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Defund the Police: Warum die US-Polizei staatlich definanziert werden sollte

Polizeigewalt mit Todesfolge an BIPoC ist nicht erst seit dem Mord an George Floyd ein Problem in Amerika. Gegen Derek Chauvin, den Polizisten, der Floyd tötete, gab es zum Beispiel schon mindestens 17 Anzeigen wegen Fehlverhaltens im Dienst. Die für den Tod von Philando Castile, Freddie Gray und Terence Crutcher verantwortlichen Beamt*innen wurden entweder freigesprochen oder die Anklage gegen sie wurde fallen gelassen, und die Beamt*innen, die Michael Brown, Alton Sterling und Tamir Rice töteten, wurden gar nicht erst zur Rechenschaft gezogen.
So häufig und regelmäßig wie Polizist*innen damit davonkommen, wenn sie Schwarze Bürger*innen verletzen oder töten, ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass in jeder größeren amerikanischen Stadt als Reaktion auf Floyds Tod Proteste gegen Polizeigewalt ausgebrochen sind. Das ist auch der Grund, warum Aktivist*innen dazu aufrufen, die Polizei nicht zu reformieren oder umzuschulen, sondern ihr die Finanzierung komplett zu entziehen.
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Etwas zu “definanzieren“ bedeutet in der Regel, ihm seine Finanzierung vollständig zu entziehen. Doch auch wenn einige dafür plädieren, die amerikanische Polizei komplett abzuschaffen, fordert die meisten, dass ihre Budgets drastisch gekürzt werden und die Kommunen der Städte und Bundesstaaten einen Teil des Geldes, das normalerweise für die Polizei ausgegeben wird, wieder in Wohnungsbau, Arbeitsplatzsicherung und das Gesundheitswesen zu stecken.
Verständlich, wenn man bedenkt, wie sehr die Budgets der städtischen Police Departments in den letzten 30 Jahren angehoben wurden. Laut Forbes geben die USA inzwischen insgesamt über 100 Milliarden Dollar für ihre Polizei aus (und das, obwohl die Kriminalität im gleichen Zeitraum unabhängig von den erhöhten Budgets zurückgegangen ist). Vor allem in den Jahren seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hat der massive Geldzufluss dazu geführt, dass eine zunehmend militarisierte Polizei geschaffen wurde: Beamt*innen tragen Waffen, die für militärische Einsätze geeignet sind, und fahren gepanzerte Fahrzeuge – zum Großteil liegt das an der militärisch-polizeilichen Ausrüstungspipeline, die einige US-Gesetzgeber*innen mittlerweile abschaffen wollen. Gleichzeitig ist das Verhalten der Polizei aber auch rauer geworden, weil viele Beamt*innen nur noch dazu ausgebildet werden, defensiv zu reagieren und reflexiv aggressive Taktiken anzuwenden, um im Einsatz sicher zu bleiben.
Dass die US-Polizei bis an die Zähne bewaffnet ist, macht aber keinen Sinn, denn es gibt nicht einmal ansatzweise Beweise dafür, dass Zivilist*innen durch eine Aufstockung der Polizeibudgets sicherer sind. Im Gegenteil. Ein Bericht des Center For Popular Democracy aus dem Jahr 2017 fand heraus, dass eine Umverteilung des Geldes, das derzeit für die Polizeiarbeit ausgegeben wird, an “existenzsichernde Lohnzahlungen, Zugang zu ganzheitlichen Gesundheitsdiensten und Behandlungen, Bildungsmöglichkeiten und stabile Wohnungen… weitaus mehr gegen die Kriminalität helfen könnte, als Polizei oder Gefängnisse“.
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Viele Politiker*innen in den USA nehmen diese Empfehlungen ernst. Sie fordern, dass die Städte einen Teil des Geldes, das normalerweise für die Stationierung von mehr Polizeibeamt*innen in Stadtvierteln ausgegeben wird, umverteilen und stattdessen in Programme zur Unterstützung der öffentlichen Gesundheit investieren. Die Bewegung hat bereits wichtige Verbündete in hohen Positionen: Vor fast zwei Wochen twitterte zum Beispiel die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez ihre Kritik am überdimensionierten Budget der Polizei von New York City.
