Ich stamme aus einer Familie, in der harte Arbeit das A und O ist. Bei uns kann niemand stillsitzen. Es würde nie jemand einfach nur Däumchen drehen. Nicht mal für ein paar Minuten. Wir haben nie zusammen auf dem Sofa entspannt und stundenlang Filme geschaut. Bei uns sind immer alle in Bewegung. Ständig machen sie irgendwas, arbeiten, reparieren Dinge oder erledigen was. Ich wurde so erzogen, zu glauben, dass Bequemlichkeit das Schlimmste auf der ganzen Welt ist.
Aber nach 12 Jahren Singledasein denke ich, nichts zu machen, könnte vielleicht genau das Richtige sein.
Vor über einem Jahr habe ich all meine Dating-Apps gelöscht – nach einem Jahrzehnt der erfolglosen Nutzung. Seitdem habe ich sie nicht wieder neu installiert. Wenn Freund*innen, Leser*innen oder Follower das hören, lautet ihre erste Reaktion nie „Cool! Was machst du mit all der freien Zeit, die du jetzt hast?“. Stattdessen fragen so gut wie alle „Ähm… aber… wie machst du das denn jetzt? Wie findest du Männer? Wo lernst du sie kennen? Gehst du überhaupt noch auf Dates? Und zwar mit einem extrem besorgten Unterton. Sie machen sich Sorgen, ich würde nicht genug tun, um endlich jemanden kennenzulernen und nicht mehr allein sein zu müssen.
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Einer der Gründe, wieso ich morgens aufstehe, ist, anderen Single-Frauen klarzumachen, dass es kein Problem ist, single zu sein. Es ist nichts, wogegen wir etwas tun müssten. Nichts, das kaputt ist und das repariert werden muss. Es ist ja nicht so, als würden wir mit einer ausgekugelten Schulter und einer blutenden Nase durch die Straßen laufen.
„Sag mal willst du nicht irgendetwas dagegen unternehmen?“
Nein. Es geht mir gut. Danke. Aber das war nicht immer so.
Es gab eine Phase in meinem Single-Leben, ich nenne sie „Die Vorher-Zeit“, da war mein Liebesleben etwas, das an mir nicht stimmte. Ich war zwar nicht panisch und dachte, ich müsse um jeden Preis einen Partner finden, aber es war trotzdem immer ein Thema. Ich war single, also gab ich mir Mühe, das zu ändern. So war das eben einfach. So läuft das nun mal im Leben. Alleinstehend zu sein war falsch, also musste ich etwas dagegen tun.
Das Problem: Nachdem ich ein verdammtes Jahrzehnt aktiv versucht hatte, meinen Beziehungsstatus zu ändern, war ich immer noch single. Wenn du dich permanent bemühst, aber weder eine Belohnung bekommst, noch Fortschritte siehst, geht das irgendwann an die Substanz. Mein “irgendwann“ war etwa Mitte 2018. Sollten sich meine Bemühungen nicht irgendwann auszahlen? Sollten sie nicht irgendetwas erreichen? Aber das taten sie nicht. Ich meine stell dir mal vor, du würdest versuchen, eine neue Sprache zu lernen oder dir irgendeine andere Fertigkeit anzueignen und dann stellst du fest, dass du keine Fortschritte machst. Spätestens nach einem Jahr würdest du sicher abbrechen und dir ein neues Hobby suchen. Wenn nicht sogar schon nach einem Monat.
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Ich habe eine Möglichkeit gefunden, mein klägliches Singledasein zu beenden – und es hatte nichts damit zu tun, einen Mann zu finden.
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Also beschloss ich, meine eigene Möglichkeit zu finden, mein Problem zu lösen. Ich beschloss, dass ich gar kein Problem habe. Ich habe eine Möglichkeit gefunden, mein klägliches Singledasein zu beenden – und es hatte nichts damit zu tun, einen Mann zu finden.
Ich weiß, es ist sehr einfach, zu akzeptieren, dass alleinstehend sein etwas Schlechtes ist. Denn die Alternative zum Singledasein ist es, geliebt zu werden. Wir alle wünschen uns Liebe. Ich auch. Liebe klingt toll! Aber ihr pausenlos nachzujagen, ist anstrengend. Wir haben diese Vorstellung im Kopf: Singledasein auf der einen, Liebe auf der anderen Seite. Aber ich glaube, es gibt nicht nur schwarz und weiß.
