„Kannst du bitte damit aufhören, deinen Vibrator als Untersetzer zu benutzen?“, fragte mich meine beste Freundin. Damit du dir das besser vorstellen kannst: Wir sprechen hier von einem schicken Vibrator, der in einer Box untergebracht ist – und daher als Unterlage für Tassen benutzt werden kann. Ich machte aber keine Anstalten, ihn zu bewegen. Ich wollte ihn stolz präsentieren, um seine Magie hoffentlich mit jeder Frau teilen zu können, die mich von ihm schwärmen ließ.
Um das klarzustellen: Ich bin keine Verkäuferin von Sextoys, und auch keine Sex-Expertin. Tatsächlich habe ich sogar nur sehr wenig Ahnung von Selbstbefriedigung. Ich habe nämlich gerade erst zum ersten Mal masturbiert – und das mit 24 Jahren.
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Das hört sich jetzt vielleicht ein bisschen schockierend an, fast schon wie Clickbait. Ist es aber nicht, versprochen. Ich bin eine ganz normale Frau, die sich heute fragt: Wieso zur Hölle habe ich mir die Masturbation nicht schon vorher in mein Leben geholt?!
Warum hatten meine Freund:innen, meine Mutter oder meine Sexualkunde-Lehrer:innen sie nie erwähnt? Wieso hatte es sich immer so falsch oder „schmutzig“ angefühlt, auch nur daran zu denken? Wieso ist männliche Masturbation so gesellschaftlich akzeptiert, weibliche Masturbation aber immer noch etwas Mysteriöses, Geheimnisvolles? Und warum haben 35 Prozent aller Frauen laut einer Studie von Womanizer von 2020 mit 6.000 Teilnehmer:innen aus 12 Ländern nie Solo-Sex?
Wie mir die Sex-, Familien- und Ehetherapeutin Shadeen Francis erklärt, stand Masturbation „einfach nie im Newsletter“. „Wir haben wortwörtlich zuerst die Technologie entwickelt, um zum Mond zu fliegen, bevor wir die Klitoris begriffen hatten“, erzählt sie. „In unserer Kultur haben wir nie viel Wert auf die weibliche Lust gelegt. Demnach ist es gar nicht so erstaunlich, dass du deinen Körper nie erforscht hast. Dass du nie wusstest, wo genau du die richtigen Informationen dazu finden könntest. Dass du immer das Gefühl hattest, Wissen über die weibliche Masturbation würde nur à la ‚Stille Post‘ weitergereicht.“
Obwohl du vielleicht während deiner Jugend unrealistische Pornos geschaut hast oder in der Videothek mit Freund:innen kichernd durch die Erwachsenenabteilung geschlichen bist: Junge Frauen bekommen nur selten einen authentischen Einblick in die Welt der weiblichen Lust, ob nun mit oder ohne Sexspielzeuge.
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Angela, eine 24-jährige Finanzangestellte, erzählt uns: „In der Schule sprachen die Jungs andauernd übers Wichsen, also wusste ich schon, dass die Leute das machten. Als Mädchen redete man da aber nicht drüber.“ Diese Grenze zwischen den Geschlechtern erlebte auch Amber, eine 19 Jahre alte Studentin, die erst vor Kurzem mit ihrer jüngeren Cousine über die Masturbation reden wollte. „Ihr Gesicht, als ich das Thema ansprach, schrie quasi: ‚OMG, nein! Wieso sagst du sowas?’ Sie sah aus, als wollte sie am liebsten im Boden versinken. Als wir dann aber darüber redeten, dass die Jungs es ja auch machen, meinte sie: ‚Oh ja, naja, das ist ja normal.‘“
Dieser Unterschied zwischen Mädchen und Jungs, Frauen und Männern hat einen Namen: „masturbation gap“ – also „Masturbationslücke“. Und wie auch beim gender pay gap sahnen die Männer hier prinzipiell mehr ab. Dieselbe Womanizer-Studie ergab, dass Männer durchschnittlich pro Jahr 154-mal masturbieren – verglichen mit 49-mal bei den Frauen. Wohingegen rund 8 Prozent der Männer noch nie masturbiert hatten, waren es bei den Frauen mehr als doppelt so viele.
