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Ich habe mein ganzes Leben nach einer Hormon-App gerichtet – & das ist passiert

Illustration: Mallory Heyer, Sydney Hass
Ich sitze am Frühstückstisch und nichts geht mehr. In meinem Kopf herrscht Nebel, ich kann keinen klaren Gedanken fassen und starre Löcher in die Luft. Bing. Eine Benachrichtigung von meiner Hormon-App: „Heute ist der 21. Tag ihres Zyklus, ihr Östrogenspiegel fällt.“ Oh je, schon wieder ein Östrogentief! Jetzt ist mir alles klar. Was die wenigsten wissen, dass das Östrogen zwei Mal im Zyklus abfällt. Nach dem Eisprung am 13. Tag, und am 21. Tag. An beiden Tagen bin ich dann wie ein Zombie.
Seitdem ich eine Hormon-App (ich habe Hormone Horoskope Pro, es gibt aber auch andere) auf dem Handy habe, folge ich der Achterbahnfahrt von Östrogen, Progesteron und Testosteron wie dem Wetterbericht und bin nun endlich auf emotionales Donnergrollen oder Sonnenscheintage vorbereitet. Seit sechs Monaten beobachte ich, was die Hormone mit mir machen. Sie haben nämlich eine viel größere Macht über uns Frauen, als den meisten klar ist. Sie haben nicht nur Einfluss auf unser Aussehen, sondern wirken sich auch auf Motivation, Lust und Stimmung aus.
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Die Bezeichnung Hormon leitet sich von dem altgriechischen Wort „horman“ ab, das so viel wie „antreiben“ bedeutet. Die Medizin kennt inzwischen rund 150 Hormone, geht aber davon aus, dass es mehr als 1000 gibt. Der weibliche Zyklus wird dabei von Progesteron, Östrogen und Testosteron dominiert, drei Antreiber, die uns manchmal an den Rand des Wahnsinns führen. Anfangs war ich geschockt, wie sehr Hormone mein Befinden manipulieren, mich mutig, weinerlich oder kreativ machen, doch inzwischen weiß ich sie zu nutzen und gestalte mein Leben danach.
Zum Beispiel habe ich festgestellt, dass ich in der Woche nach der Regel voll des Lebens bin. Der Östrogenspiegel steigt, der Körper schüttet mehr Endorphine aus – ein Turboboost für die gute Laune. Ich fühle mich optimistisch, selbstsicher und kontaktfreudig. Ich bin voller Energie und habe Lust auf Neues. Das ist für mich die ideale Zeit, neue Projekte anzuschieben und Leute zu treffen. Ich bin mutiger, komme leichter ins Gespräch und kann meine Talente besser anpreisen. Auch meine Lustkurve ist hoch, und ich bin schnell zu entflammen.
Die zweite Zykluswoche ist die absolute Lieblingszeit der meisten Frauen, man geht vor Energie fast über. Bei mir ist es so, dass ich dann gar nicht genug Arbeit auf dem Tisch haben kann. Schlaf brauche ich kaum und bin abends oft noch unterwegs oder sitze lange vor dem Computer. Alles geht mir leicht von der Hand, Selbstzweifel sind ein Fremdwort. Es ist die ideale Zeit für Vorträge, schwierige Meetings, denn der Kopf läuft auf Hochtouren.
Ich genieße die Zeit und packe mir die Tage voll mit inspirierenden, aber auch herausfordernden Aktivitäten. Kein Zweifel trübt das Ego, ich bin voller Tatendrang. Das Testosteron macht meine Haut zwar fettiger, aber es steigert auch meine Lust. Am 12. Tag ist Eisprung. Ich denke: „Ich brauche Sex! Jetzt! Sofort!“ Das ist der Tag, an dem ich nicht nur meinen Mann vernaschen will, sondern auch anderen Kerlen hinterher schaue. Single-Freundinnen berichten sogar, dass sie nun zwei bis drei Mal Solo-Sex haben. 2016 hat die Zyklus-App „Glow“ Daten von über 47 Millionen Zyklen erhoben. Den Daten zufolge ist die Lust vom 12. bis zum 14. Tag am stärksten. Bingo.
