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Wenn Corona-Regeln & Freundschaften aufeinanderprallen

Foto: Jessica Xie
„Ich schäme ich mich immer und fühle mich wie eine Außenseiterin in ihrer Gegenwart“, erklärt die 33-jährige Emma*, als sie über zwei ihrer engsten Freund:innen spricht. Sie beschreibt eine scheinbar harmlose Szene: Als es die Lage letztes Jahr zwischenzeitlich zuließ, trafen sie sich auf einen Drink im Freien – etwas, das jetzt aufgrund neuer Lockdown-Runden und damit verbundenen strengeren Vorschriften leider nicht möglich ist. War ein Ellenbogengruß zur Begrüßung erlaubt? Wie viel Abstand sind zwei Meter tatsächlich? Sich mit Freund:innen zu treffen, hat früher richtig Spaß gemacht. Zur Zeit liegt aber jedes Mal eine gewisse Spannung in der Luft. Freund:innen kriegen sich wegen der Pandemie sogar in die Haare.
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Während dieses letzten Treffens umarmten sich Emmas Kumpels zum Abschied. Als sie an der Reihe war, hielten diese aber mittendrin inne und äußerten verspottend: „Ach ja genau, du hältst ja dich ja an die Corona-Vorschriften und umarmst niemanden.“
„Daraufhin kam ich mir wirklich albern vor und fragte mich, ob ich nicht alles vielleicht zu ernst nahm“, sagt sie. „Sie wollten reingehen, weil es kalt war. Da das ja nicht erlaubt war, blieb mir nichts anderes übrig, als es anzusprechen. Die Spielverderberin in der Gruppe sein zu müssen, war mir aber so unangenehm. Ich fühlte mich superbrav und wie eine Schlaftablette.“
Dieses Gefühl kann Claire*, 21, nur allzu gut nachvollziehen. „Es gab ein paar Vorfälle, in denen ich von Freund:innen ganz ohne böse Hintergedanken wissen wollte, ob sie denn die Regeln befolgten. Diese Frage wurde jedes Mal sofort als Vorwurf aufgefasst. Das alles verursacht so viele Spannungen: Unser sonst so netter Gruppenchat ist jetzt meistens still, weil jeder von uns Angst davor hat, etwas zu sagen, das die anderen auf die Palme bringen könnte.“

Eine Freundin fuhr während des dritten Lockdowns mit einem Typen übers Wochenende weg. Dieser Trip endete mit einem positiven Testresultat für sie.

Emma*
Claire erzählt von einem unangenehmen Erlebnis, das in Tränen endete. „Ich fragte nach dem Test-Ergebnis einer bekannten Person, die an einer größeren Menschenversammlung teilgenommen hatte. Dieses Gespräch endete damit, dass ich mich weinend dafür entschuldigte, überhaupt gefragt zu haben.“
Das wirft eine ernste Frage auf: Was ist zu tun, wenn deine engsten und ältesten Freundschaften auf diese Art und Weise auf die Probe gestellt werden? Emma erzählt, dass eine ihrer Freund:innen während des dritten Lockdowns mit einem Typen übers Wochenende weggefahren war. „Ich bin immer noch so wütend darüber“, erzählt sie. „Der Weekend-Trip endete nämlich mit einem positiven Testresultat für sie.“ Rachel*, 30, beschreibt, wie entsetzt sie war, als sie sah, dass die meisten Personen in ihrem Freundeskreis über Weihnachten nach Hause reisten und es dann überall in den sozialen Medien herumposaunten. „Ich verstehe total, dass es schwierig ist, die Feiertage ohne seine Familie verbringen zu müssen. Gleichzeitig finde ich es aber auch frustrierend, dass meine Freund:innen auf die Corona-Regeln pfiffen und trotzdem ihre Eltern besuchten. Ich finde es einfach sehr unfair all jenen Menschen gegenüber, die an vorderster Front stehen und Opfer bringen, um für unsere Gesundheit zu sorgen und uns am Leben zu erhalten. Mir kommt es vor, als ob wir jetzt alle für diesen Leichtsinn bezahlen.“
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Im Gegensatz zu einigen anderen Fragen, bei denen Freund:innen vielleicht unterschiedlicher Meinung sind, ist dieses Thema auf einer sehr persönlichen Ebene angesiedelt. Außerdem spielt in diesem Zusammenhang Angst eine große Rolle, sagt die klinische Psychologin Linda Blair. „[Corona-Vorschriften] betreffen uns auf eine sehr direkte und persönliche Weise. Das ist der Grund, warum Leute gerade häufig so emotionsgeladen reagieren; Wut kann nämlich stellvertretend für Angst zutage treten.“
Wenn es etwas gibt, worauf wir uns einigen können, dann ist es, dass das letzte Jahr uns allen ganz schön zugesetzt hat. Es hat uns gezwungen, unsere ehemals alltäglichen Handlungen genau unter die Lupe zu nehmen. Auch wenn es sich so anfühlt, als ob Regeln querbeet gebrochen oder mit dem Talent eines Schlangenmenschen gebeugt werden, besagen Statistiken, dass eine knappe Mehrheit der Deutschen die Corona-Maßnahmen befolgt: Eine Umfrage zeigt, dass 50,2 Prozent der Befragten angeben, im Einklang mit diesen Regeln zu handeln.
Die Tatsache, dass Corona-Vorschriften seit dem Ausbruch der Pandemie ständig den sich veränderten Umständen angepasst werden, erschwert aber ihr Einhalten. Außerdem wurde die Motivation der deutschen Bevölkerung, sich an alle Vorschriften zu halten, dadurch sehr stark beeinträchtigt, dass selbst einige Politiker:innen nicht regelkonform handelten. Damit stellt sich auch folgende Frage: Wie wichtig ist es, zu wissen, was andere tun, wenn doch das einzige Verhalten, das wir tatsächlich kontrollieren können, unser eigenes ist?
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Das Benehmen anderer Menschen spielt eine wichtige Rolle: Es wirkt sich auf unser Gemeinschaftsgefühl und darauf aus, ob oder in welchem Ausmaß wir uns an Restriktionsmaßnahmen halten.

