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Wie dir toxische Positivität das Arbeitsleben versaut

Foto: Tayler Smith.
Der Job ist immer ein Balanceakt, bei dem du verzweifelt versuchst, Deadlines, die Work-Life-Balance und Arbeitsbeziehungen unter einen Hut zu bekommen. Die letzten paar Jahre waren dahingehend aber besonders herausfordernd. Laut einer Future-Forum-Studie von 2023 ist das Burnout so weit verbreitet wie nie; über 40 Prozent der befragten Büroangestellten gab an, sich ausgebrannt zu fühlen, und das galt vor allem für Frauen und Angestellte unter 30. Dazu kamen eine globale Pandemie, Einstellungsstopps, Entlassungen, wirtschaftliche Unsicherheiten und ein heftig umkämpfter Arbeitsmarkt. Kein Wunder, dass viele von uns derzeit unter einem großen Druck leiden. 
Aber was, wenn dein Arbeitsplatz von dir verlangt, diese sehr realen Sorgen zu ignorieren und stattdessen so zu tun, als sei inner- und außerhalb des Jobs alles super? Das nennt sich dann toxische Positivität, die sich oft in Sprüchen wie „Wir sprechen nicht von Problemen, sondern arbeiten an Lösungen“ oder „Sieh doch mal das Gute daran“ äußert.
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Toxische Positivität ist der Druck, nur eine Facette der menschlichen Emotionen auszudrücken. Alles, was nicht fröhlich und positiv ist, wird unterdrückt und ignoriert“, erklärt Angela Amias, Therapeutin und Gründerin der Healthy Relationship Academy, einem Programm für Wohlbefinden am Arbeitsplatz.

Obwohl in vielen Betrieben etwas anderes behauptet wird, sind deine Kolleg:innen und Vorgesetzten nicht deine „Familie“.

„Toxische Positivität ist schädlich, weil sie eine Atmosphäre erschafft, in der wir nicht wir selbst sein können“, sagt sie. „Am Arbeitsplatz bedeutet das, dass du ein Lächeln erzwingst und so tust, als seist du glücklich, obwohl du eigentlich Schwierigkeiten hast.“ Diese Fassade aufrechtzuerhalten, ist eine enorme emotionale Belastung. Ironischerweise verschlimmert toxische Positivität das Problem sogar nur, erklärt Amias – vielleicht so weit, dass Angestellte sich irgendwann davor grausen, überhaupt zur Arbeit zu gehen. Es gibt aber Möglichkeiten, um zu verhindern, dass die toxische Positivität dein Leben beeinträchtigt. 

Wie du ein toxisches Arbeitsumfeld erkennst

Um gegen toxische Positivität vorgehen zu können, musst du sie erst einmal identifizieren können – und das kann am Arbeitsplatz sogar schwieriger sein als im Privatleben, weil es dort typischerweise mehr Grenzen gibt, was die Privatsphäre oder „professionelles“ Verhalten angeht. An manchen Arbeitsplätzen ist die toxische Positivität schon von Anfang an in der Arbeitskultur verankert; an anderen hingegen entwickelt sie sich erst mit der Zeit, wenn sich das Management nicht an die Bedürfnisse der Angestellten anpassen kann oder will. In beiden Szenarien wird toxische Positivität vom Management benutzt, um sich vor seinen Verantwortungen gegenüber seiner Angestellten zu drücken. Wenn sich nämlich alle dazu verpflichtet fühlen, immer nett zu lächeln und alles Negative runterzuschlucken, ist es leichter, schwierige Themen wie das Gehalt, die Arbeitszeiten oder Diskriminierung unter den Teppich zu kehren.
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„Das erste Anzeichen für einen potenziell toxisch-positiven Arbeitsplatz ist es, dass es so wirkt, als ginge es allen Angestellten super, weil niemand offen über Probleme am Arbeitsplatz oder im Privatleben spricht“, meint Amais. In solchen Situationen bist du dann im Feierabend vielleicht besonders müde, oder fühlst dich ausgebrannt. Das sind beides normale körperliche Reaktionen auf eine erdrückende Umgebung, erklärt sie.
Als Nächstes solltest du dir überlegen, wie deine Vorgesetzten und Kolleg:innen mit Feedback umgehen. „Wenn bei der Arbeit jeder Ausdruck von Frustration oder jede Bitte um Hilfe nur mit einer Reaktion wie ‚Kopf hoch, das schaffst du schon‘ abgetan wird, ist das ein eindeutiges Zeichen dafür, dass du dort nicht ernst genommen wirst“, meint die Psychotherapeutin Katherine Morgan Schafler.
Die 26-jährige Marleigh arbeitet im Kundenservice und kennt das nur zu gut. Auch ihre Manager:innen reagieren auf ihre legitimen Sorgen oder Bitten meist mit einer Art Schulterzucken. Als ihre Firma große Umstrukturierungen vornahm, wurde Marleigh und ihren Mitarbeitenden gesagt, sie sollten „lächeln und es einfach hinnehmen“. Marleigh hatte irgendwann den Eindruck, dass sich diese gespielt positive Einstellung auch auf Leistungsbewertungen und sogar Gehaltserhöhungen auswirkte. „Um voranzukommen, musstest du diese fröhliche Rolle spielen. Du durftest niemandem zu nahe treten oder negativ rüberkommen“, sagt sie.
Die Erwartung, Angestellte sollten mit einem netten Lächeln alles über sich ergehen lassen, kann besonders dann schädlich sein, wenn sie Menschen aus Randgruppen betrifft – wie Frauen, Menschen of color oder der LGBTQIA+-Community – und diese davon abhält, unangebrachtes Verhalten zu melden oder sich Hilfe zu suchen.
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Halte dir die Realität vor Augen

