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Warum bin ich so verdammt bitchy?

Illustration: Maya Brasnovic.
Ich denke gerne, dass ich ein guter Mensch bin. Zumindest versuche ich, einer zu sein – ich mag es, wenn Menschen sich einbezogen fühlen, ich helfe anderen gerne und ich möchte nicht, dass jemand durch Dinge, die ich tue oder sage, verletzt wird. Aber manchmal frage ich mich, ob ich tief im Inneren wirklich so ein guter Mensch bin – oder bin ich doch ein Arschloch?
Mein ganzes Leben lang schwankte ich zwischen der Art von Mensch, die ich sein möchte, und diesem fiesen, ekligen Alter Ego, das sich für niemanden freut und im Unglück anderer Menschen badet. Natürlich nicht in jedem Unglück. Aber sicherlich in den Momenten, in denen jemand, der super erfolgreich oder ‚blessed‘ ist, vom Podest fällt und ich mich weniger als Versagerin fühle.
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Ich hasse es, diese fiese, eklige Person zu sein. Aber ich muss ehrlich sein und sagen, dass ich von Zeit zu Zeit genau da so bin.
Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich mich nie wie eine Bitch verhalten oder in Negativität gebadet habe, aber das wäre nicht wahr. Ich ertappe mich immer noch dabei, wie ich mir innerlich die Hände reibe, wenn ich höre, dass jemand Erfolgreiches, jemand auf den ich neidisch bin, in Ungnade gefallen ist. Ich ertappe mich dabei, wie ich in Gruppenchats über jede:n lästere, von Influencer:innen bis hin zu den neuen Freundinnen von Ex-Freunden. Ja, das ist alles privat – ich bin nie so tief gesunken, dass ich wollte, dass sich jemand meinetwegen gedemütigt oder verletzt fühlt. Aber ist das überhaupt wichtig? Bin ich nur die größte Schwindlerin der Welt?
Ich habe die Lysn-Psychologin Nancy Sokarno gefragt, was hinter einem solchen Verhalten steckt. „Mit Schmerz ist niemand gerne allein“, war ihre Antwort und sie sagte auch, dass wir oft im Niedergang anderer schwelgen, um mit unseren eigenen Unsicherheiten, Misserfolgen oder vermeintlichen Unzulänglichkeiten fertig zu werden. „Der Mensch ist ein kompliziertes Wesen, und manchmal denken wir, dass es uns irgendwie aufwertet oder uns daran erinnert, dass wir nicht allein sind, wenn wir sehen, wie jemand anderes versagt. Wenn wir uns jedoch an der Misere anderer erfreuen, kann das letztlich daran liegen, dass wir uns unsicher fühlen oder, wie Sie sagten, mit unserem eigenen Leben unzufrieden sind.“

Als ich zu Hause festsaß, weil ich zu pleite war, um im Winter eine lange Europareise zu unternehmen, schickte ich meinen Freund:innen Screenshots von Instagram-Posts, die ich für kitschig hielt. Wenn ich mir Sorgen um meine Beziehung machte, bereiteten mir die Trennungen anderer Menschen Freude.

