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Ich war einsam – also zog ich ans andere Ende des Landes

Foto: Natalia Mantini.
Im Dezember 2019 wartete ich gespannt auf meinen „Spotify Wrapped“-Jahresrückblick, neugierig darauf, was er mir wohl verraten würde. Als er dann kam, erfuhr ich, dass ich ganze 44.000 Minuten dieses Jahres auf Spotify verbrachte hatte – und 32.000 Minuten davon mit Podcasts. Daraufhin war ich einerseits irgendwie stolz darauf, damit zum obersten einen Prozent aller Spotify-Nutzer:innen zu gehören; andererseits kam mir das aber doch ein bisschen bedenklich vor, und ich fing an, mir darüber Gedanken zu machen.
Podcasts waren ein fester Bestandteil meines Alltags. Ich brauchte diese Hintergrundgeräusche, um alles Mögliche zu erledigen – den Haushalt, das Schreiben von Hausarbeiten, Einkäufe. Manchmal wurde ich sogar ganz unruhig, wenn es darum ging, mich für einen Podcast zu entscheiden. Trotzdem war mir jeder Podcast immer lieber als Stille: Die Geräusche ließen mich vergessen, dass mein Leben in Wahrheit sehr still war – und mir wurde klar, dass ich tatsächlich ziemlich einsam war.
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Ich wuchs in einer ziemlich weißen Nachbarschaft auf, und meine Freundschaften waren bis zum Studium immer nur sehr kurzlebig. In jedem Schuljahr hatte ich ein, zwei Freund:innen, mit denen ich die große Pause verbrachte. Diese Freundschaften verpufften aber meist über die Sommerferien. Ich vermutete, das läge an meiner Hautfarbe – ich bin Schwarze Ghanaerin und passte deswegen vielleicht nicht so rein. Als ich dann also recherchierte, an welcher Uni ich studieren sollte, achtete ich bewusst darauf, mir eine kulturell diverse Stadt auszusuchen. Das tatsächliche Studium war dann nicht gerade die Utopie, die ich mir vorher ausgemalt hatte, aber im zweiten Semester meines letzten Jahres hatte ich mir dann doch innerhalb meiner Kirchengemeinde eine kleine Community aufgebaut und echte Freundschaften geknüpft. Als ich nach dem Abschluss allerdings wieder in meine Heimatstadt zurückzog, war das demnach ein ziemlicher Kulturschock.
Das Leben nach der Uni wurde schnell monoton: Meine Tage verbrachte ich bei der Arbeit. Mittags ging ich spazieren, abends scrollte ich mich durch Social Media. Das Einzige, was am Wochenende anders war, waren meine langen Netflix-Sessions. Ich aß damals viele Süßigkeiten, um jedem Tag ein bisschen Freude einzuhauchen. Ohne irgendjemanden zu haben, mit dem ich reden konnte – außerhalb meiner Familie –, verschwommen meine Tage alle miteinander, und mein Selbstwertgefühl ging den Bach runter. Ich war mir meiner Einsamkeit so stark bewusst, dass ich vor lauter Trauer tatsächlich einen stechenden Schmerz in meinem Rücken und meinen Armen spürte, wann immer ich länger drüber nachdachte.
Leider kursierten damals eine ganze Menge Memes à la „Wenn du keine Freunde hast, bist du das Problem“ oder „Date keine Frau, die keine Freunde hat“. Nach einer Weile kannst du gar nicht anders und verinnerlichst solche Messages. Irgendetwas an meiner Einsamkeit (vor allem in meinen Zwanzigern) und meinem verzweifelten Wunsch nach menschlicher Nähe fühlte sich extrem peinlich an, und ich schämte mich dafür. Geräusche und Zucker konnten die Stille in meinem Leben nur begrenzt übertönen, und je mehr ich versuchte, der Einsamkeit zu entkommen, desto tiefer versank ich darin. 
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Ich war fest entschlossen, mein Leben zu ändern. Also suchte ich nach Jobs, die ich auch im Homeoffice würde machen können – und zog 2022 zurück in die Stadt, in der ich studiert hatte. 
Ein Job, der zu 100 Prozent im Homeoffice stattfindet, bringt jedoch ganz eigene Herausforderungen mit sich. Weil du so viel Zeit allein verbringst, musst du dich schon bewusst darum bemühen, zum Ausgleich deinen Feierabend mit sozialen Aktivitäten zu füllen, wenn du das möchtest. Ich war so sehr darauf aus, meiner Einsamkeit zu entkommen und neue Leute kennenzulernen, dass ich es nach meinem Umzug deutlich übertrieb und zu jedem Treffen Ja sagte, das sich über meine Kirchengemeinde ergab. Mir wurde schnell klar, dass es quasi unmöglich ist, dich an vier Tagen pro Woche mit Leuten zu treffen und gleichzeitig gut zu essen, Sport zu machen, genug zu schlafen, bei der Arbeit durchzustarten und für Familie und Freund:innen da zu sein. Weil ich damals noch keinen festen Freundeskreis hatte, erlebte ich außerdem weiterhin Phasen der Einsamkeit. Trotzdem fühlte ich mich nicht mehr ganz so hoffnungslos: Ich gehörte jetzt zu einer größeren Community aus Menschen, bei denen ich mich melden konnte, wenn ich wollte.
