Haar zu binden und es zu stärken – meist Quinoa- und Weizenprotein.“
Kann ich meine Kopfhaut wirklich „entgiften“?
Du kannst deiner Kopfhaut schlecht einen grünen Smoothie einflößen – was genau bewirken „Detox“-Shampoos und -Seren denn dann? Kurz gesagt, erklärt Proudman, gleichen sie die Kopfhaut aus. „Unsere Kopfhaut macht sieben Prozent der Haut unseres gesamten Körpers aus, und sie ist absolut einzigartig, weil sie 180.000 Talgdrüsen enthält“, meint Proudman. „Das ist die höchste Drüsenkonzentration des ganzen Körpers. Gleichzeitig verfügt sie über Schweißdrüsen. Deswegen sollte sie dieselbe Pflege wie deine restliche Haut erfahren – und die wäschst du ja jeden Tag.“ Wenn du deine Kopfhaut nicht ausreichend sauber hältst, kann es dort zu einem Ungleichgewicht kommen. Das liegt an der natürlichen Hefe, die auf deiner Kopfhaut lebt. „Meistens bekommen wir davon nichts mit“, erklärt Proudman. „Wenn du aber zulässt, dass sich Talg, natürliches Fett und Schweiß dort ablagern, wird diese Hefe überaktiv – und das kann zu Entzündungen, Juckreiz und Schuppen führen.“ In diesem Fall geht es dann nicht um „Detox“, sondern darum, das Gleichgewicht wiederherzustellen.
Proudman empfiehlt, nach „ausgleichenden“ Shampoos mit Salicylsäure (ein sanftes chemisches Peeling, das abgestorbene Hautzellen entfernt) und Zink-Pyrithion (das die Hefe an ihren „richtigen“ Platz verweist) zu suchen. Dann bietest du deinen Haaren nämlich das ideale Umfeld zum Wachsen. „Wenn du auf eine ausgeglichene Kopfhaut achtest, sind deine Haare automatisch gesünder“, sagt sie.
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Andere „Detox“-Produkte liefern meist lediglich eine stärkere Reinigung. Solche tiefenreinigenden („clarifying“) Shampoos können sich lohnen, wenn du viele Stylingprodukte oder Trockenshampoo verwendest oder dir deine Haare nicht so oft wäschst. Proudman zufolge gibt es keinen großen Unterschied zwischen einem ausgleichenden und einem tiefenreinigenden Shampoo. „Sie sind sich sehr ähnlich, aber Letzteres hat vielleicht eine etwas stärkere Reinigungswirkung, um mehr Fett von der Wurzel zu entfernen.“ Ein solches Shampoo verwendest du am besten einmal pro Woche. Wir mögen das K18 Peptide Prep Detox Shampoo (44,00 € via K18) und das OGX Apple Cider Vinegar Shampoo (derzeit 7,19 € via Douglas). Und wenn du dein Haar zwischen zwei Wäschen ein bisschen auffrischen möchtest, empfiehlt Smith das Olaplex No.4D Clean Volume Detox Dry Shampoo (derzeit 23,96 € via Olaplex). „Es enthält Rambutan-Saat-Extrakt, einen antioxidativen Wirkstoff, der das Milieu der Kopfhaut verbessert und überschüssiges Fett absorbiert.“
Lassen Haar-Supplements das Haar wirklich schneller wachsen?
Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle, wenn du übermäßig viele Haare verlierst, erklärt Proudman. Eine unausgewogene Ernährung ist aber oft mitverantwortlich. Bevor sie ihren Patient:innen aber Nahrungsergänzungsmittel empfiehlt, um ihre Haare zu verbessern, untersucht sie immer erstmal ihr Blut, um herauszufinden, was genau ihnen fehlt. „Gummis für ‚schönere‘ Haare enthalten meist ein bisschen hiervon, ein bisschen davon, aber nie genug von irgendwas“, meint sie. „Sie enthalten vielleicht ein paar Aminosäuren, damit du Protein bekommst, ein bisschen Vitamin A, Vitamin B und Biotin. Dabei ist das vielleicht gar nicht das, was du wirklich brauchst.“ Genau deswegen rät sie immer davon ab, dir selbst eine Diagnose zu erstellen oder x-beliebige Supplements zu kaufen. Smith ist ebenfalls der Meinung, das könnte eine große Geldverschwendung sein, wenn es dir gar nicht wirklich an diesen Vitaminen und Nährstoffen fehlt.
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Obwohl deine Haare außerdem zwar viele Nährstoffe brauchen, sind sie keine Priorität in deinem Körper, erklärt Proudman. Alle Nährstoffe und Vitamine landen also erstmal in anderen Körperbereichen, bevor sie wirklich im Haar ankommen. Wenn du dir wegen deines Haarwachstums, deiner -dichte oder -gesundheit Gedanken machst, empfehlen Smith und Proudman, dich immer erstmal ärztlich untersuchen zu lassen, damit du die richtige Diagnose bekommst und eine entsprechende Behandlung beginnen kannst.
Und wenn du dann doch zu Nahrungsergänzungsmitteln greifen möchtest, sei zumindest beim Biotin etwas vorsichtiger. Die Dermatologin Dr. Anjali Mahto sowie die Trichologin Sally-Ann Tarver haben gegenüber R29 bereits erklärt, dass die Einnahme großer Mengen an Biotin für Probleme sorgen kann. „Es kann dabei zum Beispiel zu fehlerhaften Ergebnissen nach einer Blutuntersuchung kommen. Wenn du also mit deinen Testergebnissen in eine trichologische Praxis kommst, entgeht den Ärzt:innen vielleicht etwas Wichtiges, weil die Ergebnisse nicht stimmen“, meint Tarver. Überschüssiges Biotin im Blut kann außerdem hormonelle Konsequenzen haben sowie zur Fehldiagnose eines Herzinfarkts führen, warnt Dr. Mahto.
Nimm dich auch vor allzu großen Versprechen in Acht. „Manche Behauptungen sind wissenschaftlich unmöglich“, betont Proudman. „Dein Haar wächst in einem viermonatigen Zyklus. Es wird innerhalb von vier Wochen nicht viel länger sein.“
Funktioniert Anti-Aging-Haarpflege wirklich?
Wie auch unsere Haut altern unsere Haare – und das ist völlig normal. Die typischen Beschwerden „alternder“ Haare sind fehlende Feuchtigkeit sowie raue, matte, dünne und steife Strähnen, erzählt Smith. Er hält „Anti-Aging“ im Kontext der Haarpflege allerdings für einen Werbebegriff und weniger für ein realistisches Versprechen. „Haarpflege in dieser Kategorie soll dem Haar ein seidiges, weiches Gefühl und mehr Volumen verleihen. Das hat mit dem Alter aber nicht spezifisch zu tun“, meint Smith. Er hält die Versprechen daher für irreführend, weil dieselbe Wirkung auch durch zahlreiche andere „Glanz“- oder „Anti-Frizz“-Produkte erzielt werden kann. „Diese Form von Marketing nutzt die Unsicherheiten von Konsument:innen schamlos aus“, sagt er. „Alterndes Haar kann genauso schön aussehen, wenn glänzende, weiße Strähnen nachwachsen.“ Und wenn die Haare grau werden, lässt sich das nicht aufhalten. „Melanozyten – die Zellen, die Melanin produzieren, das für unsere Haarfarbe verantwortlich ist – befinden sich in der Haarwurzel“, erklärt Proudman. „Wenn sie aufgrund deines Alters langsam aufhören zu arbeiten, ist das eben so. Die Uhr des Körpers lässt sich nicht anhalten.“
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