Ich blicke zurück auf die Zeiten, in denen meine leicht verdorbene Vorliebe für Klatsch und Tratsch ins Bitchige abdriftete. Das war immer in einer Phase meines Lebens, in der ich zutiefst unglücklich war, in der Regel wegen mangelnden Fortschritts in einem Bereich wie meiner Karriere, meinen Beziehungen oder meinem Lebensstil. Als ich zu Hause festsaß, weil ich zu pleite war, um im Winter eine lange Europareise zu unternehmen, schickte ich meinen Freund:innen Screenshots von Instagram-Posts, die ich für kitschig hielt. Wenn ich mir Sorgen um meine Beziehung machte, bereiteten mir die Trennungen anderer Menschen Freude. Jedes Mal, wenn ich mich insgeheim darüber freute, dass jemand anderes gescheitert war, lag das daran, dass ich mich in diesem Bereich als Versagerin fühlte.
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Es wäre unrealistisch zu sagen, dass ich nie wieder eine Bitch sein werde. Wir Menschen lieben Klatsch und Tratsch und fühlen uns dazu hingezogen – das sieht auch Sokarno so. „Menschen sind von Natur aus soziale Wesen, die Klatsch und Tratsch seit jeher nutzen, um soziale Bindungen zu stärken, Konflikte zu lösen, sich über soziale Normen zu einigen und herauszufinden, wer vertrauenswürdig ist. Es ist gut für unsere psychische Gesundheit, da es tatsächlich Wohlfühl-Hormone wie Serotonin freisetzen kann“.
Der Knackpunkt sei, sagt sie, wenn das Tratschen einer anderen Person schadet. „Wenn wir tratschen, tun wir das manchmal mit der Absicht, jemandem zu schaden – sei es, um den Ruf der Person zu ruinieren, sie zu demütigen, das Vertrauen in sie zu untergraben, ihr etwas von ihrem Reichtum ‚wegzunehmen‘ oder um selbst ‚voranzukommen‘.“
Manchmal haben wir nicht die Absicht, jemandem zu schaden, aber unsere Handlungen bewirken es trotzdem. Denk mal darüber nach – es ist ein großer Unterschied, ob man mit einer Person über die Freundin lästert, die zum fünfzehnten Mal zu ihrem Ex zurückgekehrt ist, oder ob man allen in der Freundesgruppe die geheimen News steckt, dass ihr Ex sie betrogen hat. Das eine Szenario ist relativ harmlos, da es in einer geschlossenen Gesellschaft stattfindet. Im anderen Fall tappt sie im Dunkeln, während alle um sie herum intime Details erfahren, die sie nicht preisgeben wollte.
Wir verletzen nicht nur andere, wenn wir in verletzendes Lästern verfallen; wir verletzen auch uns selbst. „Wenn wir es uns in unserem Kopf mit einer verurteilenden Haltung gemütlich machen, neigen wir viel eher dazu, uns selbst negativ zu beurteilen“, sagt Sokarno. „Das kann sich auf unser eigenes Selbstwertgefühl auswirken und dazu führen, dass wir uns selbst durch dieselbe negative Brille betrachten.“
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Wenn wir es uns in unserem Kopf mit einer verurteilenden Haltung gemütlich machen, neigen wir viel eher dazu, uns selbst negativ zu beurteilen.

Nancy sokarno, psychologiN
Auch wenn der Grund, warum wir uns mit Vollgas nach Lästerhausen stürzen, darin liegt, dass wir uns schlecht fühlen, werden wir uns dadurch nur noch schlechter fühlen. Es ist ein kranker Teufelskreis. Wie können wir ihn also durchbrechen? Der erste Tipp von Sokarno lautet, achtsam zu sein. „Achten Sie darauf, wann es von harmlosem Klatsch zu giftigem Klatsch wird – wenn die Grenze zu verletzendem Verhalten für die andere Person (und Sie selbst) überschritten wird“, sagt sie.
Dann müssen wir an uns selbst arbeiten. Wenn wir den wahren Grund für unser bissiges Verhalten erkannt haben, ist der nächste Schritt die Wiederherstellung unseres Selbstwertgefühls. „Konzentrieren Sie sich darauf, Ihr eigenes Wohlbefinden zu fördern und einige Veränderungen in Ihrem Leben vorzunehmen, um sich selbst glücklich zu machen“, sagt sie. Leg das Telefon weg und geh' spazieren, oder mach ein paar kleine Schritte, um aus dem Trott herauszukommen, der dich belastet, sei es, dass du dich mit jemandem verabredest, wenn du dich nach einer Trennung einsam fühlst, oder bewirb dich auf einen neuen Job.
Ein weiterer Tipp, den Sokarno vorschlägt und mit dem ich gute Erfahrungen gemacht habe, ist, verletzlich zu sein. Anstatt eine andere Person herunterzumachen, solltest du ehrlich mit einem vertrauenswürdigen Freund über deine Reaktion auf den Erfolg anderer sprechen. „Manchmal kann die Offenheit gegenüber anderen ein weiteres Gespräch anstoßen, das für einen selbst von Vorteil sein kann“, sagt sie.
Letzten Endes machen wir alle Fehler und tun beschissene Dinge, auf die wir nicht stolz sind. Ich glaube nicht, dass ich jemals ganz von meiner bitchy Seite loskommen werde, aber ich kann mich dazu entschließen, sie zu erkennen – und meinen Fokus von der Negativität anderen gegenüber auf die Reflexion über mich selbst zu verlagern.
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