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Was geschah, als ich eine Woche lang auf alle Routinen verzichtete

Illustrated by XAVIERA ALTENA.
Ich liebe meine Komfortzone. Am wohlsten fühle ich mich dann, wenn ich jeden Tag im altbekannten Flow bin und mir keine Sorgen über unerwartete Überraschungen machen muss. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass all die Freitagabende, die ich in meiner Wohnung verbracht habe, mich daran hinderten mein Leben in vollen Zügen zu genießen. Was ist, wenn ich durch meinen monotonen Alltag mir wichtige Lebenserfahrung und Weiterentwicklung verwehrt habe?
Genau aus diesem Gedanken heraus habe ich beschlossen, eine Woche lang, meine gemütlichen Routinen für eine Zeit der herausfordernden Ungewissheit zu tauschen. Jeden Tag habe ich neue Dinge ausprobiert, um mich so aus meiner Komfortzone zu pushen. Ich habe viele meiner Prinzipien über Bord geworfen (oder es zumindest versucht) – nur, damit sich mein neues Ich frei entfalten kann. 
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Ich begann die Challenge an einem Abend nach der Arbeit. Eine Sache habe ich schon immer versucht zu vermeiden: Mich in Situationen zu stürzen, in denen ich mich blamieren könnte. Sei es mit Freund*innen in einer Bar wild zu tanzen oder in einem Meeting meine Meinung zu sagen, ich halte mein Schutzschild immer aufrecht. Und weil ich diesen Dingen immer ferngeblieben bin, habe ich beschlossen an diesem bedeutenden Abend, mit meinen besten Freund*innen in eine Karaoke Bar zu gehen.
Nach einer Weile der Zurückhaltung, fühlte ich mich irgendwann mutig genug, meine Lieblingshymne der 90er vor allen anderen zum Besten zu geben. Ich bin nicht gerade eine gute Sängerin, also waren vor allem die ersten Sekunden sehr schmerzhaft für die Ohren der Zuhörer*innen. Aber dann überkam mich die Aufregung, der Adrenalin und sogar etwas Selbstbewusstsein. Es war, als würde der Song mich weit über meine Komfortzone hinaus drängen und ich fühlte mich wie ein anderer Mensch. Nach ein paar weiteren Songs, fiel mir auf, dass Loslassen gar nicht so schwer war, wie ich dachte – vor allem dann nicht, wenn es alle um dich herum tun.
Illustrated by XAVIERA ALTENA.
Am nächsten Morgen wollte ich am liebsten wieder in alte Muster verfallen, denn nach der Karaoke sehnte ich mich nach etwas Struktur im Leben. Aber genau das wollte ich ja eigentlich nicht mehr tun. Ich wusste, dass ich meine Bequemlichkeit ablegen musste, um die Challenge zu bestehen. Deshalb entschied ich mich an dem Tag meine Mittagspause etwas anders zu gestalten als sonst: Normalerweise aß ich mein Essen immer an meinem Schreibtisch und checkte dabei meine Mails. Diesmal habe ich mir aber eine entspannende 30-Minuten-Pause gegönnt, in der ich meine E-Mails ignorierte und stattdessen mich mit einem Video durch eine Meditation führen ließ. Während der Zeit passierte es hin und wieder, dass meine Gedanken zurück zur Arbeit schweiften. In diesen Momenten versuchte ich, durch das Aufsagen eines Mantras, mich wieder auf meine Atmung zu konzentrieren.
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Nach 30 Minuten öffnete ich meine Augen und alles im Raum fühlte sich ruhiger an. Meine Gedanken plötzlich so klar wie noch nie und von einer Schreibblockade war keine Rede mehr. Ich war bereit alle, schon längst überfälligen Dinge auf meiner To-do-Liste abzuhaken. Durch diese neu gefundene Klarheit habe ich erkannt, dass mein strikter Widerstand gegen erholsame Pausen, mich eigentlich nur davon abhielt meine Schreibkünste voll auszuleben. Und nachdem mein Arbeitstag erfolgreich beendet war, machte sich in mir die Frage auf, ob ich diese Denkweise auch auf andere Bereiche meines Lebens und außerhalb der Arbeit weiterführen konnte.
Am nächsten Morgen habe ich mich meinem persönlichen ultimativen Test gestellt: Ich bin ohne Make-up aus dem Haus gegangen. Das war wirklich nicht einfach für mich, denn eigentlich sieht man mich nur im Bett ungeschminkt. Aber diese kleine Änderung war für mich einen großen Unterschied. Anstatt 20 Minuten vor dem Spiegel zu verbringen und mir etliche Dinge ins Gesicht zu schmieren, saß ich entspannt da und genoss mit Augenmasken und einer Tasse Tee in der Hand meinen Morgen. Und schon war mein Start in den Tag weniger hektisch.
Diese entspannte Stimmung war leider im Office schon wieder verflogen, denn dann meldete sich meine Unsicherheit zu Wort. Normalerweise überdeckten Foundation und Concealer all meine Makel, aber jetzt da ich komplett ohne Make-up war, konnte jede*r meine Unreinheiten und Narben sehen. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass irgendjemand etwas in Richtung „Du siehst müde aus“ zu mir sagen würde, aber zu meiner Überraschung, kam nichts der gleichen. Es war beruhigend zu wissen, dass ich einen so wichtigen Teil meiner morgendlichen Routine auslassen und mich trotzdem gut fühlen konnte. All diese Ängste waren also unbegründet – sie waren nicht wahr, sondern nur in meinem Kopf.
