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„No-Spend-Challenge“: Eine finanzielle Crash-Diät & genauso gefährlich

Foto: Kieran Boswell.
„Wohin verschwindet eigentlich mein ganzes Geld?“ Selbst als jemand, die sich eine Karriere darauf aufgebaut hat, anderen einen besseren Umgang mit Geld zu vermitteln (nachdem mir dieser selbst jahrelang schwer fiel), stelle ich mir genau diese Frage sehr oft. Ich bin derzeit im fünften Monat schwanger und die Hauptverdienerin in meinem Haushalt. Umso wichtiger kommt es mir vor, die Antwort auf diese Frage zu finden – vor allem, weil unser aller Lebenshaltungskosten derzeit höher sind als sonst.
Durch die Kombi aus Inflation und stagnierenden Löhnen ist es kaum verwunderlich, dass viele von uns momentan unter der Diskrepanz zwischen unserem Budget und unserem Kontostand leiden. Es ist auch nicht überraschend, dass Leute auf kreative Weise Geld zu sparen versuchen, weil sich Fixkosten (wie für Strom und Essen) nur schlecht einsparen lassen. Vor dem Hintergrund des aktuellen wirtschaftlichen Klimas klingen sogenannte „No-Spend-Challenges“ – während der du für eine Woche, einen Monat oder sogar länger auf nicht-essenzielle Ausgaben verzichtest und deine Fortschritte vielleicht via Social Media teilst – fast schon nach Spaß. Ich selbst habe auch schon viel über die Vorteile davon geschrieben, gute finanzielle Gewohnheiten zu einer Art „Spiel“ zu machen. Dafür gibt es viele Beispiele – wie die „1-Cent-Challenge“, bei der du einen Cent am ersten, zwei Cent am zweiten Tag sparst, und so weiter. Methoden wie diese können dir dabei helfen, dir auf unkomplizierte Art bessere finanzielle Gewohnheiten anzueignen. 
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Obwohl die Challenge für manche zu funktionieren scheint, ist das Risiko, dadurch eine gestörte Beziehung zum Geld aufzubauen, zu groß.

Der Trend zum „No-Spend“ bereitet mir allerdings Kopfzerbrechen – weil die Parallelen zu einer Crash-Diät sehr offensichtlich sind. Ich kann der Gewichtsverlust-Industrie einfach nicht die langfristigen Schäden verzeihen, die diverse Crash-Diäten meiner Beziehung zum Essen als Jugendliche und junge Frau zugefügt haben. Ich weigere mich, heute mit 33 Jahren eine ähnlich gestörte Beziehung zu meinem Geld aufzubauen. Während ich den Trend aber auf Instagram beobachtete – wo sich unter dem Hashtag #NoSpendChallenge über 35.000 Posts angesammelt haben, und das vor allem im Januar, dem jährlichen Höhepunkt der Selbstgeißelung –, fielen mir dabei viele Parallelen zu meiner eigenen Erfahrung mit der Diät-Kultur auf: die Verwendung der Farbe Grün für „gute“ Tage und Rot für „schlechte“ Tage; selbstkritische Posts von Leuten, die es gewagt hatten, sich eine neue Zahnbürste zu kaufen; verurteilende und „gut gemeinte“, strenge Kommentare. Als ich selbst etwas zu meiner Sorge rund um die „No-Spend-Challenges“ postete, gingen die Meinungen dazu stark auseinander. Einige schwören auf diese Challenges, um ihre Ausgabegewohnheiten zu „rekalibrieren“; andere wiederum stellen fest, dass sie am Ende einer solchen Herausforderung dazu neigen, zu viel auf einmal auszugeben, oder sich währenddessen so sehr darauf fixieren, möglichst wenig auszugeben, dass sie sich schon schuldig fühlen, wenn sie Essenzielles kaufen oder sich auch mal was gönnen. Mein Eindruck: Obwohl die Challenge für manche zu funktionieren scheint, ist das Risiko, dadurch eine gestörte Beziehung zum Geld aufzubauen, zu groß. Die Praxis des Nichts-Ausgebens zu verherrlichen, kann dazu führen, dass sich Leute, denen das einfach nicht gelingt oder nicht möglich ist, dafür schämen oder ausgegrenzt fühlen.
