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Warum du dich wirklich davor drückst, deinen Kontostand zu checken

Illustration: Tabban Soleimani.
Gib’s zu: Es fühlt sich nicht so toll an, dich in dein Bankkonto einzuloggen und mit den ganzen Ausgaben der letzten Wochen konfrontiert zu werden (wie die vier leckeren, aber völlig überteuerten Cocktails vom Brunch letzten Sonntag) oder festzustellen, dass du nach der Zahlung all deiner Rechnungen kaum noch was übrig hast.
Das Ganze kann sogar so unangenehm sein, dass du irgendwann vielleicht ganz damit aufhörst, dir deinen Kontostand anzuschauen. Warum auch, wenn du doch weißt, dass du dich danach bloß beschämt, gestresst, überfordert oder frustriert fühlst? Ist es da nicht viel leichter, dich komplett davor zu drücken? Yes. Und genau deswegen tun das auch 60 Prozent von uns regelmäßig.
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Wenn wir es um jeden Preis vermeiden, unsere eigenen Finanzen zu managen, weil es uns einfach zu sehr belastet, ist das tatsächlich eine money disorder, eine „Geldstörung“ – ein Muster aus selbstzerstörerischem finanziellen Verhalten. Dieses Meiden der eigenen Finanzen sorgt dafür, dass wir in einem Teufelskreis der Angst hängen bleiben und unser Geld immer weiter auf dieselbe nutzlose Art ausgeben.

Wie du den Teufelskreis der finanziellen Vermeidung erkennst

Drückst auch du dich gerne mal davor, dich mit deinen Finanzen zu konfrontieren, kennst du das vermutlich: Erstmal schämst du dich für deine finanzielle Lage. Diese Scham sorgt dafür, dass du einen Bogen um bestimmte Bereiche deiner Finanzen machst – wie um deine Rechnungen oder Kontoauszüge – und die Realität deiner Geldsituation ignorierst, weil sie beweisen würde, dass du „verantwortungslos“ oder „schwach“ bist. Um die Schuldgefühle zu bewältigen, die daraus entstehen, dass du dich vor deinem Geld drückst, versuchst du dich vielleicht mit ein wenig Online-Shopping zu trösten. Das wiederum sorgt aber für weitere Ausgaben – und löst erneute Scham aus. Und schon beginnt der Teufelskreis von vorn. 
Natürlich kann dein eigenes Vermeidungsverhalten aber auch ganz individuell aussehen. Vielleicht bist du zum Beispiel nicht ganz ehrlich, wenn du mit Partner:innen über deine Geldgewohnheiten sprichst – was dich vermutlich noch mehr stresst. Oder womöglich fällt es dir schwer, dir ein Budget festzulegen oder dein Geld zu investieren, wofür du dir dann wiederum weitere Vorwürfe machst.

Du bist nicht so schlecht im Umgang mit Geld, wie du denkst

Wir alle haben mit diversen wirtschaftlichen Herausforderungen zu kämpfen (wie zum Beispiel mit der steigenden Inflation, hohen Mieten, und so weiter). Das gilt insbesondere für Frauen, die häufig schlechter bezahlt werden als Männer und/oder ihre Karriere dem Kinderwunsch unterordnen müssen. Es ist unheimlich wichtig, diese größeren Einflüsse auch zu berücksichtigen, wenn du dir deine persönlichen Finanzen anschaust. Du kannst lediglich versuchen, das Beste aus deiner Situation zu machen, indem du strategische finanzielle Entscheidungen triffst.
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Das fängt schon damit an, dir einzugestehen, dass deine Vermeidung deiner Finanzen nicht zwangsläufig bedeutet, dass du schlecht mit Geld umgehen kannst. Tatsächlich steckt dahinter eine starke Verteidigungsstrategie deines Körpers, die versucht, dich vor einer empfundenen Gefahr zu bewahren. 
Dein Nervensystem reicht von deinem Gehirn bis in deine Zehen und kontrolliert beispielsweise deinen Puls, deine Verdauung und die Menge an Luft, die du in deine Lunge aufnimmst. (Denk nur mal daran, was mit deinem Herzschlag passiert, wenn du vor einer großen Präsentation nervös wirst! Dahinter steckt dein Nervensystem.) Gleichzeitig soll es Bedrohungen wittern – und das äußert sich in Form der Kampf-oder-Flucht-Reaktion. Die half uns schon ganz früh dabei, vor Raubtieren zu fliehen. Heute bekommst du dieses Adrenalin aber auch zum Beispiel dann zu spüren, wenn du dich in dein Bankkonto einloggst oder deinem:deiner Partner:in erzählst, wie viel Geld du beim Shoppen ausgegeben hast. Wenn das passiert, kommuniziert unser Gehirn unserem Nervensystem: „Hey, was du da gerade getan hast, ist echt stressig. Es ist sicherer, wenn wir uns davor drücken.“ Wenn wir verstehen, warum wir etwas überhaupt vermeiden – und dass es sich dabei zum Teil um eine schlichte körperliche Reaktion handelt –, ersparen wir uns damit die Scham und Verwirrung.

