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Wie du einer geliebten depressiven Person hilfst, ohne ihr zu schaden

Foto: Eylul Aslan.
Die Depression ist ein mieser Dieb. Sie kann dir all das klauen, was dich zu dir macht – deinen Sinn für Humor, deine Bescheidenheit, deine Fähigkeit, dich anderen Menschen zu öffnen. Sie kann dafür sorgen, dass dich deine Liebsten kaum noch wiedererkennen. Sie kann all deine tollen Seiten durch eine tiefunglückliche, schmerzhafte Taubheit ersetzen, die normale menschliche Kontakte erschweren oder ganz unmöglich machen.
Das ist das Erste, was du wissen solltest, wenn du jemanden liebst, der:die unter einer Depression leidet: Wenn sich ein geliebter Mensch mit dieser Krankheit herumquält, ist das womöglich nicht mehr die Person, in die du dich verliebt hast – denn sie ist nicht mehr ganz sie selbst. So einfach ist das, und so kompliziert. Vielleicht behandelt er:sie dich plötzlich ganz schroff, hat keine Geduld mit dir, zeigt dir die kalte Schulter oder ist wütend auf dich. Oder er:sie ist unerwartet gemein zu dir, hält dich auf Distanz oder zieht sich auf einmal still und schüchtern ins eigene Schneckenhaus zurück. Womöglich verlangt er:sie jetzt aber auch einfach mehr Liebe und Aufmerksamkeit von dir. 
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Die Person, die du liebst, wird mit der Zeit – und der richtigen Behandlung – zu dir zurückkehren. Vorübergehend (und das kann auch länger dauern!) solltest du dich darauf einstellen, dass dir diese Person nicht so rational und liebevoll begegnet, wie du es gewohnt bist. Ihr „wahres Ich“ verabschiedet sich womöglich zeitweise und kehrt erst zurück, wenn das chemische Gleichgewicht in ihrem Gehirn wiederhergestellt ist. Für dich heißt das: Geduld, Geduld, Geduld. Es wird schwierig, es wird traurig, vielleicht macht es dich sogar wütend. Aber wenn du diesen depressiven Menschen liebst, solltest du alles dir Mögliche tun, um ihm dabei zu helfen, wieder zu sich selbst zurückzufinden.
Die Psychologin Abigael San hat für den Umgang mit dieser Situation ein paar praktische Ratschläge. „Das Wichtigste ist, dass du auch dir selbst die nötige Aufmerksamkeit schenkst, damit du deinem Gegenüber genug Hilfe leisten kannst“, sagt sie. „Lass dich nicht in die Depression reinziehen; von da aus kannst du nicht mehr helfen. Fühl dich bitte nicht dazu verpflichtet, der leidenden Person nicht von der Seite zu weichen. Es ist besser für euch beide, wenn du stark bleibst – also achte darauf, dass du selbst Dinge unternimmst, die dich stärken.“ Das ist wie mit der Sauerstoffmaske im Flugzeug: Du musst zuerst deine eigene aufsetzen, bevor du anderen mit ihren hilfst. Es ist nicht egoistisch, dich auch um deine eigene emotionale und geistige Gesundheit zu kämpfen, während es einer geliebten Person schlecht geht; im Gegenteil: Es ist pragmatisch und absolut wichtig. Zeit mit Freund:innen und/oder in der Natur zu verbringen und vielleicht sogar selbst eine Therapie zu machen – all das kann dir dabei helfen, eine gewisse Normalität in deinem Leben zu bewahren. Nur so kann deine geliebte Person irgendwann in euer gemeinsames Leben zurückkehren, wenn sie dazu bereit ist – anstatt zu spüren, dass sie dich in ihren melancholischen Strudel reingezogen hat. 
