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Wie uns Social Media den Urlaub versaut

Ich bin alt genug, um mich noch an die Zeit erinnern zu können, als wir alle im Urlaub mit Lonely-Planet-Reiseführern rumliefen. Wenn du in einem Land unterwegs warst, das du vorher noch nie besucht hattest, ging es vor dem Trip erstmal in den nächsten Buchladen, den du dann mit der Reise-Bibel verließt – einem dicken Reiseführer für die jeweilige Region. Geschrieben von einer Handvoll Reise-Redakteur:innen lieferte dir jeder dieser Bände das Grundgerüst deiner Urlaubs-To-Do-Liste: Wo würdest du übernachten? Welche Restaurants solltest du unbedingt ausprobieren? Welche Sehenswürdigkeiten solltest du definitiv abklappern? Und der Rest wurde dann einfach vor Ort improvisiert.
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Heute haben die Lonely-Planet-Bände (oder Marco Polo, und wie sie nicht alle heißen) natürlich immer noch ihre Daseinsberechtigung – und ich liebe dicke Reiseführer-Wälzer, ganz ehrlich –, nur wurden sie irgendwann weitestgehend von Social Media abgelöst. Damit meine ich nicht nur Reise-Influencer:innen, sondern vor allem Location-Hashtags, 30-Sekunden-TikTok-Guides, Top-10-Reiseziele-Reels, und so weiter. Wir scrollen uns geistesabwesend durch einen Post nach dem anderen, manchmal schon Jahre vor unserer eigentlichen Reise, und speichern uns unzählige instagrammable Reise-Hotspots ab. 
Die Urlaubsplanung ist dadurch viel chaotischer geworden. Anstatt uns durch eine mühsam handverlesene Auswahl an Unterkünften zu arbeiten, gilt es jetzt erst einmal, in der Flut aus Fotos und Videos aus shabby-chic-en Motels und/oder Luxus-Airbnbs noch halbwegs den Überblick zu behalten.
Die Liste aus Restaurants, in denen laut Insta schon mal dieser oder jene Promi gegessen hat, ist endlos lang. Aber eigentlich wäre da auch noch dieses eine „Geheimtipp“-Lokal, aus dem der Koch-Influencer letztens was gepostet hat. Und in diese eine Bar mit der durchsichtigen Klotür von TikTok musst du eigentlich auch gehen. Und da musst du dir diesen legendären Margarita bestellen – den weltbesten Cocktail überhaupt, behauptet jedenfalls [beliebte Foodie-Seite hier einfügen]. Und OMG, vergiss bloß nicht das Selfie auf dem pinken Sofa! Das ist perfekt für dein nächstes Tinder-Profilfoto.
Okay, okay. Tun wir mal so, als hätten wir zumindest das Reiseziel und die To-Do-Liste vor Ort geklärt. Damit ist der Stress aber noch nicht vorbei. Während wir all diese Touristen-Hotspots abklappern, machen wir nicht bloß ein Foto, sondern 123 fast identische, damit wir auch ja das eine perfekte Bild bekommen. Dann sitzen wir in einem der besten Restaurants ever und scrollen uns am Tisch durch unsere Fotos, damit wir die besten auswählen und direkt in unsere Story posten können. Alles supercasual, versteht sich. Als hätten wir kaum drüber nachgedacht.
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Versteh mich nicht falsch: Ich verurteile das überhaupt nicht. Ich bin genauso. Das wurde mir bei meiner letzten Thailand-Reise klar – auf meiner ersten seit Corona. 
Es fing schon an, als ich gerade die Flüge gebucht hatte. Ich scrollte mich durch #Samui und #Phuket, nicht auf der Suche nach guten Stränden und guten Shoppingstraßen, sondern den BESTEN Stränden und BESTEN Shoppingstraßen. Ich wünschte mir türkises Wasser, aber ohne Tourist:innen. Nicht die Strände, die alle besuchen – aber auch keine, die niemand kannte. Ich stellte mir also meine perfekte Liste zusammen, als würde mein Urlaub definitiv total beschissen werden, wenn ich nicht alles genau richtig machte.