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Mir wurde klar: Die wahre Challenge ist es doch, das eigene Geld achtsam und gezielt auszugeben, ohne dabei so obsessiv sparsam zu leben, dass du den Spaß am Geld komplett verlierst oder (höchstwahrscheinlich) dich in einem Jo-Jo-Effekt aus „zu viel ausgeben“ und „zu wenig ausgeben“ verhedderst. Ich glaube, dass diese Form einer gestörten Beziehung zum eigenen Geld vermutlich langfristig mehr Probleme auslöst, als sie löst. Wie auch beim Essen können wir uns in Sachen Geld nicht einfach für einen kompletten Verzicht entscheiden. Wie können wir also die Kontrolle behalten, ohne uns zu stark auf die Ausgaben zu fixieren?
Auf die Gefahr hin, jetzt sehr klischeehaft zu klingen, beschloss ich, mich beim Ausgeben in Achtsamkeit zu üben, um eine Antwort auf die „Wohin verschwindet mein ganzes Geld?“-Frage zu finden. Das hieß nicht, dass ich komplett aufhörte, Geld auszugeben – sondern stattdessen jeden Tag meine nicht-essenziellen Ausgaben im Auge behielt, jede Ausgabe gründlicher überdachte und meine Erkenntnisse täglich mit meiner Instagram-Community teilte. Ich habe mein Budget prinzipiell ganz gut im Griff und habe mir gute Geldgewohnheiten antrainiert, nachdem ich vor ein paar Jahren über 30.000 Euro an Schulden abzubauen hatte. Trotzdem war ich gleichzeitig neugierig und nervös, was ich wohl bei dieser Übung über mich selbst erfahren könnte.
Mir wurden schnell erste Muster bewusst – die größtenteils mit meiner endlosen Mühe zusammenhingen, meinen ganzen Haushalt (mich, meinen Mann, unsere zwei Söhne und unsere Katze) zu ernähren, ohne zu viel Müll zu produzieren, zu oft zu bestellen oder auswärts zu essen. In meinem Budget war all das berücksichtigt, und ich dachte vorher schon, dass ich dahingehend etwas großzügiger war; als ich einen genaueren Blick darauf warf, wurde mir aber klar, dass ich vor allem in diesem Bereich viel zu viel ausgab. Das führte zu konstruktiven Gesprächen mit meinem Partner und einer neuen Herangehensweise daran, wie ich Lebensmittel einkaufe. Ich bemerke jetzt schon die ersten Veränderungen.
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Mir fiel auch auf, dass ich dazu neige, aus emotionalen Gründen Geld auszugeben. Nach zwei Söhnen bekommen wir jetzt ein Mädchen, und die Aufregung rund um diese neue Erfahrung sorgte dafür, dass ich online nach lauter pinken Sachen suchte. Bei der Arbeit bin ich in letzter Zeit schnell gestresst, und Online-Shopping ist immer eine willkommene Ablenkung. Ich fühle mich in meinem sich verändernden Körper körperlich und psychisch unwohl – aber auch dafür gibt es nur ein paar Klicks entfernt eine vermeintliche Lösung. Indem ich gründlicher über meine Ausgabegewohnheiten nachdachte, wurde mir stärker bewusst, wie ich mich fühlte – und ich konnte viele Spontankäufe verhindern, die ich im Nachhinein nur bereut hätte.
Indem ich meine Ausgaben mit 100.000 Leuten teilte, fällt es mir leichter, Verantwortung dafür zu übernehmen und mich in interessanten Gesprächen mit anderen auszutauschen. Vor allem genieße ich aber die Solidarität, die mir aus vielen Kommentaren entgegenschlägt. Das hat mich in dieser Übung enorm bestärkt, und dafür bin ich sehr froh. Ich habe viele neue Erkenntnisse und einen besseren Überblick über meine Finanzen gewonnen. Dadurch weiß ich jetzt, auf welche Bereiche ich ein besonders wachsames Auge haben sollte. Das Ganze fühlt sich allerdings an wie der erste Schritt in einem fortwährenden Prozess – nicht wie ein Test dessen, wie sehr ich mich selbst „bestrafen“ kann. Genau das wäre eine „No-Spend-Challenge“ für mich nämlich geworden.
Wenn du also darüber nachdenkst, die „No-Spend-Challenge“ auszuprobieren, versuch’s vielleicht erstmal mit einem Ausgabentagebuch oder einer achtsameren Herangehensweise an deine Finanzen. Womöglich kannst du auch daraus nämlich schon Vorteile ziehen, ohne dir gleich eine extreme Verpflichtung aufzudrücken.
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Clare Seal ist Autorin, Finanzberaterin und Gründerin des Instagram-Accounts @myfrugalyear.
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