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Von Tics & Traumata: Mein Leben mit Tourette-Syndrom

Foto: bereitgestellt von Monica Nguyen.
Als Kind bekam Monica Nguyen von ihrem Arzt eine Diagnose: Husten. Das war eine Fehldiagnose; ihr Arzt hatte das Tourette-Syndrom nicht erkannt, das sie seit ihrem siebten Lebensjahr begleitet. Monicas Erfahrung war aber kein Einzelfall. Viele Tourette-Betroffene bekommen zuerst Fehldiagnosen, bis das Syndrom korrekt identifiziert wird.
Das mit dem „korrekt“ ist aber so eine Sache, denn selbst medizinische Fachkräfte können häufigen Irrglauben über das Tourette-Syndrom zum Opfer fallen – zum Beispiel denen, dass es dabei nur ums Fluchen ginge, dass das eine Art Krampfanfall sei, dass sich die Krankheit kontrollieren ließe, und, und, und. Diese Mythen werden uns leider auch in Filmen und Serien immer wieder so präsentiert. Vielleicht, weil es leichter ist, Tourette als etwas „merkwürdige“ Störung abzustempeln, als sie als die chronische Nervenerkrankung zu erkennen, die sie eigentlich ist.
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„Das ist eine neurologische Erkrankung – das heißt, sie beginnt im Gehirn und Nervensystem. [Ihre Symptome] werden oft für Anzeichen einer schlechten mentalen Verfassung gehalten, als seien die Betroffenen verrückt“, erzählt Monica gegenüber Refinery29. „Mein Tourette sorgt bei mir für sprachliche und körperliche Tics. Ich gehöre außerdem zu den zehn Prozent der Betroffenen mit Copralalia – das sind die Fluch-Tics, für die das Tourette am ehesten bekannt ist.“
Die junge Vietnamesin aus Sydney fing Ende 2021 damit an, ihre Erfahrungen online zu teilen. Auf TikTok (@meowmons) postete sie zuerst aufgenommene Gespräche zwischen ihr und Fremden im Nahverkehr, die sie diskriminierten. 
„Wenn du wirklich Tourette hättest, könntest du gar nicht behaupten, du hättest Tourette“, bekommt sie zum Beispiel von einer Frau am Bahnhof zu hören. „Steh gefälligst auf, wenn du schon so rumfluchen musst. Oder bist du dafür nicht mutig genug?“, meint jemand anderes im Bus.
„[Diese Erlebnisse] haben mich echt erschreckt und traumatisiert. Wegen dieser ganzen Erfahrungen bin ich heute total unruhig“, erzählt Monica.
Sie will gar nicht als das „Tourette-Mädchen aus Sydney“ bekannt sein – ein Titel, den ihr ein Follower verpasste, dem sie in der Öffentlichkeit begegnete und der anfing, sie zu filmen. „Viele Leute reagieren so nach dem Motto: ‚Oh, das ist ja das Tourette-Mädchen.‘ Ich habe ein Problem damit, dass manche Menschen Be_hinderungen und die davon Betroffenen in einen Topf werfen. Ich bin doch so viel mehr. Wir haben so viele Facetten. Ich bin nicht meine Be_hinderung“, sagt sie.
Mit über 56.000 Followern ist Monicas TikTok-Account nicht bloß ein Archiv für Ableismus und Diskriminierung, sondern ein sicherer Raum für Bildung und Fröhlichkeit. Dort erzählt sie zum Beispiel, wie es ist, sich mit Tics die Haare schneiden zu lassen, Inlineskaten zu gehen oder sich schminken und fotografieren zu lassen.
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Es sind diese alltäglichen Szenen, die ihrem Publikum einen Einblick in Monicas Leben als Content Creator gewähren, anstatt sie „nur“ auf ihren Aktivismus für Menschen mit Be_hinderung zu reduzieren. Sie erzählt mir, dass sie vor ihren Posts zu ihrem Tourette-Syndrom einen Food-Blog hatte – und außerdem liebt sie Poledancing.
Nach einer unangenehmen „Scheiß drauf!“-Erfahrung in ihrer Therapie stürzte sie sich in diesen digitalen Raum. In unserer ableistischen Welt lief auch das aber natürlich nicht immer glatt – insbesondere innerhalb ihrer asiatischen Community. Zwar spielt in der öffentlichen Debatte rund um Be_hinderungen auch Gender eine immer größere Rolle, doch hat Monica gleichzeitig auch noch mit Rassismus zu kämpfen.
„Ich habe definitiv schon unter rassistischen Stigmata und Tabuisierungen zu leiden gehabt, bis heute. Ich habe das Gefühl, dass Pride im Zusammenhang mit Be_hinderungen in vielen Kulturen ein ganz neues Phänomen ist, und gerade in asiatischen Communitys ist das Thema noch nicht ganz angekommen, denke ich“, überlegt Monica. „Es fällt mir echt schwer, vietnamesischen Menschen [mein Syndrom] zu erklären, weil viele Leute gar nicht wissen, was das ist. Ich habe es oft nicht leicht gehabt. Immer wieder versuchte man, mich zu heilen, oder ich wurde ‚besessen‘ genannt.“
Selbst mit Menschen mit Be_hinderungen zu arbeiten, hat Monica nochmal umso bewusster gemacht, wie schlecht das Allgemeinwissen rund um Tourette doch ist. „Ich habe den Eindruck, wenn jemand sagt: ‚Mein Sohn hat Autismus‘, wissen alle sofort, was damit gemeint ist. Wenn aber jemand sagt: ‚Mein Sohn hat Tourette‘, wird das nicht ernst genommen“, meint sie und erzählt, sie sei immer eine der wenigen Personen of color in Hilfeeinrichtungen für Menschen mit Be_hinderung gewesen.
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Monica hofft, dass Gespräche über ihr Syndrom sowie ihr TikTok-Content für ein besseres Wissen und Verständnis für Tourette sorgen. „Sie hat Tourette. Das sorgt für solche ‚Ausbrüche‘, und das ist total normal“, meint ein Buspassagier, um Monica in einem ihrer Videos zu Hilfe zu kommen.
„Sei nicht einfach bloß Zuschauer:in. Wenn du irgendwas miterlebst, was nicht okay ist, sag was dagegen. Und wenn du nicht kannst, dann frag zumindest die betroffene Person danach, ob es ihr gut geht“, bittet Monica und erzählt, dass der gefilmte Zwischenfall das einzige Mal gewesen sei, dass sich ein:e Fremde:r jemals für sie eingesetzt habe.
„Viele Leute glauben, Ableismus und Diskriminierung gebe es gar nicht. Dabei passiert sowas jeden Tag – ob nun in Form der Sprache, die du verwendest, oder deiner gleichgültigen Einstellung. Die Meinungen zu Menschen mit Be_hinderungen sind manchmal ein größeres Hindernis als die Be_hinderung selbst.“
Monica geht auf ihre ganz eigene Art gegen die Stigmatisierung von Tourette an – indem sie auch die fröhlichen Seiten ihres Lebens mit Be_hinderung teilt, voller „Get ready with me“-Videos und Treffen mit Freund:innen. Denn Monica ist mehr als ihr Syndrom.

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