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Nicht nur 2020: Lasst uns Firmen-Weihnachtspartys bitte langfristig ändern

Hach ja, die Firmen-Weihnachtsparty – die alljährliche Chance, dich für deine betrunkenen Kolleg:innen fremdzuschämen oder dich selbst nach ein paar Drinks zu viel vor allen Anwesenden auf dem Dancefloor zu blamieren. Selbst wenn dir dieser alljährliche Spaß bisher entgangen ist (oder du dich davor gedrückt hast), weißt du dank Film und Fernsehen vermutlich, wie er aussieht: Serien wie The Office oder Mad Men zeigen ganz gut, wie schnell solche feucht-fröhlichen Feiern ins peinliche Chaos abdriften können. (Okay, vielleicht muss das nicht immer so blutig enden wie bei Mad Men, wo eine Sekretärin einem Typen vom Marketing mit einem Rasenmäher versehentlich die Zehen abschneidet.)
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In diesem Jahr ist aber alles anders, und die weihnachtliche Eskalation unter Kolleg:innen wird vielerorts ganz gecancelt oder eben in den Cyberspace verlegt – via Zoom, Google Hangouts, Microsoft Teams, Skype, und so weiter, und so fort. Und so toll die Wunder der modernen Technik auch sein mögen, hängt vielen diese virtuelle Kommunikation nach den vergangenen Monaten ordentlich zum Hals raus. Ganz egal, wie toll deine Internetverbindung nämlich ist – kein Video-Call der Welt kann ein Gespräch ersetzen, dessen Teilnehmer:innen sich alle im selben Raum befinden, und wenn man zu Hause vorm PC sitzt, kommt ganz natürlich nicht dieselbe Stimmung auf wie bei einem Event mit DJ und Dancefloor.
Aber was gibt es schon für Alternativen? Einige Firmen versuchen zumindest, diese Frage etwas kreativer zu beantworten. „Wir haben sonst immer eine Weihnachtsfeier, und weil wir nur 30 bis 40 Leute sind, war es auch nie so schwer, alle samt Partner:innen zu einem Abendessen einzuladen“, erzählt Sarah Sherren. Sarah arbeitet bei der Produkt- und Dienstleistungs-Bewertungsseite Best Company. „Dieses Jahr haben unsere Vorgesetzten aber beschlossen, einfach allen Angestellten zwischen Weihnachten und Neujahr freizugeben. Ich mag gute Firmenfeiern ja eigentlich, aber ganz ehrlich: Urlaub geschenkt zu bekommen, um genau so zu feiern, wie ich will, ist viel schöner als Smalltalk mit Kolleg:innen, die ich nicht sonderlich gut kenne.“
Eine ähnliche Option gab’s für die 29-jährige Terry, die im Marketing arbeitet. „Wir haben zusammen entschieden, dass wir das Geld für eine Weihnachtsfeier stattdessen benutzen, um allen Angestellten einen Geschenkgutschein zu kaufen. Ich finde, das war eine sichere, gerechte Entscheidung“, sagt sie.
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Vor allem, weil Terry – wie viele andere auch – kein großer Fan von Zoom-Treffen ist. Dabei können natürlich auch „echte“ Weihnachtsfeiern ein echtes Fremdscham- und Fettnäpfchen-Minenfeld sein. Rachel, 28, arbeitet in der Politik und hat dazu einige Storys zu erzählen. „Unser Chef verteilte Geschenke an alle. Die Leute, die er aber besonders mochte, bekamen eindeutig die besseren – und mehr – Geschenke“, erinnert sie sich an eine besonders frustrierende Party.
Die 29-jährige Social-Media-Managerin Mallory kann das aber toppen. „Vor ein paar Jahren arbeitete ich in einer PR-Agentur. Zur Weihnachtsfeier ging’s dann zum Dinner und Karaoke“, erzählt sie. „Meine Chefin war extrem betrunken und wollte alle dazu überreden, mit ihr auf die Toilette zu kommen und da zu koksen. Ein paar meiner Kolleginnen gaben nach und machten mit. Ich weigerte mich, ging früh nach Hause und wurde danach monatelang von meiner Chefin dafür verurteilt. Sechs Monate später war ich da weg.“
In einem Punkt sind wir uns wohl alle einig: Häufig sind weder virtuelle noch normale Weihnachtsfeiern wirklich ideal. Das wiederum wirft die Frage auf, ob wir solche Partys überhaupt wiederbeleben sollten, sobald die Pandemie vorüber ist. Sind sie ein veraltetes Konzept, das wir wie Faxgeräte irgendwann aus dem Büro kicken? Wozu sollen sie überhaupt gut sein? Und gäbe es nicht irgendeine Option, sie positiv umzugestalten?