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Während mein Verzicht auf Make-up eine gute Möglichkeit für mich war, mich in Selbstliebe zu üben, wusste ich, dass ich in dieser Woche die einmalige Chance habe auch meine sozialen Ängste in Angriff zu nehmen. Normalerweise bin ich im Alltag nicht unbedingt extrovertiert. Ich habe mir schon meine engsten Freunde herausgesucht und bleibe gerne in der Gruppe mit ihnen und meinem Freund – andere Kreise vermeide ich lieber. Das wollte ich ändern, und zwar radikal. Deshalb habe ich das gemacht, was ich niemals tun wollte: Ich habe mich bei einem Comedy-Kurs angemeldet.
Als ich dort ankam, begann ich sofort nervös zu werden. Eigentlich fällt es mir ja schon schwer im selben Raum mit 19 fremden Menschen zu sein, wie soll ich jetzt auch noch mit ihnen Improvisationstheater machen? Zu Beginn ließ uns der Lehrer durch den Raum gehen und dabei mussten wir alberne Geräusche und Bewegungen machen. Am Ende haben wir alle gelacht. Nach nur ein paar Übungen war das Ganze überhaupt nicht mehr so beängstigend. Die lässige und entspannte Atmosphäre im Unterricht hat meine Sicht auf solche Veranstaltungen grundlegend verändert. Hätte ich mich davor gescheut mit diesen neuen Leuten zu interagieren, dann wäre der Abend letztendlich niemals so spaßig gewesen.
Am nächsten Tag war ich mehr als bereit mein fünftes Abenteuer. An diesem Morgen ging ich zu einem anstrengenden Hitze-Cardio-Kurs. Und nur mal so: Ich hasse jegliche Art von extremer körperlicher Anstrengung. Der Gedanke, dass ich ein intensives Intervalltraining machen muss, während ich in einem Raum voller Fremder bin und schwitze, ließ mir die Haare zu Berge stehen. Aber als ich sah, wie gut der Comedy-Kurs verlief, wollte ich auch dem eine Chance zu geben.
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Sobald der Unterricht begann, fühlte ich mich wieder unwohl und vor allem unsicher. Ich war sofort von Kopf bis Fuß durchgeschwitzt und die Übungen konnte ich bei weitem nicht so gut ausführen wie die ganzen anderen Fitnessgurus im Raum. Als ich aber in der Hälfte des Unterrichts kurz durch die Reihen schaute. Stellte ich fest, dass alle schwitzten. Es gab also keinen Grund für mein Unbehagen. Immerhin waren es um die 40 Grad im Raum – da ist Schweiß völlig normal.
Die letzten fünf Minuten waren am anstrengendsten, aber auch am besten, denn obwohl wir alle erschöpft waren, spornten wir uns immer weiter an. Macht mich diese Erkenntnis jetzt zu einer Cardio-Liebhaberin? Wahrscheinlich nicht. Aber wenn ich etwas gelernt habe, dann ist es, dass ich nicht auf ein Workout verzichten sollte, nur weil ich Angst habe, die schlechteste zu sein. Es ist kein Wettbewerb.
Illustrated by XAVIERA ALTENA.
Einen Tag nach meinem Fitness-Abenteuer war ich platt. Ich hatte den schlimmsten Muskelkater meines Lebens, aber den Tag auf meiner Couch zu verbringen, war nicht der Punkt dieser Herausforderung. Trotz der Schmerzen verbrachte ich den Tag damit, mit meinem Freund den neuen Welpen eines Freundes zu betreuen. Schon lange überlegen wir einen Hund zu adoptieren, aber hielten uns damit immer zurück, weil wir Angst haben nicht verantwortungsvoll genug zu sein. Manchmal vergessen wir sogar, dass unser Kühlschrank leer ist, sollten wir uns dann wirklich um ein anderes Leben kümmern?
Überraschenderweise meisterten wir den Tag, ohne große Schwierigkeiten und wir konnten beim Gassigehen sogar endlich mal die Nachbarschaft erkunden. Als wir den Hund zurückbrachten, hatte ich irgendwie das Gefühl, dass unsere Beziehung anders war. Der Hund war unser Pseudo-Kind für einen Tag und auch wenn wir beide nicht einmal annähernd bereit sind eigene Kinder zu haben, war das eine gute Übung für uns. Dieser Tag hat bewiesen, dass wir unsere Routine auch mal über Bord werfen können, um näher zusammen zu rücken.
Für meine letzte Herausforderung entschied ich mich, bis an den Rand meiner Grenzen zu gehen, indem ich mich für einen Nackt-Yoga-Kurs anmeldete. Aber als ich mich auf den Weg dahin machte, dachte ich nochmal darüber nach, was dort auf mich zukam. Letztendlich wurde mir klar, dass ich das wirklich nicht machen wollte. Obwohl es wichtig ist, meine Komfortzone zu verlassen, ist es nun einmal auch genauso wichtig sich selbst treu zu bleiben. Ich wollte nicht in einem Raum voller nackter Menschen Yoga machen. Deshalb ging ich nach Hause und machte meinen eigenen, ganz privaten Yoga-Kurs. Und zugegeben: Auch wenn mich niemand sehen konnte, fühlte ich mich anfangs ziemlich unwohl dabei mich nackt auf einer Matte zu verrenken. Aber als ich den nach unten gerichteten Hund machte und meine Augen schloss, vergaß ich irgendwann einfach, dass ich nackt war und ließ den Tag und meine Zweifel einfach dahinschmelzen.
Als ich mit der Woche anfing, war mein großes Ziel eine bessere Version meiner Selbst zu werden. Jetzt habe ich herausgefunden, dass ich zwar kein neues Ich freigelegt habe, aber dafür Eigenschaften von mir, die in meinem Alltag komplett untergingen. Vorher versperrte ich mich vor neuen Aktivitäten, aber jetzt habe ich ganz neue Hobbys und bin immer bereit neue Dinge auszuprobieren. 

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