Wie du vermeidest, bei jeder Rechnung in Panik zu geraten

Persönliche Finanzratschläge drehen sich meistens darum, das imaginäre Pflaster abzureißen und uns Hals über Kopf in unsere Finanzen zu stürzen. Manche von uns brechen aber allein beim Gedanken daran in kalten Schweiß aus. Daher sollten wir unser Nervensystem ganz langsam, in mehreren Schritten, an unser Geld gewöhnen. Wenn wir mal berücksichtigen, dass 12 Prozent aller Leute über sich sagen würden, dass ihr finanzielles Wohlbefinden auch von psychologischen Faktoren beeinflusst wird (wie zum Beispiel davon, ob sie selbstbewusst mit Geld umgehen, impulsiv Geld ausgeben, oder was sie generell vom Sparen/Ausgeben/Leihen halten), bedeutet das, dass es sehr schwer ist, jemandem zu raten, er oder sie solle sich ein Budget erstellen oder etwas von jedem Lohn zur Seite legen – weil bei vielen von uns eine Kluft dazwischen liegt, wie wir über Geld denken und darüber, was wir mit unserem Geld tun „sollten“.
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Wo sollst du aber am besten anfangen, um dein eigenes Verhältnis zu deinen Finanzen zu verbessern? Idealerweise schreibst du dir mal auf, welche Gefühle oder Gedanken sich für dich ergeben, wenn du versuchst, dein Geld zu managen. Vielleicht empfindest du Angst davor, nie genug Geld zu verdienen, um dein Leben außerhalb von Fixkosten und Rechnungen auch mal genießen zu können – und versuchst demnach nicht mal, alles unter Kontrolle zu bringen? Oder vielleicht schämst du dich, weil du dich immer mit Freund:innen oder Verwandten vergleichst, die in Sachen Geld überhaupt keinen Stress zu haben scheinen – eine Situation, die du dir für dich selbst niemals vorstellen könntest. Also versuchst du vielleicht, „mitzuhalten“, und gibst zu viel Geld aus, um „reinzupassen“, und das wiederum verursacht deine Angst davor, dir deinen Kontostand anzuschauen.
Illustration: Tabban Soleimani.
Zweitens: Schreib dir auf, inwiefern es dir guttut, dich vor deinen Finanzen zu drücken (ja, guttut!). Zum Beispiel: Jedes Mal, wenn du deinen Kontoauszug ignorierst, ersparst du dir dadurch die Schuldgefühle für den neuesten Spontankauf. „Aus den Augen, aus dem Sinn“, sozusagen. Und dann schreibst du auf, inwiefern dich deine finanzielle Vermeidungstaktik zusätzlich stresst.
Deine Gefühle und Gedanken zu Papier zu bringen, ist eine Form des Selbstausdrucks und der Befreiung. Bei dieser Übung überrascht es dich vielleicht sogar, welche spezifischen Gedanken und Überzeugungen rund ums Geld in dir schlummern, ohne dass dir das bewusst war. Dieses Wissen kannst du nutzen, um deine Beziehung zum Geld zu verbessern.

