Methylparaben, Methylisothiazolinon… Bei solchen Begriffen ist es kaum verwunderlich, dass die Weisheit „Wenn du es nicht aussprechen kannst, benutz es nicht“ schon seit einiger Zeit durch die Beauty-Branche geistert. Immer mehr Menschen stehen den synthetischen Chemikalien und Wirkstoffen in unseren Skincare-Produkten zunehmend skeptisch gegenüber – und das vor allem in Hinblick auf deren eventuelle Langzeitwirkungen auf unsere Körper.
Genau deswegen boomt die „natural“- beziehungsweise „clean beauty“-Bewegung aktuell, obwohl Dermatolog:innen sie teils kritisch sehen. Viele Konsument:innen sind davon überzeugt, diese Produkte seien langfristig die bessere Wahl für ihre Gesundheit. Aber gibt es denn wirklich konkrete Gründe dafür, uns über synthetische Chemikalien in Skincare den Kopf zu zerbrechen? Können die wirklich unserer Gesundheit schaden? Wir haben bei Expert:innen nachgefragt.
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Sind Chemikalien in Hautpflegeprodukten schädlich?
Hunderte Chemikalien in Skincare-Produkten haben inzwischen einen schlechten Ruf. Die bekanntesten davon sind aber wohl Parabene (Konservierungsmittel, die die Haltbarkeit der Produkte verlängern) und Sulfate (die dafür sorgen, dass Produkte aufschäumen). Es gibt sogar zahlreiche Studien und Artikel darüber, dass die angeblich unserer Haut und unseren Körpern schaden sollen. Aber wie viel davon stimmt?
„Wir leben in einer Welt der ‚Chemophobie‘, und ich glaube, ein Teil des Problems kommt daher, dass wir uns von Natur aus vor allem fürchten, was wir nicht kennen. Die langen Namen der Chemikalien auf den Verpackungen können außerdem verwirrend sein“, meint die Dermatologin Dr. Anjali Mahto auf Instagram. „Dabei ist ja eigentlich alles grundlegend erstmal eine Chemikalie – auch Wasser. Wir alle sind laufende, sprechende Chemikalienhaufen.“
Und obwohl da draußen sicher auch viel Panikmache kursiert, bestätigt die Ästhetikerin und Allgemeinmedizinerin Dr. Ifeoma Ejikeme, dass manche Chemikalien und Wirkstoffe tatsächlich die Haut beeinflussen können. Nehmen wir mal Methylisothiazolinon: Dieses Konservierungsmittel kann nachweislich für Hautreaktionen sorgen, wenn die jeweilige Haut von Natur aus empfindlich ist. Aus diesem Grund wird der Stoff nicht mehr in Leave-on-Produkten verwendet (die nicht abgewaschen werden), ist aber durchaus noch in abwaschbaren Produkten (wie Cleansern) anzutreffen.
„Die Haut wird dann gereizt, wenn wir Stoffe auftragen, die sich nicht für sie eignen“, erklärt Dr. Ejikeme. „Wenn du beispielsweise Akne hast und zu viel von bestimmten Wirkstoffen aufträgst, kann deine Haut gereizt reagieren. Die meisten von uns haben aber eine gesunde Beziehung zu Chemikalien. Sprich: Wir merken ganz gut, wenn sie funktionieren, und auch, wenn wir lieber wieder darauf verzichten sollten.“ In anderen Worten: Du solltest deine Skincare-Routine gegebenenfalls überdenken, wenn manche Wirkstoffe eindeutig für allergische oder anderweitige Hautreaktionen sorgen.
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In Sachen Hautpflege gibt es in der EU strikte Regeln dazu, welche Wirkstoffe und Chemikalien in unseren Produkten verwendet werden dürfen. Dabei spielt auch die Konzentration mancher Wirkstoffe eine Rolle, erklärt Dr. Mahto: „Bei Chemikalien macht generell die Dosis das Gift. Viele Dinge sind in geringen Dosen völlig harmlos, können aber in höheren Dosen gefährlich sein. Formaldehyd zum Beispiel findet sich in geringer Konzentration in Äpfeln, wirkt sich aber nicht negativ auf unsere Gesundheit aus.“
Dr. Ejikeme ergänzt: „Ich habe überhaupt keine Probleme mit Chemikalien, vor allem dann, wenn sie gegen eine Hauterkrankung oder ein -problem helfen. Trotzdem solltest du vorsichtig sein, zu viel von einem Wirkstoff aufzutragen, ohne alles gründlich auszugleichen – vor allem bei sehr junger oder geschädigter Haut. So weit, so gut: Wenn du prinzipiell gesunde Haut hast, einer gesunden Beauty-Routine folgst und feststellst, dass ein Element in deinem Shampoo oder in deiner Creme (zum Beispiel Sulfate oder Duftstoffe) keine negative Reaktion auslöst, sehe ich keinen Grund dafür, den Wirkstoff komplett zu streichen.“
Können Chemikalien über die Haut in den Körper gelangen?
In letzter Zeit befeuern immer mehr Brands, Blogger:innen und Expert:innen für „natürliche Hautpflege“ den Mythos, dass bis zu 60 Prozent der Chemikalien und Wirkstoffe in unseren Skincare-Produkten (wie Parabene) von unseren Körpern absorbiert würden und dann in den Blutkreislauf gelangen können, wodurch unsere Gesundheit und unser Hormonhaushalt „gestört“ würden. Laut Dr. Mahto ist das aber ein schwaches Argument.
