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Diese Fotoserie zeigt die Realität von Mädchen im ländlichen Indien

Foto: Deepti Asthana.
„In dem Moment, in dem mir die ersten Bluttropfen zwischen den Beinen hinabliefen, veränderte sich meine Welt“, erzählt die indische Fotografin Deepti Asthana, während sie sich an ihre erste Periode erinnert. Dieses natürliche Anzeichen des „Frauwerdens“ ist in ihrer Heimat immer noch stark mit Scham belastet – und genau deswegen sind es diese Worte, mit denen sie ihr neuestes Fotoprojekt, A Tale of Two Girls (z. Dt.: „Eine Geschichte zweier Mädchen“), einleitet.
A Tale of Two Girlsdokumentiert die miteinander verflochtenen Leben von Manisha und Babita. Die beiden jungen Freundinnen wachsen gemeinsam in einem kleinen Dorf in Uttarakhand auf – inmitten der Wildnis des Himalaya. Asthana lernte die Mädchen 2016 kennen, als sie die Gegend in der Nähe ihrer Häuser erkundete. Sie war sofort von ihren Leben fasziniert. Asthana selbst war in Bareilly in Uttar Pradesh aufgewachsen (einer kleinen, aber bevölkerungsreichen Stadt in Nordindien –, in einem umkämpften Betonhaus, ohne direkten Zugang zur Natur. Die ländliche Kindheit von Manisha und Babita war demnach Welten von ihrer eigenen Erfahrung entfernt. „Ein völlig anderes Indien, das ich verstehen wollte“, sagt sie.
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Foto: Deepti Asthana.
Asthana blieb den ganzen Sommer in Uttarakhand und besuchte die Mädchen jeden Morgen und Abend. Sie fing an, Fotos zu machen, wann immer es sich richtig anfühlte – wenn sie mit ihnen den Wald durchstreifte, wenn die beiden beim Blumenpflücken oder Spielen kicherten, wenn Manisha und Babita im Haushalt mithalfen, ohne sich zu beklagen, und beispielsweise die Wäsche wuschen, bevor sie sie zum Trocknen in den Bäumen aufhängten.
Foto: Deepti Asthana.
Foto: Deepti Asthana.
Vieles kam ihr aus ihrer eigenen Jugend bekannt vor; vieles wiederum gar nicht. Aus gesellschaftlicher Sicht war Asthana in einem sehr patriarchalischen Staat aufgewachsen. Als sie 16 war, heirateten einige ihrer Mitschülerinnen, während sie noch zur Schule gingen. Das machte ihr Angst. Sie war recht burschikos und liebte Kunst; die wurde aber nicht als realistische Karrierewahl betrachtet. „Wenn du gut in der Schule bist, entscheidest du dich für was Wissenschaftliches“, erklärt sie. Also zog sie den Kopf ein, gab sich viel Mühe und wurde Ingenieurin. Für sie war dieser Weg aber nur ein Mittel zum Zweck – „eine Möglichkeit, [aus der Stadt] rauszukommen und etwas aus meinem Leben zu machen“, gibt sie zu. Als sie älter, unabhängiger und mutiger wurde, entschied sie sich allerdings für die Fotografie. 
In Communitys wie der von Manisha und Babita werden Mädchen ebenfalls früh verheiratet und müssen arbeiten, sobald sie laufen können. Wohingegen einige Städte in Indien allmählich moderner geworden sind, überwiegt in den Dörfern bis heute das Traditionelle, erzählt Asthana. Während sie Zeit mit den Mädchen verbrachte, fiel ihr auf, dass ihre Leben sogar strenger geregelt waren, als sie es aus ihrer eigenen Jugend kannte, und dass die beiden erstaunlich viel Verantwortung übernahmen – vom Kochen und Feuerholzsuchen bis hin zum Füttern der Tiere und der Versorgung ihrer Geschwister. Aus wirtschaftlicher Sicht hatten ihre Familien etwas weniger Geld als Asthanas eigene Familie – die beiden Familien hatten jeweils nur ein Zimmer –, in Sachen Bildung waren sie aber etwa gleichauf. Wie auch Asthana früher besuchen Manisha und Babita eine staatliche Schule, während ihre Brüder an eine Privatschule gehen. Die Bildung von Mädchen wird bis heute als weniger wichtig erachtet als die der Jungen, erinnert uns Asthana.
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Foto: Deepti Asthana.
Foto: Deepti Asthana.