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Doch am nächsten Tag, dem 13., ist zumindest bei mir alles anders. Die Haare hängen strähnig herab, die Laune ist immer Keller. Ich bin ein Zombie. Aus dem Arbeitstier ist ein Faulpelz geworden und die Partysau zum Couch-Potatoe mutiert. Nach dem Eisprung sinkt der Östrogenspiegel und das Progesteron oder Gelbkörperhormon wird aktiv. Der steigende Progesteronspiegel wirkt wie ein Beruhigungsmittel auf mich. Anfangs habe ich die dritte Woche gehasst. Mich gehasst, weil ich dann immer so unmotiviert, schlapp und müde bin. Inzwischen habe ich aber die Vorteile entdeckt, denn ich bin dann ultra kreativ. Die Texte gehen mir leichter von der Hand, mit meiner Master-Arbeit komme ich gut voran. Der Kopf arbeitet zwar langsamer, aber das Unterbewusstsein scheint in Fahrt zu kommen und mit ihm die Geistesblitze.
In der letzten Woche vor der Regel werde ich zur Einsiedlerin. Statt Party gibt es Abende, an denen einfach nichts passiert, statt Sonnenschein ist Nieselstimmung angesagt. Schwer zu ertragen in der Beziehung oder bei der Arbeit. Aber auch diese Phase hat etwas für sich. Ich bin kritischer. Einmal sagte ich in einem Meeting: „Wollen wir das eigentlich wirklich?“ Alle starrten mich damals an, schließlich arbeiteten wir seit Monaten an dem Projekt. Aber ich sah plötzlich klarer und hatte kein Problem damit anzuecken (was ich sonst mitunter habe). „Und jetzt mal ketzerisch gefragt“, sage ich inzwischen und alle wissen schon, dass nun die unangenehmen Fragen kommen, die das Projekt aber elementar weiterbringen könnten.
Auch im Privatleben bin ich weniger geschmeidig. „Die wilde Frau der zweiten Zyklushälfte ist nicht so beliebt“, hat eine Frau mal zu mir gesagt. Und das ist wahr. Ich habe kein Problem damit, getroffene Entscheidungen, die mir doch nicht nutzen, infrage zu stellen, ja sogar rückgängig zu machen. Das mag für mein Umfeld sehr nervig und aufreibend sein, aber was soll ich sagen: Es ist wie ein monatliches Controlling, bei dem alles auf den Prüfstand kommt und zu meinem Besten neu bewertet wird.
Und dann kommt die Regel: Mein Kopf ist ein Orkan, kaum ein klarer Gedanken will gelingen. Aber ehrlich gesagt, ist das auch mal schön. Kein Gebrabbel im Kopf, das mir sagt, ich muss noch den Abwasch machen, das Kind zum Schwimmkurs anmelden oder die Steuerberaterin anrufen. Nur Ruhe und Stille und mal eine kleine Verschnaufpause.
Seit ich die Hormon-App habe, bin ich ausgeglichener und zufriedener mit mir, aber auch produktiver. Ich habe kapiert, dass ich vier Frauen bin. Seitdem ich das akzeptiert habe, hasse ich mich nicht mehr dafür, dass ich an manchen Tagen depressiv und introvertiert bin und mein Arbeitspensum nicht schaffe. Dafür mache ich mir an anderen Tagen wiederum das Potenzial der Hormone zunutze. Wenn es geht, lege ich mir die meiste Arbeit in die ersten beiden Zykluswochen, kreative Aufgaben packe ich in die Dritte und kritische in die Vierte. Selbst wenn die zweite Zyklushälfte nicht mein Favorit ist, lerne ich immer mehr ihre Vorteile kennen. Sensibler, feinfühliger, hellhöriger zu sein und mehr an sich als an die anderen zu denken, muss ja nicht unbedingt schlecht sein.

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