„Wenn man mit dem Etat der Polizei wirklich den Frieden kaufen würde, hätte die New Yorker Polizei ihr Budget von sechs Milliarden Dollar schon längst für eine ausgefeilte Deeskalationsaktion ausgegeben“, schrieb sie. Doch natürlich hat die New Yorker Polizei ihr Geld nicht dafür ausgegeben.
Auch Senatorin Julia Salazar hat sich kürzlich in einem Tweet dafür ausgesprochen, das New Yorker Polizeidepartement zu definanzieren. Dieses verfügt momentan über ein Betriebsbudget von sechs Milliarden US-Dollar – und das wurde seit der Haushaltssanierung von Bürgermeister Bill de Blasio am 19. Oktober 2001 praktisch nicht geändert. Stattdessen mussten das Bildungsministerium der Stadt und das Ministerium für Jugend und Gemeindeentwicklung immer wieder drastische Kürzungen hinnehmen.
„Ich denke, die Versuche, das NYPD zu reformieren, sind gescheitert – Versuche, sogenannte Deeskalationsschulungen anzubieten, Beamt*innen für Notfälle, psychische Erkrankungen und Erste Hilfe auszubilden“, sagte Salazar kürzlich gegenüber dem Online-Magazin The Appeal. „Wenn wir uns ihre Ressourcen anschauen und wie sie sie gewaltsam und rücksichtslos einsetzen, macht das die Argumente für eine Kürzung ihres Budgets und die anschließende Verwendung dieser Mittel für soziale Dienste und gemeindenahe öffentliche Schutzmaßnahmen noch stärker.“
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Diese Ideologie spiegelt sich in ähnlichen Bewegungen wider, die im ganzen Land aufgekommen sind: 2019 setzten sich beispielsweise die Aktivist*innen der in Durham, North Carolina, ansässigen Gruppierung Durham Beyond Policing für eine Verpflichtung der Stadtverwaltung ein, die Einstellung neuer Polizist*innen nicht zu finanzieren. Durch ihre Bemühungen willigte die Stadtverwaltung ein. In ihrer Ankündigung der Entscheidung, den Vorschlag der Gruppe zu unterstützen, schrieb die Bürgermeisterin Jillian Johnson: „Die sichersten Gemeinden haben nicht die meisten Polizist*innen; sie haben die meisten Ressourcen“. Und in Texas, haben Gruppen wie die Austin Justice Coalition (AJC) den Stadtrat gebeten, 1,75 Millionen Dollar aus dem Polizeihaushalt für Rettungskräfte bereitzustellen, so dass Notrufe im Zusammenhang mit psychischen Notfällen von geschulten Teams mit psychiatrischen Kenntnissen statt von der Polizei bearbeitet werden können.
Doch während eine wachsende Zahl von Aktivist*innen darauf hofft, dass die Budgets der Polizei schrumpfen, ergab eine Umfrage, dass die US-Polizei trotz all der Fälle von Gewalt und Fehlverhalten immer noch eine amerikanische Institution ist, die das Vertrauen der Öffentlichkeit genießt. Und mächtige Polizeigewerkschaften und Tarifverträge tragen in vielen Fällen dazu bei, dass Beamt*innen ein eiserner Schutz im Hinblick auf Beschäftigung und Sozialleistungen gewährt wird, was bedeutet, dass die Mauer um die bestehende Polizeiinfrastruktur sehr schwer zu durchbrechen ist.
Doch wie Patrisse Cullors, Mitbegründerin der Black Lives Matter-Bewegung, kürzlich gegenüber der Online-Zeitschrift Nightline erklärte, haben Demonstrant*innen im ganzen Land die „polizeiliche Rechenschaftspflicht“ als ihre fast einzige Forderung eingestuft – und sie werden wahrscheinlich nicht eher ruhen, bis sie sehen, dass sie erfüllt wurde.
„Sie wollen die Verhaftung aller an der Ermordung von George Floyd beteiligten Polizist*innen. Sie wollen keinen Terror mehr haben, keinen Polizeiterror in ihren Gemeinden“, sagte Cullors. „Sie alle wollen eine Entschuldigung. Jede*r will, dass man ihm oder ihr sagt: ,Es tut mir Leid. Was ich getan habe, war falsch. Es war inakzeptabel. Wir werden es nicht wieder tun, und wir werden Folgendes verändern‘.“

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