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Wieso ich meinen Job als professionelle Astrologin aufgegeben habe

Foto: Ryan Williams.
Als die angehende Autorin Claire* anfing, sich für Astrologie zu interessieren, begann das als lockeres Hobby. Wie so viele von uns wollte sie lernen, ihr Geburtshoroskop zu lesen, um daraus Inspiration und Erkenntnisse zu ziehen. Doch dann landete sie in einer astrologischen Sackgasse: Ihr Geburtshoroskop lieferte ihr überhaupt keine Indizien dafür, dass eine Karriere als Autorin für sie in den Sternen stünde. Plötzlich verlor sie sämtliche Hoffnung darauf, das Ziel zu erreichen, das sie seit ihrer Kindheit verfolgte. Das war der Zeitpunkt, an dem sie beschloss, sich Hilfe zu suchen – meine. „Wenn sich etwas nicht in meinem Geburtshoroskop widerspiegelt, heißt das, dass es einfach nicht für mich bestimmt ist?“, fragte sie mich.
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Sie war nicht mein:e einzige:r Kund:in, der:die mich etwas Derartiges fragte. Ich arbeite seit 2016 als professionelle Astrologin – inzwischen verbringe ich aber weniger Zeit damit, Geburtshoroskope zu lesen, als dass ich Kund:innen zu beruhigen versuche, die online über falsche astrologische Interpretationen gestolpert sind und sich darüber daraufhin den Kopf zerbrechen. Ernsthafte Sorgen rund um Saturn-Rückkehr, rückläufigen Merkur und Sonnenfinsternisse wurden immer mehr zur Norm. Ich war eigentlich Astrologin geworden, um anderen dabei zu helfen, sich selbst Kraft zu verleihen. Immer und immer wieder musste ich aber beobachten, dass meine Arbeit genau das Gegenteil bewirkte. 
2021 gab ich den Job also schließlich auf.
Das Bedürfnis, an eine höhere Macht zu glauben, kann ich verstehen. Seit über 2.000 Jahren holen sich die Menschen in den Sternen Rat. Angeblich verrät dir die Sternenkarte des Zeitpunkts deiner Geburt viel über deine Talente, Probleme, Seele und mehr. Sonnenzeichen-Horoskope – sprich: unsere guten, alten Sternzeichen – sind schon seit den 1930ern im Mainstream angekommen und gehören für viele Menschen zu einem täglichen Ritual, und insbesondere durch die Unsicherheit der letzten Jahre fühlen wir uns zunehmend zu diesen „leichten Antworten“ hingezogen. Rund um Weihnachten 2020 wurde „Astrologie“ so häufig gegoogelt wie seit über zehn Jahren nicht mehr.

Unser Appetit für kurzweiligen, viralen Content hat dazu geführt, dass Astrologie immer weiter vereinfacht und zugänglicher wird.

Noch dazu ist es einfacher denn je geworden, die Astrologie selbst in die Hand zu nehmen. Von Magazinen bis hin zu Memes findest du mittlerweile überall astrologischen Rat, ob nun in Form von Selfcare-Tipps bis hin zu Geschenke-Guides nach Sternzeichen. „Steinbock“ steht inzwischen für Dominanz, „Skorpion“ für Rachsucht. Und wenn ich noch einmal hören muss, man solle jemanden nicht daten, weil er:sie dieses oder jenes Sternzeichen habe
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Unser Appetit für kurzweiligen, viralen Content hat dazu geführt, dass Astrologie immer weiter vereinfacht wird. Promis wie Taylor Swift (Schütze), Kendall Jenner (Skorpion) und Rihanna (Fische) bezeichnen ihre Sternzeichen stolz als Erweiterung ihrer Persönlichkeit, und das Internet platzt geradezu vor lauter Blogs, Podcasts und TikToks rund ums Thema Astrologie. (Welcher One-Direction-Song entspricht deinem Sternzeichen? Und wie sieht das Geburtshoroskop deines Lieblings-Promis aus? All das und mehr ist nur eine Google-Suche entfernt.) Diese heutige Allgegenwart der Astrologie ist gleichzeitig Fluch und Segen, weil vieles von dem, was du da draußen findest, nicht den nötigen, tieferen Kontext mitliefert – was bedeutet, dass sich all diejenigen, die sich darauf zu unvoreingenommen verlassen, anfällig für potentiell schädliche Anregungen machen. 
Jedes Horoskop bräuchte einen Disclaimer, in dem klar steht: Astrologie ist nicht der einzige Einfluss auf dein Leben. Es ist aber viel zu leicht, das Gegenteil zu glauben – vor allem, wenn du das Gefühl hast, im Strudel deines Schicksals gefangen zu sein, und daraufhin dein Vertrauen in eine höhere Macht oder spirituelle Praxis setzt. Selbst wenn du nicht religiös bist, kann Astrologie dafür eine Alternative sein; eine Möglichkeit, dein Leben von außen zu betrachten und dich zu vergewissern, dass du aus gutem Grund jetzt gerade hier bist. In einer Ära steigender Schulden, schwindelerregender Mieten und lockdownbedingter Einsamkeit kann das ein tröstender Gedanke sein. Gleichzeitig ist die Astrologie etwas, das uns näher zusammenbringt – als Freund:innen oder gar Fremde –, weil wir glauben, gewisse Charakterzüge miteinander zu teilen.
Gleichzeitig hat sie aber ein großes zerstörerisches Potential. 
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Ich hatte schon Kund:innen, die sich Sorgen machten, ihre Ehe könnte eventuell zerbrechen, weil die Hochzeit unter „schlechten“ planetarischen Bedingungen stattgefunden habe. Andere unterschrieben neue Arbeitsverträge, während der Merkur gerade rückläufig war – und zerbrachen sich dann den Kopf darüber, der Job könne eine Katastrophe sein, anstatt ihn zu feiern. Das sind natürlich extreme Beispiele, aber letztlich laufen sie alle auf eine Tatsache hinaus: Diese Leute waren völlig gestresst. Für jemanden, der:die ohnehin schon unsicher durchs Leben geht, kann die Astrologie alles noch mehr ins Wanken bringen. Die Bewegung der Planeten können wir nicht aufhalten, und astrologische Vorhersagen sind leider nicht immer positiv – wodurch einige fürchten, jeder Moment könne zum völligen Desaster werden. 

