Die Berliner Fotografin Marina Hoppmann war erst 17 Jahre alt, als sie ihre Mutter Ria verlor. Die beiden hatten sich außergewöhnlich nah gestanden, und diese Erfahrung stellte Hoppmanns Welt völlig auf den Kopf. Sie hatte vorher gewusst, was ihr bevorstand, erzählt sie – ihre Mutter hatte an unheilbarem Krebs gelitten –, doch hatte sie die Anzeichen so lange ignoriert, dass ihr der Tod ihrer Mutter komplett surreal vorkam, als es dann tatsächlich so weit war. „Ich glaube, vor allem während der Teenagerzeit wirkt der Tod einfach sehr weit entfernt“, sagt sie. „Rückblickend ist das alles immer noch ganz verschwommen.“ Hoppmann war sechs Jahre alt, als ihre Mutter erkrankte. Der Krebs veränderte nicht nur die Einstellung ihrer Mutter, sondern die der gesamten Familie. „Weil uns der Tod schon mal so nah war, schätzten wir jeden gemeinsamen Moment umso mehr.“
WerbungWERBUNG
In ihrer emotionalen Fotoserie Mothers & Daughters beleuchtet Hoppmann diesen Verlust, indem sie andere junge Frauen vor die Kamera holt, die Ähnliches durchgemacht haben. Sie fotografiert die Frauen in deren eigenen vier Wänden und ergänzt die Porträts durch alte Familienbilder, Notizen oder Briefe, die die Töchter nach dem Tod ihrer Mütter schrieben. Dabei nimmt sie sich selbst nicht heraus: Auch ihr eigenes Porträt und ein Brief an ihre Mutter gehören zu dem Projekt. Hoppmann wollte ihrer Mutter schon lange eine Fotoserie widmen, hatte sich aber bisher zu verletzlich gefühlt. Erst, als sie sich nach einer Verbindung zu Menschen zu sehnen begann, die dasselbe erlebt hatten, fühlte sie sich dazu inspiriert, das Projekt anzugehen. Auf den ersten Bildern, die sie von sich knipste, trug sie die alten Kleidungsstücke ihrer Mutter. Es war ihre Art, ein gemeinsames Foto aufzunehmen. Liebe und Verlust liegen hier sehr nah beieinander.
Die erste Frau, die Hoppmann für ihr Projekt ablichtete, war eine Fremde namens Zsuzsanna, deren Social-Media-Post in ihrem Feed aufgetaucht war, in dem Zsuzsanna davon schrieb, ihre Mutter zu vermissen. Weil sie vermutete, dass Zsuzsanna in einer ähnlichen Situation war wie sie selbst, schrieb Hoppmann ihr eine E-Mail. „Sie antwortete total positiv und sobald wir uns trafen, unterhielten wir uns direkt über das Thema. Es war ein sehr ehrliches Gespräch“, erklärt Hoppmann. „Ich dachte, ich würde sicher nicht zu emotional werden, weil wir einander ja gar nicht kannten – aber es berührte mich tief, sie von ihrer eigenen Erfahrung sprechen zu hören.“ Zsuzsanna trug zu dem Treffen die Bluse und Jeans ihrer Mutter, setzte sich für das Bild vor einen weißen Hintergrund und schaute über ihre Schulter in die Kamera. Die Frauen unterhielten sich, während Hoppmann ihre Fotos machte, und obwohl Zsuzsanna ihre Mutter viel früher verloren hatte als Hoppmann – schon vor ihrer Teenagerzeit –, hatten sie viel gemeinsam. Ihre Gefühle schienen sich in vieler Hinsicht zu überschneiden.
WerbungWERBUNG
Danach meldete sich Hoppmann bei weiteren Fremden sowie bei einigen ihrer Freundinnen. Daraufhin knipste sie unter anderem Carmela, die auf ihrem Porträt mit sanfter Trauer in die Kamera guckt; und Maya, die auf ihrem Bild fast genauso alt ist wie ihre Mutter auf deren Foto. Die beiden sind sich verblüffend ähnlich. All diese Gefühle sind direkt sichtbar – in ihren Gesichtern und darin, wie liebevoll und einfühlsam Hoppmann ihre Subjekte fotografierte. Es war nicht immer leicht, der Trauer so direkt zu begegnen, erzählt sie. Gleichzeitig fühlte sie sich aber auch weniger einsam, während sie diese Frauen vor der Kamera hatte, und es war eine therapeutische Erfahrung, sich ihnen so zu öffnen.