Fang klein an – und dann probier’s mit größeren Geldgewohnheiten

Zu guter Letzt erstellst du dir eine Konfrontationspyramide: eine Liste kleiner Aktionen, die dich deinen Finanzen immer näher bringen, ohne dich dabei zu überwältigen. Diese Konfrontationstherapie kommt auch bei der Behandlung von Angst- oder posttraumatischen Belastungsstörungen zum Einsatz. Wenn du zum Beispiel Angst vor Hunden hast, verlangt die erste Stufe deiner Pyramide vielleicht von dir, dass du dir ein Foto von einem Hund ansiehst. Mit therapeutischer Hilfe arbeitest du dich dann langsam hoch, bis du einen Hund berühren kannst. Genau nach demselben Prinzip wollen wir deine Finanzen angehen.
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Vielleicht schaust du im ersten Schritt zum Beispiel, zu welchem Termin welche Rechnungen fällig werden, und schreibst dir das in den Kalender, damit du es nicht vergisst, anstatt alle Rechnungen einfach per automatischem Dauerauftrag oder Lastschriftverfahren bezahlen zu lassen. Höre dabei in dich hinein: Was empfindest du dabei? Sei dir darüber bewusst, dass deine körperliche Reaktion dazu dienen soll, dich zu schützen. Wichtig ist, jede dieser Aktivitäten auf 15 Minuten zu beschränken, damit die Konfrontation mit deinen Finanzen unter Kontrolle und für dein Nervensystem erträglich bleibt.
Im zweiten Schritt loggst du dich vielleicht jede Woche (oder nach einem Intervall, das sich für dich gut anfühlt) in dein Bankkonto, ohne deinen Kontostand zu verurteilen. Anstatt also direkt auf die Zahl zu gucken und dir selbst zu sagen: „Ich kann echt nicht gut mit Geld umgehen“, versichere dir lieber: „Die Zahl auf meinem Kontoauszug bestimmt nicht meinen Wert als Person.“ Versuche, deinen Kontostand mit positiven Worten zu beschreiben: „Ich habe 70 Euro auf meinem Konto, das ist super – darauf will ich aufbauen.“ Durch Wiederholung und begrenzte Konfrontation trainierst du dein Nervensystem darin, Geld als harmloses Thema zu empfinden. Und indem du deine Finanzen regelmäßiger überprüfst, wirst du dir deiner Ausgabegewohnheiten bewusster – und erkennst Gelegenheiten zum Sparen und Abzahlen von Schulden.
Bau dir deine Pyramiden-Liste im Laufe der Zeit immer weiter auf. Vielleicht addierst du im dritten Schritt, wie viel du im vergangenen Monat für Essenslieferungen ausgegeben hast, oder schaust mal in deinen Amazon-Bestellungen, ob sich diese Ausgaben reduzieren ließen.
Denk dran: Das Ganze ist kein Marathon und kein Sprint. Diese Änderungen erfordern Zeit und Mühe; indem du dich selbst aber immer mehr mit deinen Finanzen auseinandersetzt, steigerst du dein Selbstbewusstsein und ebnest dir den Weg zu größeren finanziellen Entscheidungen – wie einem festen Budget oder Investitionen. Das habe ich in meinem Job schon so oft beobachtet. Eine meiner Klientinnen fühlte sich zutiefst unwohl dabei, sich ihre Kreditkartenrechnungen anzuschauen, wodurch sie regelmäßig zu viel Geld ausgab.
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Nachdem wir ihr eine Konfrontationspyramide erstellt und über ihr finanzielles Trauma aus ihrer Kindheit gesprochen hatten, fanden wir zusammen heraus, wo ihr starkes Bedürfnis danach, Geld auszugeben, wirklich herkam: Während ihrer Jugend hatte sie sich nie etwas kaufen können und immer das Gefühl gehabt, etwas zu verpassen. Als sie dann als Erwachsene ein sechsstelliges Jahresgehalt bekam, wollte sie sich selbst hingegen nie etwas verwehren. Heute kauft sie aber nichts mehr aus einem Impuls heraus, zahlt ihre Schulden ab und schämt sich auch nicht mehr für ihren Kontostand (der immer weiter wächst!). Dasselbe kannst du auch schaffen. Aber denk dran: Diese Veränderung braucht ihre Zeit – und das ist völlig okay.
Parween Mander ist Finanzberaterin, spezialisiert auf finanzielle Traumata und Gründerin von The Wealthy Wolfe, einer digitalen Finanz-Coaching-Plattform für Frauen of color mit migrantischem Hintergrund.
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