Nach außen hin, erzählt sie, fürchten sich Manisha und Babita nicht davor, zu Frauen zu werden, weil sie schon als solche behandelt werden. Insgeheim konnte sie aber spüren, dass die beiden stille Sorgen in sich herumtragen, die an ihrer Kindheit nagen. Besonders Babita hat einige Zukunftsängste. „Ihre Schwester wurde mit 17 verheiratet, und sie glaubt, dass das auch von ihr bald erwartet wird. Sie denkt auch nicht, dass sie an die Uni wird gehen dürfen, obwohl sie sich viel Mühe in der Schule gibt. Die beiden Mädchen habe Angst davor, was sie erwartet.“
Asthana erhoffte sich von diesem Fotoprojekt eine emotionale, bittersüße Darstellung der letzten, kostbaren Jahre des Mädchendaseins, bevor die Pflicht einsetzt. Mit den Bildern, die sie während dieses Sommers und in den darauffolgenden Jahren machte, gewährt sie einen Einblick in sowohl die schwierigeren Seiten dieser Leben als auch in die sanfteren Momente. „Ich wollte das große Ganze festhalten, ohne mich dabei zu sehr auf die Schwierigkeiten zu konzentrieren – es wäre zu leicht gewesen, einfach nur zu zeigen, wie schwer der Alltag [dieser Mädchen] ist“, sagt sie. Stattdessen wollte sie die gestohlenen, wunderschönen Stunden porträtieren, die die beiden im Wald verbrachten. „Mir wurde klar, dass das die einzigen Momente waren, in denen sie völlig allein und sorgenfrei sein konnten.“ Hauptsächlich hofft sie, dass diese Bilder anderen dabei helfen, das Gesamtbild des ländlichen Lebens in Indien besser zu verstehen – auch den Bewohner:innen indischer Städte. „Es gibt viele Vorurteile zu den Menschen, die hier in Dörfern wohnen. Wir Stadtbewohner:innen glauben oft, das Dorfleben in der Natur müsse völlig sorgenfrei sein – dabei entspricht das überhaupt nicht der Realität.“ Diese Fotos waren Asthanas Versuch, voneinander unabhängige Geschichten zu sammeln, um sie mit anderen teilen zu können.
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Foto: Deepti Asthana.
Asthanas Lieblingsbild aus ihrer Serie zeigt Babita mit gesenktem Kopf und einer Handvoll Rhododendron hinter dem Rücken. „Sie sieht aus wie ein kopfloses Mädchen“, sagt Asthana lächelnd, und es stimmt – es sieht aus, als würde Babita ihr eigenes Gewicht sowie die Last ihrer Zukunft in den Händen tragen. Diese Blumen stehen symbolisch für die Weiblichkeit, erklärt Asthana; sie werden jedes Jahr beim Erntedankfest den Göttinnen dargeboten. Die Farbe Rot ist nicht aus Zufall ein wiederkehrendes Motiv auf den Bildern, vielleicht als Symbol für die Menstruation und das damit einhergehende drohende Erwachsenendasein.
Foto: Deepti Asthana.
In Indien, sagt Asthana, darfst du nie vergessen, was es bedeutet, ein Mädchen zu sein. Die damit verbundenen Erwartungen unterscheiden sich von denen an einen Jungen. „Auch deine Ziele sind völlig andere, und das schränkt viele Mädchen stark ein. Es gibt so viele talentierte Mädchen, aber nur wenige von ihnen bekommen die Chance, wirklich etwas aus ihrem Leben zu machen“, meint sie. „Ich will damit nicht sagen, dass eine Karriere der einzige erstrebenswerte Lebensweg ist. Es gibt natürlich jede Menge Möglichkeiten, glücklich zu sein. [Mädchen] haben jedoch nur sehr, sehr wenige Optionen. Es macht mich traurig, dass es immer noch so viele gibt, die keine eigene Entscheidung treffen dürfen.“ Asthanas Familie hingegen lebt nicht mehr an ihrem Heimatort. Ihr Vater starb, als sie noch jung war, und ihre Mutter wurde zur Alleinversorgerin. Inzwischen wohnt sie in einem anderen Teil des Staates, und Asthanas Brüder sind in andere Städte gezogen. Auf ihre eigene Art haben sie alle eigene Wege eingeschlagen. Sie weiß aber, wenn sie heute in ihre alte Nachbarschaft zurückkehren würde, würde sie dort noch immer Mädchen antreffen, die dasselbe Leben führen wie sie damals.
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Foto: Deepti Asthana.
Asthana entwickelte A Tale of Two Girls ursprünglich als Rechtfertigung für weitere Reisen. Sie mochte das damit verbundene Gefühl der Freiheit und wollte nicht in ein behütetes Leben zurückkehren. Im Laufe der Zeit entstand daraus aber eine Freundschaft zwischen ihr und den Mädchen, basierend auf ihren geteilten Erfahrungen. Seit Corona lebt die Fotografin in der Natur des nordöstlichen indischen Staates Meghalaya und macht tägliche Spaziergänge in den Wäldern der Gegend; sie schmiedet aber bereits Pläne, so bald wie möglich zu den Mädchen zurückzukehren – die ihrer eigenen Zukunft gespannt entgegenblicken.
Foto: Deepti Asthana.
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