„Wir erlauben es Männern, sexuelle Wesen zu sein. Tatsächlich behaupten wir, das sei eben biologisch so gewollt, obwohl es dafür gar keine Indizien gibt“, erklärt Shadeen. „Das ist alles eine Frage der Sozialisierung. Frauen hingegen wird beigebracht, sich nicht als vollständige sexuelle Wesen zu fühlen.“
Angela, Amber und ich sind allesamt Teil der Generation Z, die dafür bekannt ist, sich für das einzusetzen, woran wir glauben – und in jeder Hinsicht für Gleichberechtigung zu kämpfen. Gleichzeitig stecken wir angeblich in einer „Sex-Rezession“, meint der britische Guardian. Mögliche Gründe dafür seien unter anderem stärkere Angstzustände, ein schwächeres Bedürfnis nach Sex mit Partner:innen und ein stärkeres Bewusstsein für unsere eigenen Werte, weswegen wir bei der Partner:innenwahl angeblich pingeliger vorgehen.
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Von BBC bis hin zu BuzzFeed: Alle scheinen sich darin einig zu sein, dass wir generell weniger Bock auf Sex haben. Da ergäbe es wohl Sinn, wenn wir mehr masturbieren würden. Trotzdem scheint die Selbstbefriedigung sogar für uns dank gesellschaftlicher Normen und Gender-Rollen weiterhin ein Tabu zu sein. Das findet auch Amber: „Ich hatte zwar keine Angst davor, aber weil es kaum öffentlich diskutiert wird, schämte ich mich doch dafür.“ Angela, die die Masturbation zufällig schon relativ jung für sich entdeckte (wie viele andere auch), kennt dieses Schamgefühl – und erkundete ihren Körper deswegen auch jahrelang nicht weiter. Mir persönlich war überhaupt nicht klar, dass so viele Leute heimlich masturbierten, immer mit dem Gefühl, es nicht zu „dürfen“. Dann wurde ich jedoch darum gebeten, ein Sextoy auszuprobieren – und warf meine Bedenken über Bord. Diese spontane Entscheidung hat mein Leben verändert.
Das Gefühl der Scham setzt bei vielen von uns schon sehr früh ein, erzählt mir Shadeen. Aus verschiedenen Gründen interessiert sich nicht jede:r für Masturbation – da können zum Beispiel die eigene Religion oder Sexualität eine Rolle spielen –, doch wird vielen Leuten schon früh eingetrichtert, das Erkunden des eigenen Körpers sei unanständig, zumindest bei Frauen. Während bei Jungs generell ein „Auge zugedrückt“ wird, wird jungen Frauen vermittelt, „gute Mädchen tun sowas nicht“.
Trotz alldem sind wir inzwischen in Sachen weiblicher Lust weiter gekommen denn je. Zwar ist sie im Sexualkundeunterricht weiterhin nur selten ein Thema, doch finden sich beispielsweise online immer mehr Ressourcen dazu. Sextoys bekommst du mittlerweile problemlos online (und sogar am selben Tag geliefert!). Die öffentliche Debatte wird immer lauter – und mit ihr wächst die gesellschaftliche Akzeptanz. Wie Lucy Litwack, CEO von Coco de Mer, die für meinen grandiosen Vibrator-Untersetzer verantwortlich sind, dazu sagt: „Masturbation ist ein grundlegendes menschliches Recht. Wir alle sollten wissen, wie es geht, und uns an unseren eigenen Körpern erfreuen. Weibliche Lust ist kein Luxus, sondern für viele ein Grundbedürfnis.“
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Masturbation stärkt dein Körpergefühl und dein Selbstbewusstsein, entspannt deinen Geist und deinen Körper, hilft dir dabei, deine sexuellen Vorlieben herauszufinden, bevor du das von einem:einer Partner:in erwartest – und vor allem fühlt sie sich einfach gut an. Und geht es meiner Generation nicht genau darum?
„Wir werden uns niemals dafür entschuldigen, uns für weibliches Empowerment und komplette Gender-Gleichberechtigung einzusetzen“, meint Lucy. Masturbation ist ein fester Bestandteil davon. Ob du nun also Masturbations-Meister:in bist oder gerade erst damit anfängst – lass dir von Shadeen sagen: „Das ist dein Körper. Du entscheidest, was du damit tust – oder nicht. Und wenn du dich dazu noch nicht bereit fühlst, musst du dir keinen Druck machen. Dein Körper ist immer noch da, wenn du irgendwann bereit bist! Wann immer du dich also neugierig, sicher und bereit fühlst, wünsche ich dir ganz viel Spaß dabei.“ Und den habe ich definitiv jetzt schon.
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