Erica Keswin ist Arbeitsplatz-Strategin und hat ein Buch über die Bedeutung von Arbeitsritualen geschrieben, das im Januar erscheint. Sie meint: Ja, Weihnachtsfeiern sind sinnvoll – vorausgesetzt, sie werden richtig geplant. Laut Erica sind solche Partys „für viele Betriebe die Chance, ihre Angestellten zusammenzubringen und vielleicht sogar deren Partner:innen einzuladen – nach dem Motto: ‚Dein:e Partner:in verbringt so viel Zeit bei uns und arbeitet so viel, dafür wollen wir dir auch danken.‘ Dadurch entsteht auch eine Beziehung zwischen der Chefetage und den Angehörigen der Angestellten. Die Vorgesetzten wollen ja auch, dass sich ihre Angestellten auf die Arbeit konzentrieren können, und dafür brauchen sie von zu Hause den nötigen Rückhalt.“
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Aber ob du nun schon mal deine:n Partner:in zur Firmenfeier mitbringen durftest oder nicht: Allein dadurch, dass solche Partys meist erst nach Feierabend stattfinden, verschwimmt die Grenze zwischen Arbeits- und Privatleben dabei. Das ist natürlich gewollt – aber nicht unbedingt von uns selbst, denn viele wünschen sich diese Grenze explizit. Vor Corona war die Trennung für die meisten Leute sogar eine räumliche: Der Arbeitsweg war nicht nur dazu da, von zu Hause zur Arbeit zu kommen, sondern auch für den geistigen Übergang vom Persönlichen zum Professionellen. Die Arbeitsfeier hingegen will diese beiden Aspekte deines Lebens effektiv miteinander vereinen – und je nachdem, wie sehr du sie ansonsten voneinander fern hältst, kann sich das unangenehm anfühlen.
Daher geben sich viele Angestellten auch Mühe, den privaten Freundeskreis nicht mit Arbeitsfreundschaften zu vermischen. „Es ist zwar schön, mit manchen Kolleg:innen sehr gut befreundet zu sein, aber die lasse ich dann auch in dieser Arbeitssphäre“, meint Rachel. Terry stimmt ihr zu: Eine Kolleg:innenfreundschaft hat ihre Grenzen. „Ich habe tolle, vertrauensvolle Beziehungen auf der Arbeit, würde dort aber trotzdem nichts zu Persönliches von mir teilen“, sagt sie. „Ich bin da sehr vorsichtig. Ich würde zum Beispiel nie meinen Kolleg:innen von meiner Therapie erzählen. Es ist mir nicht peinlich, in Therapie zu sein, aber ich brauche einfach diese Trennung zwischen meinem Privat- und Arbeitsleben. Und manche Teile meines Lebens gehen nur mich was an.“
Erica sieht das etwas anders. „Ich persönlich habe über die Arbeit im Laufe der Jahre echte, tiefe Freundschaften gefunden“, erzählt sie. „Viele von uns verbringen mehr Zeit bei der Arbeit als zu Hause – deswegen fühlen sich einige von ihnen jetzt auch so einsam.“ Und genau daher sind Arbeitsrituale wie die Weihnachtsfeier so wichtig, weil sie der Beziehung zu deinen Kolleg:innen emotionale Ehrlichkeit einhauchen. 
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Daher sollten wir, findet sie, den fehlenden Enthusiasmus gegenüber Firmen-Weihnachtsfeiern auch als Anlass nehmen, um „die Art zu hinterfragen, wie wir arbeiten“, meint Erica. In Bezug auf diese Partys schlägt sie beispielsweise vor, die Freizeit der Angestellten mehr zu respektieren – indem das Event vielleicht während der Arbeitszeit statt im Feierabend stattfindet, und weitestgehend kurz gehalten wird.