Rückblickend hatte ich die Stadt wohl während meines Studiums ein bisschen romantisiert und sie durch eine rosarote Brille hindurch betrachtet. Ich ging also davon aus, bei meiner Rückkehr direkt dort weitermachen zu können, wo ich aufgehört hatte, und würde sicher sofort neue Freundschaften knüpfen. In mancher Hinsicht war das auch so: zum Beispiel, als ein Zimmer in einem Haus frei wurde, in dem ein paar der Mädels wohnten, mit denen ich zusammen studiert hatte. Das fühlte sich für mich direkt wie ein Zuhause an. Ich stehe meiner Familie sehr nah; der Umzug war daher direkt viel weniger gruselig, weil ich mich in der Stadt schon auskannte und mit vertrauten Menschen zusammenleben konnte.
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In mancher Hinsicht war das Ganze aber doch nicht so leicht. Ich kehrte in die Kirchengemeinde zurück, zu der ich als Studentin gehört hatte, in der Hoffnung, darüber neue Freund:innen zu finden. Die meisten der Leute, die ich vier Jahre zuvor dort gekannt hatte, waren inzwischen aber nicht mehr da. Ich fing also von vorne an, und das war manchmal ganz schön unangenehm. Selbst im perfekten Umfeld für neue Freundschaften musst du dich immer noch selbst darum bemühen, diese Kontakte auch tatsächlich in die Wege zu leiten. Ich zwang mich also dazu, zu sozialen Events zu gehen – selbst an den Tagen, an denen mir gar nicht danach war. Ich speicherte mir die Handynummern neuer Bekanntschaften ab und schrieb ihnen, ob sie sich nicht mal mit mir treffen wollten. Es erforderte viel Mühe, aber nach einiger Zeit hatte ich mir doch einige gute Freundschaften erarbeitet. Das Umfeld, das mir meine Kirche dabei ermöglichte, nehme ich nicht für selbstverständlich: Ich weiß nicht, wo ich sonst nach Freund:innen gesucht hätte.
Heute sind meine Freundschaften das Schönste in meinem ganzen Leben. Beim Einkaufen brauche ich jetzt keine Podcasts mehr – stattdessen telefoniere ich oder verschicke Sprachnachrichten. Ich lade Freund:innen zum Abendessen oder für Spieleabende zu mir ein, gehe mit ihnen spazieren, schaue mit ihnen Serien, quatsche mit ihnen in Parks, feiere Geburtstage, bin für sie da, wenn es ihnen schlecht geht, und stoße mit ihnen auf eine Beförderung, einen neuen Job oder eine neue Wohnung an. Freundschaft bedeutet für mich, von meinen Liebsten wirklich gekannt zu werden und sie an meiner Seite zu haben.
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Die vielleicht wertvollste Lektion, die ich von meiner Kirchengemeinde gelernt habe, ist die, dass eine Community immer viele Schichten hat und noch weit über deinen engsten Freundeskreis hinausgeht. Es kam im letzten Jahr so oft vor, dass ich die Weisheit und Freundschaft deutlich älterer Menschen so dringend gebraucht und dann auch bekommen habe – von jemandem, der oder die sich in einer ganz anderen Lebensphase befindet als ich. Diese Bindungen hauchen meinem Leben so viel Farbe und Tiefe ein.
Toxische Positivität sorgt dafür, dass wir Einsamkeit immer als Gelegenheit dazu betrachten, uns auf uns selbst zu konzentrieren oder uns bei anderen zu melden. Das ist natürlich kein schlechter Rat; es tut mir trotzdem jedes Mal weh, wenn ich sowas höre. Das klingt nämlich so, als hätte ich mir nur nicht genug Mühe gegeben, um meiner Einsamkeit zu entkommen. Gleichzeitig verharmlost sowas die ernstzunehmenden mentalen und körperlichen Auswirkungen, die Einsamkeit in meinem Leben hinterließ.
Ans andere Ende des Landes zu ziehen, um neue Freundschaften zu finden, hat mir bewiesen, dass eine Community immer möglich ist – und dass wir sie alle brauchen. Vielleicht müssen wir einfach nur besser darin werden, unsere Einsamkeit zuzugeben, denn viele von uns kennen dieses Gefühl. Vielleicht sollten wir bewusster auf neue Leute zugehen. Ich jedenfalls weiß heute: Es hat sich gelohnt, auf mein Bauchgefühl zu hören – und dazu auch mal einen großen, mutigen Schritt zu wagen.
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