Daisy Fancourt, Stephen Reicher & John Drury
Fachleute wie Daisy Fancourt, Stephen Reicher und John Drury behaupten, dass das Benehmen anderer Menschen sehr wohl eine wichtige Rolle spielt. Es wirkt sich nämlich auf unser Gemeinschaftsgefühl und darauf aus, ob oder in welchem Ausmaß wir uns an Restriktionsmaßnahmen halten. Reicher und Drury erklären: „Wenn wir davon überzeugt sind, dass es die Norm ist, sich den Regeln zu widersetzen, kann das dazu führen, dass wir sie auch nicht ernst genug nehmen oder sogar brechen.“

Du solltest in jedem Fall zu deinen eigenen Überzeugungen stehen.

Linda Blair
Was solltest du also am besten tun, wenn sich deine Freund:innen nicht an die Regeln halten und ihr euch darüber streitet, welches Verhalten denn nun regelkonform ist und welches nicht? Du hast jedes Recht, wütend zu sein: Diese Vorschriften gibt es nicht ohne Grund und bei so vielen Sterbefällen und Lockdown-Runden sind Frustration und Wut völlig normale Reaktionen. Du solltest nicht versuchen, die Handlungen deiner Freund:innen zu kontrollieren, sondern dich stattdessen darauf konzentrieren, wie du auf diese Situation reagierst. Wenn du mit den Verstößen gegen Corona-Regeln vonseiten deines Freundeskreises leben kannst, solltest du dir in Erinnerung bringen, dass diese Leute (hoffentlich!) andere positive Eigenschaften haben. So führst du dir wieder vor Augen, weshalb du mit diesen Personen befreundet bist und kannst über andere Dinge hinwegsehen. Unsere jetzigen Lebensumstände sind schwierig und höchst ungewöhnlich. Lass dir und den anderen deshalb Zeit, hab Mitgefühl und kündige jenen Personen, mit deren Einstellung und Verhalten du vielleicht nicht (gänzlich) einverstanden bist, nicht überstürzt die Freundschaften, rät Blair.
Photographed by Jessica Xie
Wenn du dich aber doch dafür entscheidest, deine Freund:innen zur Rede zu stellen, solltest du auf jeden Fall vorsichtig vorgehen. „Du kannst die Meinung anderer Leute nicht ändern“, sagt Blair. Was auch immer du tust, versuch, ruhig zu bleiben und Logik walten zu lassen. „Wenn du versuchst, dir Gehör zu verschaffen, wenn du gerade emotional bist, wirst du am Ende mit ziemlicher Sicherheit nicht mit dem Ergebnis dieses Gesprächs zufrieden sein“, erklärt sie. „Solltest du aber das Gefühl haben, dass es besser ist, eine solche Unterhaltung zu vermeiden, weil die Pandemie ja irgendwann zu Ende sein wird, dann ist das auch in Ordnung. So oder so solltest du aber in jedem Fall zu deinen eigenen Überzeugungen stehen.“
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Eine Nachricht oder einen Brief zu schreiben – etwas, das du nicht sofort abschicken kannst und dir deshalb erlaubt, deine Gedanken zuerst zu sortieren –, ist ein vernünftiger Schritt, wenn du einem Freund oder einer Freundin deine Meinung mitteilen willst, sagt Blair. Deinen Gefühlen auf diese Weise Ausdruck zu verleihen, reicht vielleicht sogar aus und du brauchst die Botschaft gar nicht mehr zu verschicken. Solltest du es aber doch tun, wird der Inhalt weniger emotionsgeladen und gelassener rüberkommen und somit eine größere Wirkung auf die betroffene Person haben.
Was ist aber, wenn du das Gefühl hast, dass eine Freundschaft diese Krise nicht übersteht? Anstatt getrennte Wege zu gehen, solltest du die Gemüter zuerst ein wenig abkühlen lassen. Halte zuerst einmal vielleicht etwas Abstand und nimm dir Zeit, bevor du lebensverändernde Entscheidungen triffst, indem du eine platonische Beziehung beendest. Blair erklärt, dass es sich nicht lohnt, eine Freundschaft wegzuschmeißen, bevor du nicht alle Möglichkeiten ausgelotet hast. Schließlich hat uns die Pandemie eine sehr wertvolle Lektion gelehrt: „Wenn wir dieses Jahr auch nur eine Sache gelernt haben, dann ist es, dass unsere zwischenmenschlichen Beziehungen das Wertvollste sind, das wir haben.“
*Namen wurden von der Redaktion geändert

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