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Online-Dating auf der ganzen Welt: Wie wird in der Türkei oder Indien getindert?

What is love? Diese faszinierende Frage treibt die Menschheit über alle kulturellen Unterschiede hinweg um, seitdem sie denken kann. Die einee richtige Antwort darauf scheint bis heute dennoch nicht gefunden. Zu vielschichtig und nur äußerst schwer greifbar sind die unterschiedlichen Gefühle, die individuell und kulturell definierten Vorstellungen davon, was Liebe bedeutet und beinhaltet. Trotzdem – seit Jahrhunderten werden wir nicht müde immerzu nach unserem persönlichen Glück zu streben. Und meist ist diese Suche offenbar mit dem Ziel verknüpft, Erfüllung in der Liebe zu finden. Daran hat sich bis heute nur wenig verändert.
Mit der voranschreitenden Digitalisierung kulminiert die Suche nach Liebe und allem, was damit verbunden sein kann, heute in dem viel diskutierten globalen Phänomen des Online-Datings, oder vereinfacht gesagt: der Partner*innensuche im Netz. Oder noch einfacher gesagt: bei Tinder. Obwohl die Zahl der Alleinstehenden seit Jahrzehnten ansteigt, ist eine funktionierende Partnerschaft – in welcher Form auch immer – für viele von uns aber noch immer Voraussetzung, um das persönliche Glück zu finden.
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Die Ausstellung What is love? Von Amor bis Tinder in der Kunsthalle Bremen beschäftigt sich aktuell mit über 35 Werken aus der internationalen Kunstgeschichte, die der Bedeutung von Liebe auf die Spur kommen wollen und untersucht in diesem Rahmen erstmals auch das Phänomen Online-Dating im musealen Kontext. Dafür wurden unter anderem fünf Künstler*innen eingeladen, die in ihren Werken einen eindeutigen Bezug zum Thema Online-Dating hergestellt haben.

Schönheit liegt im Auge des Betrachters

Eine von ihnen ist die in Istanbul geborene Fotografin Eylül Aslan. Für ihr jetzt in Bremen ausgestelltes Projekt Trompe L’oeil (dt.: Die Täuschung des Auges) hat sie sich intensiv auf der Dating-App Tinder umgeschaut, um zu hinterfragen, wie Menschen sich dort präsentieren und inszenieren, um potentiellen Partner*innen zu gefallen. Liebe und Schönheit, daran besteht kaum Zweifel, gehörten schon immer zusammen, aber Schönheit, die liege eben im Auge Betrachters, so Aslans These. Also kam ihr die Idee, 25 Männer, die sie auf Tinder gematcht hat, zu befragen, was sie an ihrem eigenen Körper besonders mögen und was eher nicht. Danach hat sie die Männer wiederum gebeten ihr zu erzählen, was sie an ihrem weiblichen Körper schön finden. „Ich glaube, dass eine große Mehrheit leider noch immer denkt, dass Männer nur Brüste und Hintern sehen wollen. Aber das stimmt meiner Erfahrung nach gar nicht. Frauen geben diese Körperteile häufig selbst preis, was im Grunde genommen sinnlos ist, da einige Männer die Hände oder die Haare einer Frau viel interessanter finden als ihre Brüste.“

Trompe L'oeil – oder: sich selbst ins beste Licht rücken

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Die teils überraschenden Ergebnisse ihrer „Feldstudie“ hat sie anschließend fotografisch festgehalten und gegenübergestellt. Auf die Frage, ob sie bei der Partnersuche wiederkehrende Muster in der Inszenierungsweise entdeckt habe, antwortet Aslan: „Wenn eine Person einen bestimmten Körperteil von sich mag, dann konzentriert sie sich auch voll darauf, diesen in fast allen Fotos möglichst vorteilhaft zu präsentieren“. Und weiter: „Es war schon irgendwie weird, dass ich beim Durchscrollen der Profile häufig Männer mit nacktem Oberkörper gesehen habe, nackte Frauen hingegen nie. Frauenkörper werden sofort sexualisiert oder in einen pornografischen Zusammenhang gebracht. Das ist leider ein typisches Zeichen für die immer noch anwesenden patriarchalischen Strukturen in unserer Gesellschaft.“
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Eyluu0308l Aslan Nostrils | Shadowhand aus dem Buch Trompe Lu2019u0152il, 2016 Fotografien