Das Wort “Situationship” – also irgendwas zwischen einer Affäre, einer Freundschaft und einer Beziehung – sollte gar nicht erst existieren. Es sollte keine Dating-Memes geben. Wir sollten uns nicht ausgelaugt und verzweifelt fühlen und es hassen, auf Dates zu gehen. Dating sollte sich nicht wie ein beschissener Nebenjob anfühlen. Aber so sieht nun mal unsere Realität aus. Denn die meisten von uns Single-Frauen glauben immer noch, es ist besser, irgendetwas am Laufen zu haben als komplett allein zu sein. Also machen wir den Dating-Zirkus mit, denn wenn wir es nicht machen würden, würden wir ja nichts gegen unseren Single-Status tun. Und das ist ja keine Option. Denn single sein ist falsch. Richtig?
Es sind die Schuldgefühle, die dafür sorgen, dass wir die Apps nach einer kurzen Pause wieder downloaden, auch wenn sie uns beim letzten Mal nichts außer Ärger gebracht haben. Es sind die Schuldgefühle, die uns dazu bringen, jede Date-Chance wahrzunehmen – selbst, wenn unser Bauchgefühl sagt, es ist keine gute Idee. Es sind die Schuldgefühle, die dafür sorgen, dass wir stundenlang Ein-Wort-Nachrichten interpretieren oder nach einer Woche Funkstille denken, er hat sicher nur viel um die Ohren. Die Schuldgefühle, nicht genug zu tun, um etwas am eigenen Beziehungsstatus zu ändern, treiben uns dazu, selbst wirklich schlechte Dates auszuhalten, statt einfach nach Hause zu gehen.
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Nichts zu machen ist schwerer als etwas zu machen. Darüber sprechen nur wenige, aber es ist die Wahrheit. Nichts zu machen ist das Schwerste, was ich jemals gemacht habe. Und das will was heißen, denn ich stecke ständig in Hamsterrädern fest. Als Freelancerin denke ich ständig, ich würde nicht genug tun, um als Autorin Geld zu verdienen. Ich muss mich selbst immer wieder daran erinnern, durchzuatmen und zu relaxen. Nicht alles zu machen, nicht jeden Job anzunehmen, heißt nicht, dass ich gar nichts habe. Ich habe immer genug Arbeit und ich habe sogar das Gefühl, genau dann mehr als genügend Angebote zu bekommen, wenn ich aufhöre, mir Sorgen zu machen, aus meinem Hamsterrad herausklettere und einfach nur das tue, was ich liebe.
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Es ist okay, weniger zu machen. Es ist sogar okay, nichts zu machen. Wir verdienen trotzdem, alles zu haben.
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Das gilt auch fürs Dating. Wir müssen nicht alles machen. Es ist okay, weniger zu machen. Es ist sogar okay, nichts zu machen. Wir verdienen trotzdem, alles zu haben. Liebe funktioniert nicht nach dem Prinzip der Wahrscheinlichkeit. Es ist keine Wissenschaft. Es gibt kein “wenn x, dann y“. Es hängt größtenteils von Zufall, Glück und den Mysterien menschlicher Verbindungen ab. Ich weiß, dass es so ist, weil ich, nachdem ich ein Jahrzehnt wirklich alles versucht habe, immer noch genauso single bin. Und wenn Dating die eine Sache im Leben ist, bei der Anstrengung und Ergebnis nicht Hand in Hand gehen und meine Chancen genauso hoch sind, jemanden online kennenzulernen wie in einem Flugzeug, dann konzentriere ich mich doch lieber auf die Dinge, die ich liebe. Dann höre ich doch lieber damit auf, Dinge zu machen, die mir nicht guttun und vertraue darauf, dass ich es trotzdem verdiene, Liebe zu bekommen.
Ich habe beschlossen, weniger zu machen. Weniger Aufwand zu betreiben, um einen Partner zu finden. Das erste Jahr ohne Dating-Apps war ohne Frage das glücklichste meines Erwachsenenlebens. Ich habe meine Tage nicht damit verbracht, nach links oder rechts zu swipen. Ich habe sie damit verbracht, kreativ zu sein. Die Lücke, die sonst mit keinen Matches, keinen Antworten und keinen interessanten Begegnungen gefüllt wurde und die mich ständig daran erinnerte, wie oft mich Männer nicht wollen, war auf einmal voll mit Dingen, die ich liebe – statt mit der Abwesenheit der Liebe einer anderen Person. Und ich weiß, dass meine neue Strategie funktioniert und das “Nichts“ tun genau das ist, was ich jetzt tun sollte, weil mich nichts glücklicher macht, als dass du gerade jetzt meine Worte liest. Und wenn du und ich irgendwann jemanden haben, zu dem oder der wir eine tiefe Beziehung aufbauen können – und das werden wir – dann wird die Partnerschaft nicht dazu dienen, ein Problem zu beheben oder etwas zu reparieren. Denn wir hatten nie ein Problem. Wir waren nie kaputt.
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