Trauer ist für viele Menschen immer noch so ein schwieriges Thema. Vielen von uns fällt es aus Hilflosigkeit und Überforderung schwer, eine trauernde Person zu unterstützen. Hoppmann persönlich weiß es jedenfalls immer zu schätzen, wenn sie jemand direkt nach ihrer Mutter fragt. „Ich glaube, viele Leute haben Angst davor, das Thema der Trauer anzusprechen, weil sie nicht in alten Wunden rühren wollen – und ja, das kann schwer sein, aber solange es in einem sicheren, intimen Umfeld geschieht, kann die Trauer meiner Meinung nach nur nachlassen, wenn man über sie spricht.“
Für Hoppmann war die Trauer eine lebensverändernde Reise – eine sich verändernde, aber doch konstante Präsenz in ihrem Leben. Zu Beginn fühlte es sich für sie so an, sagt sie, als lebe sie eine Art Parallelexistenz zu ihrem normalen Alltag. Sie konnte sich einfach nicht an den Gedanken gewöhnen, sich eine Zukunft ohne ihre Mutter ausmalen zu müssen. „Es war schwer zu akzeptieren, dass mir so etwas passiert war“, erzählt sie. „Und das ist geht mir eigentlich noch immer so. Mit der Zeit gewöhnte ich mich aber an eine bestimmte Trauer – eine, die mich immer begleitet und die nie vergehen wird. Ich vermisse sie in meinem Alltag, und es wird immer Momente oder Phasen geben, in denen ich sie mir an meiner Seite wünsche.“
WerbungWERBUNG
Es ist eine der Besonderheiten dieser Form von Verlust – wenn eine Tochter ihre Mutter verliert –, nie die Chance auf eine erwachsene Frauenfreundschaft mit der eigenen Mutter zu bekommen. „Das fehlt mir am meisten“, sagt Hoppmann. „Unsere körperliche Beziehung endete, als ich 17 war. Deswegen erreichten unsere Gespräche nur eine ganz bestimmte Ebene. Es gibt so vieles, das ich meine Mutter gerne fragen würde. Sie kennt nur mein 17-jähriges Ich. Sie wird meinen Freund nie kennenlernen, sie weiß nicht, welchen Beruf ich erlernt habe. All das tut sehr weh. Ich wünschte, ich könnte sie danach fragen, wie es ihr in meinem Alter ging, und ich vermute, dass ich den Verlust nochmal ganz anders betrauere, wenn ich irgendwann selbst eine Mutter bin. Ich glaube, wir sind uns sehr ähnlich, daher fehlt mir unser Austausch in so vielerlei Hinsicht.“
Mothers & Daughters wirft ein ehrliches, unaufdringliches Licht auf vergangene Verluste. Und obwohl es sich in diesem Projekt um so viele Leben und Erinnerungen dreht, steht letztlich das strahlende Bild von Hoppmanns Mutter im Zentrum und erinnert uns daran, was all diese Frauen miteinander verbindet. Auf dem Familienfoto von Hoppmann und ihrer Mutter sitzen die beiden aneinandergekuschelt in einer Hängematte und schauen direkt in die Kamera. Während sich Hoppmanns Mutter an ihre Tochter lehnt, umspielt ein leichtes Lächeln ihre Lippen. Die beiden haben die gleichen dunklen Augen. „Ich habe wieder von Mama geträumt. Alles war so klar und deutlich – und sie war so schön“, schreibt Hoppmann in dem Brief, der zu dem Foto gehört. „Ich stelle mir vor, wie wir heute gemeinsam in dieser Hängematte sitzen, einen Wein trinken, zusammen tanzen und über das Leben reden.“ Später, auf ihrem Selbstporträt, liegt Hoppmann mit dem Selbstauslöser-Knopf in der Hand auf einem Bett und trägt den Schmuck und das Top ihrer Mutter. Diesmal ist sie allein – doch hat sie noch immer denselben intensiven Ausdruck in ihren Augen, der schon auf ihrem Kinderfoto zu sehen ist. In den Augen, die denen ihrer Mutter noch immer so ähnlich sind.
WerbungWERBUNG
Wenn sie an ihre Mutter zurückdenkt, beschreibt Hoppmann sie als liebevoll, aufmerksam und stark, und als unendlich positiver Mensch, selbst während ihrer Krankheit. „Sie war außerdem eine sehr direkte Frau und extrem loyal. Wenn ihr etwas nicht passte, sagte sie das auch ganz ehrlich“, erinnert sie sich. Jetzt, wo sie selbst erwachsen ist, möchte sie dem selbst entsprechen, sagt sie – sowohl als Frau als auch bei der Arbeit.
WerbungWERBUNG