„Die Haut absorbiert nicht 60 Prozent von allem, was du auf sie aufträgst“, erklärt sie. „Das würde ja zum Beispiel heißen, dass wir kein Bad nehmen oder schwimmen gehen könnten, ohne dabei wie ein Schwamm aufzuquellen. Dieser Mythos wird oft von Wellness-Blogger:innen getragen, die es gut meinen – andererseits aber auch von Menschen, die absichtlich deine Panik schüren wollen, um dir ‚natürliche‘ Beauty-Produkte zu verkaufen.“
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Diese Panikmache kommt aber nicht nur von Liebhaber:innen von „natural beauty“. Eine Studie im medizinischen Magazin JAMA ergab, dass manche Chemikalien, die in Sonnenschutzprodukten verwendet werden, durchaus in den Blutkreislauf gelangen können. Die Angst vor Chemikalien wurde von dieser Studie weiter geschürt, weswegen die British Association of Dermatologists auf ihrer offiziellen Website direkt dagegen vorging, um eventuelle Verwirrung aufzuklären – denn auch hier geht es um die richtige Dosis.
„Die Menge an Sonnenschutz, die in dieser Studie verwendet wurde, ist deutlich höher, als die durchschnittliche Person unter normalen Bedingungen auftragen würde“, erklärt der Dermatologe und Hautkrebschirurg Dr. Andrew Birnie. „Sonnenschutz wird schon seit Jahrzehnten von einem Großteil der Bevölkerung verwendet, und es gibt keine epidemiologischen Daten, die vermuten ließen, dass uns das schaden würde. Niemand sollte jetzt spontan darauf verzichten, sich mit Sonnencreme zu schützen.“
Tatsächlich ist unsere Haut ziemlich begabt darin, Fremdstoffe fernzuhalten; schließlich ist sie eine Barriere. Wenn Skincare-Brands davon reden, dass unsere Produkte die Haut penetrieren, kommt es daher natürlich zu Verwirrung. Laut der Expert:innen muss hier aber ein Unterschied zwischen „Eindringen“ und „Absorbieren“ gemacht werden. „Das Eindringen bezieht sich darauf, ob eine Chemikalie die Hautbarriere penetriert, sprich: wie viel davon jeweils auf der oberen und der unteren Hautschicht ankommt“, erklärt Dr. Mahto. „Absorption hingegen bedeutet, dass ein Wirkstoff die Hautbarriere passiert hat und im Blutkreislauf angekommen ist, von wo aus er in andere Körperbereiche reisen kann. Sollte so etwas passieren, hat der Körper für gewöhnlich eigene Mechanismen, die das ausscheiden, was wir nicht brauchen. Wenn es möglich wäre, Fremdstoffe einfach so über die Haut zu absorbieren, bräuchten wir keine Spritzen oder Tabletten mehr.“
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Können Chemikalien in Kosmetika den Hormonhaushalt durcheinanderbringen?
Aktuellen Studien zufolge sind Parabene in Skincare-Produkten absolut sicher. Trotzdem ist die Behauptung, sie könnten Östrogen „nachahmen“ und unsere Hormone aus der Bahn werfen, immer noch sehr verbreitet (vielleicht hast du zum Beispiel schon mal gehört, Parabene seien „endokrine Disruptoren“). Laut Dermatolog:innen ist das aber einfach nur Effekthascherei.
„Viele synthetische und sogar natürliche Chemikalien sind endokrin, also hormonaktiv. Es gibt aber bisher keine überzeugenden Hinweise darauf, dass die Wirkstoffe in unseren kosmetischen Produkten dazu fähig wären, unseren Hormonhaushalt zu stören oder unserer Gesundheit zu schaden“, betont auch Dr. Mahto. Und auch hier ist die Konzentration wichtig: „Viele Substanzen in unseren Kosmetika, die nachweislich hormonaktiv sind, sind verglichen mit den körpereigenen Hormonen sehr schwach. Unsere Hautpflegeprodukte und ihre Wirkstoffe werden enorm reguliert, um unsere Sicherheit zu gewährleisten.“
Und wie Dr. Mahto bereits erwähnt hat, gilt dasselbe auch für natürliche Wirkstoffe. Laut Dr. Ejikeme heißt „natürlich“ nämlich nicht zwangsläufig, dass ein Produkt oder Wirkstoff besser ist als ein synthetischer – oder sicherer. „Zum Glück kennen wir den therapeutischen Zeitrahmen dieser Chemikalien und Wirkstoffe: Wir wissen, wie viel in der Hautpflege effektiv ist, und in welchen Mengen Schäden entstehen können.“
Was du tun kannst, wenn du dir immer noch Sorgen über die Chemikalien in deinen Kosmetika machst
Hautreaktionen äußern sich beispielsweise in Form von Rötungen, empfindlichen Stellen, Jucken, Trockenheit, Schwellungen oder Schwielen. Und wenn du mal Zweifel an der Reaktion deiner Haut auf bestimmte Wirkstoffe hast, brich die Verwendung sicherheitshalber ab.
Im Zweifelsfall lohnt sich auch ein Besuch bei Hausärzt:innen oder Dermatolog:innen, die dir dabei helfen können, die richtigen Produkte für deine Haut auszuwählen. Und wie auch Dr. Ejikeme sagte: Wenn Wirkstoffe wie Parabene oder Sulfate in deiner jetzigen Routine bei dir keine Reaktion auslösen, ist es nicht nötig, deine Produkte abzusetzen. Am Ende geht es aber vor allem um deinen persönlichen Geschmack – und natürlich um den ärztlichen Rat.
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