Obwohl in vielen Betrieben etwas anderes behauptet wird, sind deine Kolleg:innen und Vorgesetzten nicht deine „Familie“. Zahlreiche Firmen benutzen solche Begriffe aber, um möglichst nett und einladend rüberzukommen. In Wahrheit kann dieses Messaging aber dazu führen, dass Angestellte mehr arbeiten, als sie müssten – zum Beispiel durch Überstunden oder zusätzliche Aufgaben, teilweise außerhalb ihres eigenen Arbeitsbereiches. Diese unfaire Erwartungshaltung wird oft durch toxische Positivität gerechtfertigt, nach dem Motto: „Du solltest dankbar sein, dass du diesen Job überhaupt hast.“ 
Anstatt aber zu versuchen, andere davon zu überzeugen, dass sie dieses toxische Arbeitsumfeld verstärken (oder ihr eben keine Familie seid), kann es tatsächlich hilfreicher sein, dir deine eigene Perspektive und deine Sorgen genau vor Augen zu halten. Wenn du also mal wieder nicht ernst genommen wirst, empfiehlt Schafler, dir selbst zu sagen: „Das ist eine verklärte Version davon, was wirklich passiert ist, und davon, wie schwer dieser Job wirklich ist. Ich weiß, was wirklich passiert ist und wie schwer mein Job ist. Es ist okay, dass ich frustriert, traurig und erschöpft bin.“
„Schenke dir selbst Bestätigung und umgib dich mit Menschen, die ebenfalls gut darin sind, sämtliche Emotionen zuzulassen und diese auch anzuerkennen“, meint Schafler. Dein Support-Netzwerk muss auch nicht aus deinen Kolleg:innen bestehen; diese Unterstützung kannst du dir auch innerhalb deiner Familie, von Freund:innen oder Therapeut:innen holen.

Kontrolliere die Situation – bis du ihr entkommst

In manchen Fällen reicht es aber nicht, dir selbst diese Bestätigung zu holen und dir die toxische Situation vor Augen zu halten. Dann brauchst du unbedingt einen neuen Job. Bis es aber soweit ist, hast du einige Optionen, um die Lage in den Griff zu bekommen und dein eigenes Wohlbefinden zu schützen.
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Für die 35-jährige Betriebsleiterin SJ* bedeutete das, einfach „mitzuspielen“, weil sie den Frieden bewahren und keine Brücken hinter sich abreißen wollte. Nachdem ihr bei der Arbeit gesagt worden war, sie sei „nicht fröhlich genug“, achtete SJ darauf, „jeden Tag beim Kaffeeholen in der Küche auch ja allen Leuten einen guten Morgen zu wünschen“. Obwohl sie es hasst, sich dazu verpflichtet zu fühlen, ist SJ eben leider die einzige Schwarze Frau in ihrem Büro und glaubt, trotz Einhaltung aller Deadlines und ihrer guten Arbeit immer in einer unsicheren Lage zu sein. Aktuell plant sie, ihren Job zu kündigen, um ihren Doktor zu machen.
Auch Marleigh hat gelernt, ihre Situation unter Kontrolle zu bringen. Ihr half dabei die richtige Kommunikation. Sie geht ganz offen mit ihren eigenen Grenzen um – zum Beispiel, wenn sie nicht mehr Aufgaben übernehmen kann, oder indem sie direkt um Hilfe oder Freiraum bittet – und hat sich ein paar Kolleg:innen gesucht, denen sie vertraut und von denen sie sich ihre Gefühle bestätigen lässt. Sie empfiehlt außerdem, jeden deiner Urlaubstage auch wirklich zu nutzen und dich nicht zu überarbeiten. In anderen Worten: „Ich gebe meinen Arbeitgeber:innen nur die Mühe, von der ich glaube, dass ich dafür genug bezahlt werde“, sagt sie. Vor Kurzem bekam sie eine Beförderung und wechselte die Abteilung; dort ist die Arbeitskultur eine bessere.
Die richtige Kommunikation, konkrete Grenzen und ein vertrauensvolles Umfeld sind allesamt Strategien, mit denen toxische Positivität zumindest erträglicher wird. Bedenke dabei aber, dass es eben nur Bewältigungsmechanismen sind, und keine Lösung. Du verdienst es nämlich, dich an deinem Arbeitsplatz wohl zu fühlen – und bei deiner Arbeit wirklich lächeln zu wollen. Ist das nicht gegeben, ist es vielleicht an der Zeit für einen neuen Job.
*Namen wurden von der Redaktion geändert.
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