Die Astrologie verrät dir vielleicht nichts Neues über dich – aber hilft dir dabei, dich als Ganzes besser schätzen zu lernen, inklusive all deinen Fehlern.

Genau deswegen gehört zum Job des:der Astrolog:in vor allem eines: Mitgefühl – denn du kannst automatisch davon ausgehen, dass Kund:innen schwierige Fragen stellen werden. Aber was, wenn dein Werkzeug, mit dem du ihnen eigentlich helfen willst, zum Teil des Problems wird? Nicht jede:r erhofft sich von der Astrologie konkrete Zukunftsvorhersagen; denen entkommt man aber nicht immer. Die typisch fatalistische Sprache der Astrologie findet sich überall. Eine meiner Kundinnen hatte sich von dem, was sie in Horoskopen über sich selbst gelesen hatte, sämtliches Selbstvertrauen nehmen lassen. Sie tat sich schwer damit, Entscheidungen zu treffen – und weil die Astrologie dazu neigt, Persönlichkeiten zu analysieren, war sie nun wegen dieser Analysen davon überzeugt, für immer zwischen allen Optionen gefangen zu sein, ohne sich je festlegen zu können. 
Das größte Problem in ihrem Fall war, dass die Astrologie hier zur selbsterfüllenden Prophezeiung wurde. Anstatt ihr dabei zu helfen, sich weiterzuentwickeln, fühlte sie sich festgefahren. Erfahrungen wie ihre finden sich überall. Seiten wie Reddit, Twitter und Quora sind voller Threads, in denen Leute um Hilfe bitten, nachdem sie eine Besessenheit für Astrologie entwickelt haben.
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Selbst heute, wo ich meine Energie für anderes verwende, bin ich noch immer davon überzeugt, dass die Astrologie ein hilfreiches Tool sein kann. Den Beweis dafür haben mir Freund:innen und Kund:innen geliefert, denen die Astrologie genau das gab, was ich mir für sie erhoffte: Sie schenkte ihnen Bestätigung und Orientierung. Ich weiß noch, wie ich mich nach meiner eigenen ersten Geburtshoroskop-Lesung fühlte. Ich war Mitte 20 und bei einem Astrologen, dessen Arbeit ich schon lange verfolgte. Als ich ihn für eine private Lesung traf, fühlte ich mich selbst gerade etwas verloren. Diese Lesung löste aber etwas in mir aus: Ich konnte mich plötzlich aus einem Blickwinkel sehen, den ich zuvor nicht erkannt hatte. Die Astrologie verrät dir vielleicht nichts Neues über dich – aber hilft dir dabei, dich als Ganzes besser schätzen zu lernen, inklusive all deinen Fehlern. Dieser positive Aspekt der Astrologie gleicht für mich persönlich aber nicht die zahlreichen Erfahrungen der Leute aus, die damit nur eine Angst gegen eine andere auszutauschen versuchen.  
Ich kann andere Menschen auch bestärken und schätzen, ohne sie dazu durch das schwammige, widersprüchliche Chaos der Astrologie zu führen. Wir können nicht jedes Detail unseres Lebens kontrollieren – aber wir können sehr wohl bewusst entscheiden, unsere Intuition, unser Selbstvertrauen und unsere Entscheidungsfreudigkeit zu stärken, um die Höhen und Tiefen des Lebens zu bewältigen. Ich war mir schon immer sicher, dass du deine Zukunft am besten vorhersagen kannst, indem du dich im Hier und Jetzt betrachtest. Nicht die Planeten, sondern deine heutigen Handlungen beeinflussen die Richtung deines Lebens. Und für diese Erkenntnis brauchst du keine Geburtshoroskop-Lesung.
*Name wurde von der Redaktion geändert

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