Kein Sex vor der Ehe, kein Tinder-Profil

Eylül Aslan hat in Istanbul studiert. Ihr großes Interesse für Kunst und Fotografie, so sagt sie, habe sie aber ihrer Mutter, einer liberalen Feministin und Frauenrechtlerin, zu verdanken. Ihr Vater hingegen stammt aus dem konservativeren Norden der Türkei. Er weiß nicht einmal davon, dass seine Tochter sich selbst öffentlich in ihren Fotos präsentiert. „Ehrlich gesagt hat mein Vater keine Ahnung von meiner Arbeit. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass er sehr verärgert wäre, wenn er herausfinden würde, was ich mache. Sein Lebensstil ist komplett anders als meiner. Er würde es nicht mögen, dass ich mich selbst als Model in meinem Buch zeige. Meine Mutter ist offener eingestellt, zieht es aber ebenso vor, wenn ich andere Models nutze.“ Die Elterngeneration kann häufig nichts mit Online-Dating und Apps, auf denen man sich manchmal eben auch nur zum Sex verabredet, anfangen. „In der Türkei wird Tinder, wie in anderen Kulturen auch, oft genutzt, um unverfänglichen und zwanglosen Sex zu haben. Leider herrscht in der türkischen Gesellschaft aber noch immer das weit verbreitete Verständnis vor, dass Frauen, die so etwas tun, leicht zu haben sind. Die meisten Familien wollen deshalb nicht, dass ihre jungfräulichen Töchter ein Profil bei Tinder haben“, erklärt Aslan.
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Indu Harikumar Instant Connection aus der Serie 100 Indian Tinder Tales, 2016 Zeichnung 18,5 x 19 cm
Indu Harikumar ist Illustratorin und stammt aus Mumbai. Auch ihre Arbeit #100IndianTinderTales ist Teil der Ausstellung in Bremen. Für ihr 100-Tage-Projekt hat sie verschiedene Protagonist*innen aus Indien interviewt, die sich über Tinder kennengelernt haben. Jede einzelne Geschichte, ob es nun Liebe auf den ersten Blick war, eine peinliche Situation oder ein unangenehmes Missverständnis, hat sie anschließend illustriert – ein Versuch das facettenreiche Liebesleben der in Indien lebenden Menschen zu porträtieren. Ihre Arbeiten, die vom Stil Edvard Munchs oder Gustav Klimts inspiriert scheinen, sind dabei immer nur eine Bestandsaufnahme und sollen keine Wertung sein. Selbstverständlich hat sie auch ihre eigenen Erfahrungen mit der Dating-App, die sie übrigens sowohl in Europa als auch in Indien ausprobiert hat, verarbeitet und gezeichnet.

Der Swipe nach Links verleiht Inderinnen mehr Selbstbewusstsein

Grundsätzlich, so Harikumar, gebe es keine großen Unterschiede zwischen dem Verhalten von Tinder-Nutzer*innen in Indien und anderen Ländern. „Wir Menschen sind doch alle auf der Suche nach Verbindungen. Inder*innen sind da nicht anders. Einige wollen die Beziehung offline nicht weiterführen, manche wollen längerfristige, andere wiederum nur kurze Verbindungen eingehen. Es gibt so viele Permutationen und Kombinationen.“ Wenn man Harikumar so zuhört, lässt sich zunächst wirklich kein Unterschied zur westlichen Dating-Kultur feststellen. Doch das Bild der indischen Gesellschaft hierzulande ist doch ein anderes. Immer wieder liest man von arrangierten Ehen, sexueller Enthaltsamkeit vor der Ehe und der Unterdrückung der Frau. Da ist es manchmal nur schwer vorstellbar, dass eine Frau etwa beim ersten Date einfach so aus Spaß an der Freude Sex haben kann. „Aber natürlich hatte ich schon Sex beim ersten Treffen, wenn ich mein Date anziehend fand. Auch wenn ich Inderin bin, kann ich natürlich nur für eine kleine Gruppe von Menschen sprechen.“
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Erfahrungen in der Liebe werden geschätzt

Harikumar regt zum Nachdenken an. Darüber, dass wir als Gesellschaft immer noch zu häufig in Schubladen denken. Indien ist ein riesiges Land, in einigen Regionen geht es noch sehr konservativ zu, in anderen aber weniger. Eigentlich ähnlich wie überall sonst auf der Welt auch. „Viele Frauen aus Indien (und Europa) haben mir erzählt, dass es ihnen ein Gefühl von Stärke gibt, dass sie bei Apps wie Tinder nun auch mal nach links swipen können. Denn oftmals hatten vorher nur Männer die Option, eine Frau aufgrund ihres Aussehens oder anderer Dinge abzuweisen. Frauen mögen diese neue Form der Macht, die ihnen auf Dating-Apps wie Tinder zugestanden wird.“
Modernes Online-Dating eröffnet Menschen, und vielerorts vor allem auch jungen Frauen, demnach ganz neue Optionen. Während Jungfräulichkeit vor der Ehe und Zurückhaltung lange Zeit als Statussymbole und Voraussetzung für Partnerschaft galten, scheinen Erfahrungen in der Liebe langsam, aber sicher nicht nur attraktiver, sondern vielleicht sogar ein bisschen erstrebenswerter zu werden. Was früher noch die Pfeile von Amor erledigten, übernimmt im Zeitalter des Internets nun eben der eigene Finger.
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