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Aber wie schützt du dich vor dem potenziell ansteckenden Kummer? Verlass dich dabei am besten auf professionelle Hilfe – sowohl für dich selbst, als auch für den:die Betroffene:n. „Ihr könnt natürlich miteinander über die Depression sprechen; für die nicht-depressive Person kann es aber schwierig sein, das alles aufzunehmen und danach wieder abzuschütteln. Daher solltest du als nicht-betroffene Person dein Gegenüber dazu ermutigen, eine Therapie zu machen“, empfiehlt Abigael. „Nach ein paar Sitzungen kann es sein, dass dich der:die Therapeut:in dann dazu einlädt, an einer Sitzung teilzunehmen, um eine andere Perspektive auf die Situation zu beschreiben. Dabei wird darüber gesprochen, welche Rollen ihr in eurer Beziehung zueinander habt und wie sich diese seit Beginn der Depression verändert haben. Dann könnt ihr gemeinsam daran arbeiten, eurer Beziehung nach und nach mehr Normalität zu verleihen. Wenn es der betroffenen Person sehr schlecht geht, kann es ihr schwer fallen, eure Situation neutral zu betrachten; deswegen könnt ihr damit anfangen, alte ‚normale‘ Aktivitäten wieder aufzunehmen. Wenn ihr zusammen wohnt, können das zum Beispiel das morgendliche Bettmachen oder das Gassigehen mit dem Hund sein. Hauptsache, es sind leichte Aktivitäten, die nicht zu stark fordern.“
Selbst das kann sich aber schwierig gestalten. Eine Depression kann Betroffene lethargisch, niedergeschlagen und enorm erschöpft machen, sodass selbst das Schnürsenkelbinden zur unüberwindbaren Hürde wird. Wichtig ist daher, dass du geduldig bleibst und verstehst, dass sich mit einer Depression sogar das tägliche Aufstehen unmöglich anfühlen kann – geschweige denn das normale „Funktionieren“ oder emotionale Stabilität. Jede:r reagiert anders auf eine Depression, aber es ist möglich, dass die von dir geliebte Person dadurch Schwierigkeiten mit der Liebe hat. Depressive Menschen sagen oft von sich selbst, niemanden zu lieben – oder lieben zu können. Und das ist kaum verwunderlich; wenn sie sich selbst nicht lieben, wie sollten sie jemand anderen lieben? Die Depression kann dir diese eigentlich so grundlegende Fähigkeit rauben, Liebe zu empfinden. Betroffene fühlen sich häufig wertlos und allein, als würden sie keine Liebe verdienen und sie selbst auch nie wieder verspüren. Natürlich ist nichts davon wahr – aber die Depression belügt ihre Opfer gern. All das wirkt sich zwangsläufig auf eure Beziehung aus. Versuch daher bitte, nichts davon persönlich zu nehmen; das Problem seid nicht ihr beide, sondern die Depression.
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„Es kommt häufig vor, dass sich depressive Menschen innerhalb einer Beziehung abschotten, insbesondere, wenn ihr:e Partner:innen wissen möchten, was los ist. Die Betroffenen reagieren darauf oft ungeduldig und frustriert und haben Schwierigkeiten damit, irgendwelche positiven Gefühle zu empfinden. Sie ziehen sich zurück und können nicht nachvollziehen, was in ihrem Gegenüber vorgeht“, meint Abigael. „Deswegen ist es so wichtig, dass du als dieses Gegenüber auf dich selbst achtest, weil deine Bedürfnisse zumindest in nächster Zeit vermutlich nicht genug Aufmerksamkeit bekommen. Das muss dir bewusst sein, und darauf solltest du dich einstellen. Versuch deinem geliebten Menschen nicht das ganze Ausmaß davon zu zeigen, wie sehr sich das belastet. Sobald er:sie damit begonnen hat, die eigene Depression anzugehen, vielleicht mithilfe einer Therapie, kannst du erwähnen, wie stark sich die Krankheit auch auf dich ausgewirkt hat. Wenn sich das Leben der betroffenen Person wieder positiver gestaltet und sie aktiver wird, hat sie womöglich endlich die mentalen Kapazitäten, um darüber nachzudenken, was die eigene Erkrankung für ihr Umfeld bedeutet (hat).“
Es fühlt sich eventuell unnatürlich an, dein eigenes Leid für dich zu behalten. Vermutlich warst du es schließlich gewöhnt, deine Gefühle mit dieser Person zu teilen; ihr jetzt einen Teil davon zu verheimlichen, kommt dir womöglich merkwürdig vor. Besonders schwierig wird es sein, deine Gefühle im Zaum zu halten, wenn sich ein geliebter Mensch dir gegenüber kalt, distanziert oder schroff verhält. Genau deswegen kann es helfen, wenn du selbst eine Therapie beginnst. Einer geliebten, depressiven Person deine Unterstützung zu schenken, kann eine Herausforderung sein; daher solltest du nachsichtig mit dir selbst umgehen. Versuch geduldig zu bleiben und informiere dich über Depressionen, um nachvollziehen zu können, was dein Gegenüber gerade durchmacht – und vor allem: Bitte nimm sein:ihr Verhalten nicht persönlich. Wie gesagt: Die Depression ist ein mieser, verlogener Dieb. Sie kann und wird deiner geliebten Person zeitweise das rauben, was sie so liebenswert machte – aber sei dir sicher: Mit der richtigen Behandlung bekommt sie all das wieder zurück.
Wenn du selbst nicht mehr weiter weißt oder jemanden kennst, dem:der es schlecht geht, hol dir bitte Hilfe: Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr zu erreichen. Die kostenfreien Nummern lauten 0800/111 0111 und 0800/111 0222. Hier findest du außerdem Therapeut:innen in deiner Nähe.

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