„Eine Firma, mit denen ich [für mein Buch] gesprochen habe, fragte mich: ‚Wie können wir die Familien miteinbeziehen?‘“, erzählt sie. „Dazu könnte man zum Beispiel zur virtuellen Party einen Weihnachtsmann einladen, der den Kindern der Angestellten dann in einem anderen Call etwas vorliest. So müsste niemand für die virtuelle Weihnachtsfeier eine:n Babysitter:in buchen.“
Und wenn sich die Chefetage dazu entscheidet, gar nicht erst eine Weihnachtsfeier zu veranstalten, könnten sie das damit gesparte Geld ja einem guten Zweck zuführen, zum Beispiel einer Wohltätigkeitsorganisation. „Warum mit dem Budget nicht etwas Gutes für alle tun?“, fragt Erica. Das würde den Angestellten auch gleich als gutes Beispiel dienen und ihnen zeigen: Hey, du arbeitest für eine anständige Firma.
Und die sollte mit ihren Angestellten auch vielseitig kommunizieren – nicht nur via Zoom. „Es ist wichtig, für jede Message das richtige Medium zu wählen“, erklärt Erica. Wenn du als Chef:in also mit deinem Team in Kontakt stehen willst, solltest du das nicht nur in Form von Video-Calls tun – denn die können sowohl körperlich als auch geistig kräftezehrend sein. „Da entsteht einfach keine gute Bindung“, sagt Erica. Sie schlägt vor, stattdessen verschiedene Kanäle zu nutzen: „Erstellt euch einen Slack-Channel für alles, was nicht mit der Arbeit zu tun hat, und chattet über euren Lieblings-Fußballverein, schickt euch Fotos von euren Hunden, erzählt von euren Kindern. Und telefoniert doch auch einfach mal.“
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Eins der Kapitel in ihrem Buch widmet sich sogenannten „Eatings“ – also Meetings, aber eben mit Essen. Konkret heißt das: Man verabredet sich zum gemeinsamen Essen via Video-Call. Als Beispiel führt sie dabei den Online-Kursanbieter Udemy an, der in einem Ritual namens „Lunch Roulette“ seine Angestellten (freiwillig) zufällig jeden Dienstag zum gemeinsamen Lunch verkuppelt. Und genau dieses Konzept zeigt, was Rituale von Gewohnheiten unterscheidet: die Absicht dahinter. Das Ritual haucht dem Workflow eine gewisse Routine ein und pflegt gleichzeitig die Beziehungen zwischen Kolleg:innen.
Und während Erica zwar davon überzeugt ist, dass wir auch nach Corona ohnehin weniger Zeit im Büro und mehr Zeit im Homeoffice verbringen werden, wo es möglich ist, ist sie sich sicher: Die Pandemie-Homeoffice-Ära haben wir bisher nur deswegen so gut meistern können, weil wir unsere Kolleg:innen und Vorgesetzten größtenteils schon vorher kannten. „Wir leben seit dem Pandemiebeginn von dem Beziehungskapital, das wir uns über Jahre hinweg aufgebaut haben“, meint sie. „Du hast all diese Kolleg:innen, bei denen du dich gerade übers Homeoffice auskotzen kannst, mit denen du drüber lachen und dich dadurch umso besser anfreunden kannst. Aber genau das kannst du vor allem deswegen, weil du sie im Büro kennengelernt hast.“
Letztlich geht es bei einer Firmen-Weihnachtsfeier – wie auch bei einer privaten – ja genau darum: persönliche Beziehungen aufzubauen. „Wenn ich mir eine Corona-Weihnachtsparty wünschen dürfte“, sagt Erica, „dann eine, bei der Dankbarkeit im Zentrum steht. Vorgesetzte sollten diese Chance nutzen, um ihren Angestellten zu danken.“ Und diese Dankbarkeit kann zum Beispiel ein schickes Essen auf Firmenkosten sein, oder vielleicht geschenkte Urlaubstage zum Verschnaufen nach diesem Jahr, aber bitte bloß nicht noch ein Zoom-Call.

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