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Warum wir wieder öfter bei Freund*innen übernachten sollten

Foto: Ashley Armitage
Erinnere ich mich an die schönsten Erlebnisse meiner Kindheit zurück, kommen mir meist Bilder von Übernachtungen bei meinen Freundinnen in den Kopf – der Kurzurlaub vom öden Teenager-Leben, das ich Daheim führte. Mit Angelina, meiner BFF aus der Grundschule, teilte ich mir das erste Mal ein Bett. Ums eigentliche Schlafen ging es dabei nie wirklich, eher um das Drumherum. 24 Stunden lang gab es keine oder wenige Regeln. Naschen durfte man auch nach dem Abendbrot, Fernsehen sowieso. Irgendwann bauten wir eine Höhle aus jeglichem Mobiliar und Textil, die kurz darauf tobend wieder zerstört wurde. Später dann reger Informationsaustausch über nervige Lehrer*innen, den süßen Jungen aus der Parallelklasse, den schmerzenden Pickel am Kinn und die neuesten Miss Sixty-Jeans. In 100 Prozent aller Fälle endete dies in einem beidseitigen Gackeranfall. Irgendwann kam dann doch die Bitte der Eltern, bald das Licht auszumachen. „Ja Mama, machen wir“, versicherten wir brav – das war natürlich eine Lüge. Um zwei Uhr morgens war immer noch Ramba-Zamba. Ihre Eltern waren eh viel cooler als die eigenen, ihr Kleiderschrank besser sortiert und die fremde Bettwäsche fühlte sich irgendwie weicher an. Alles war so unheimlich aufregend. Das eigene Kinderzimmer Zuhause empfand ich plötzlich als Epizentrum der Langeweile.
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„Mama, darf ich heute bei Angelina schlafen?“

Bevor ich mir mit 16 Jahren das erste Mal mit meinem ersten Freund das Bett teilten durfte, gab es zuvor noch zahlreiche weitere BFF-Bettsharing-Beispiele. Es gab sogar Zeiten, da schlief ich an den Wochenenden oder den Ferien öfter auswärts als im eigenen Bett. Am liebsten bei meiner Stiefschwester und gleichzeitig zweiten besten Freundin, (Angelina war leider mit ihren coolen Eltern in eine andere Stadt gezogen), denn sie durfte sogar in ihrem Zimmer rauchen – so cool! – und hatte einen eigenen Fernseher. Zwar lief dieser den ganzen Abend und zeigte die neueste Folge Gossip Girl, unsere Aufmerksamkeit galt aber eher den exzessiv vielen, offenen MSN-Chatfenstern. Fragen wie was antworten wir jetzt unserem Schwarm? oder wie kommen wir am Wochenende von den Eltern unbemerkt auf die Party von Nadine? beschäftigten uns noch weit über die aktive Modem-Internet-Verbindung hinaus. Morgens machten wir uns zusammen einen Milchkaffee und fühlten uns unfassbar erwachsen…
Nach dem ersten Geschlechtsverkehr war dann aber plötzlich Schluss mit den Übernachtungsdates bei Freundinnen. Höhlen, beziehungsweise Zelte unter der Bettdecke bauten sich fortan andere. Statt stundenlangen Quasselns schauten mein erster Freund und ich uns verliebt in die Augen, bis sie zufielen. Prioritätenwechsel. Dabei war der Sex im Teeniealter bei Weitem nicht so gut wie die Gespräche mit der besten Freundin. Aber es war aufregend, prickelnd und fühlte sich trotz fehlenden Orgasmen so viel besser an, als jeglicher, in Gemeinschaft diskutierter Chat-Verlauf. Ich schiebe die Schuld jetzt mal auf die Hormone! Dann kam das Abi, direkt darauf startete das Studium und ich zog in meine erste eigene Wohnung. Schlaf war zu gleichen Teilen Mangelware wie unwichtig, denn das echte Leben hatte endlich begonnen! Regeln schaffte ich allesamt ab: Naschen nach dem Abendbrot, fernsehen und chatten bis in die späte Nacht, Milchkaffee, rauchen. Alles ging, zu jeder Tages- und Nachtzeit. In den Wohnungen meiner Schulfreundinnen übernachtete ich fortan nur auf dem Sofa. Die Liebe war nun auch bei ihnen eingezogen.
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Wieso hat man aufgehört, bei Freundinnen zu übernachten?

Erst heute, mit Ende 20, zahlreiche Beziehungen (immerhin inklusive sexueller Höhepunkte) und längeren Single-Phasen später, traue ich mich ab und zu wieder, den wohltuenden Balsam der Gesellschaft meiner Girls über Nacht einwirken zu lassen. Trauen – deshalb, weil das, was mal Routine war, eben keine mehr ist. Über die Jahre hinweg hatte sich doch eine Art Hemmschwelle aufgebaut, mein Bett mit jemandem zu teilen – egal ob Männlein oder Weiblein. Affären sollen danach direkt gehen und mich in Ruhe im Seestern-Style schlafen lassen. Die meisten machen das auch ohne Extraaufforderung. Emotionale Vulnerabilität? Fehlanzeige. Irgendwann, während des vermeintlichen Erwachsenwerdens, gestand ich es mir nicht mehr zu, nicht okay zu sein, nicht alles unter Kontrolle zu haben, oder um eine Umarmung zu bitten. Das war auch der Zeitpunkt, als die Übernachtungen aufhörten.
Erst jetzt erkenne ich, wie intim es doch ist, neben jemandem einzuschlafen und aufzuwachen. Und doch: Erlaubt man sich ab und zu wieder das Kindsein, das metaphorische Höhlenbauen, dann fühlt sich das Leben auf eine herrliche Art und Weise wieder unglaublich leicht und aufregend an. Am vergangenen Samstag war es wieder so weit: Nach einer durchzechten Nacht schlief ich bei meiner Freundin. Vielleicht brauchte ich den Alkohol, um mich wieder zu trauen. Am nächsten Morgen bestellten wir viel zu viel Essen für unsere flauen Mägen, schauten Netflix und chatteten bei WhatsApp, Instagram (ja, und Tinder) gleichzeitig, und gackerten wie in Teenie-Tagen, bis die Bäuche schmerzten. Ob vor Lachen oder wegen des Konsums horrender Mengen an Snacks und Käsepizza kann ich nicht genau sagen aber das ist auch egal.
Auch weinen konnten wir zusammen. Ich fühlte mich nach jahrelangem „Mir geht's immer super“-Getue mal wieder so richtig schön emotional nackt. Wovor hatte ich mich so lange gefürchtet? Beim halbstündigen Kaffeetrinken am Mittwochnachmittag können die komplexen Probleme im Job, mit den Eltern und die eigenen, ganz neuen Ängste der späten 20'er Jahre unmöglich en détail besprochen werden. Manches braucht eben eine ganze Nacht und eine Menge Käse.
Es ging bei den Übernachtungen nie um das Wegfallen häuslicher Regeln sondern um das Zwischenmenschliche. Um das zu zweit allein sein. Um die Nähe einer Person bei den trivialsten Dingen des Alltags. Um eine Seelenfreundschaft mit jemanden, den man ohne Worte versteht und umgekehrt. Um echte Selfcare, ohne jegliche Form von Gesichtsmaske. Um Ehrlichkeit, um Zuhören, ums Dasein. Um das Aufwachen neben einem Menschen, den man liebt. Um Geborgenheit und um Vertrauen. Wir sollten definitiv wieder öfter bei Freundinnen übernachten, denn es tut so gut!

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