Als ich dann vor Ort war, kam ich mir vor, als sei ich an mein Handy gekettet. Alles wurde gegoogelt, auf TripAdvisor recherchiert oder per Hashtag gesucht. Ich hatte panische Angst, ein Must-See oder Must-Do zu verpassen. Klar hatte ich meine Liste – aber was, wenn mir irgendwas entgangen war? Wenn ich irgendwo ankam und sich der Ort als Enttäuschung herausstellte, wurde ich immer unruhiger. Wenn ich irgendwo ankam und nicht enttäuscht wurde, verlagerte sich die Unruhe: Ich musste unbedingt das beste Foto hinbekommen!
Das wurde mir besonders klar, als wir gerade in einem Boot um Phi Phi Island herumschipperten. Die Sonne strahlte nach tagelangem Nieselregen zum ersten Mal wieder so richtig; das Wasser war türkisblau, und wir hielten vor einem Strand an, um ein bisschen tauchen zu gehen. Aber konnte ich mich entspannen und einfach mal den Moment genießen? Auf keinen Fall. „Das ist unglaublich“, dachte ich mir. „Ich wäre verrückt, wenn ich hier nicht superviele Fotos und Videos machen würde!“
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Ist dir bewusst, wie viel Content du eigentlich produzierst und konsumierst? Vielleicht – und vielleicht insbesondere seit Corona, als viele von uns kaum etwas anderes zu tun hatten. Manchmal braucht es so einen Aha-Moment. Das kennt auch Jana*. „Mir war nie so richtig klar, wie besessen wir eigentlich davon sind, ‚den Moment‘ festzuhalten und zu posten, bis ich vor ein paar Jahren eine Führung durch das Konzentrationslager in Auschwitz gemacht habe“, erzählt sie. „An dem Ort, an dem eine der größten Gräueltaten der Welt verübt wurde, kullerten mir Tränen übers Gesicht. Um mich herum waren aber so viele Leute, die Selfies machten, vor den Gaskammern posierten und Peace-Zeichen mit den Fingern machten. Das war nicht nur respektlos, sondern echt verstörend.“
Schon eine kurze Suche nach #auschwitz liefert dir ein solches Foto nach dem anderen. Natürlich ist das wohl die extremste Version davon, unsere Reisen auf problematische Art zu verewigen; diese Form von „Schau, ich war wirklich hier!!“-Dokumentation findet sich so aber bei jeder historischen Sehenswürdigkeit. Das ist vor allem dann besorgniserregend, wenn diese Sehenswürdigkeit eigentlich Trauer und Entsetzen hervorrufen sollte. Der Hashtag und die damit verknüpften Bilder spiegeln aber wider, wie absurd unser Bedürfnis danach, alles zu dokumentieren, inzwischen geworden ist.
Wir können scheinbar nicht mal Orte wie Auschwitz besuchen, ohne dabei den Drang zu verspüren, irgendwie zu beweisen, dass wir wirklich da waren.
Ich selbst bin in der Hinsicht auch nicht unschuldig, obwohl ich zumindest behaupten kann, niemals an einem Ort der Trauer süß oder flirty in die Kamera geguckt zu haben. Trotzdem war mir mein Social Content oft schon wichtiger als die Schönheit oder Geschichte einer Sehenswürdigkeit. Ich erinnere mich noch an diese unglaubliche Klippe oberhalb eines beeindruckenden Strandes auf der griechischen Insel Zakynthos. Meine Schwester und ich waren dort hochgewandert und hatten kurz unsere Blicke über den Strand streifen lassen, bevor wir uns in die Schlange der zahllosen anderen Tourist:innen mit Handy einreihten, um das perfekte Foto zu bekommen.
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Ich ließ meine Schwester 50 Fotos von mir in verschiedenen Posen machen – im Sitzen, mit „echtem“ Lachen, ironisch-kitschig posierend. In jeder Sekunde wuchs der Stress. Würde sie das perfekte Bild hinbekommen? Ich scrollte mich durch die 20, die sie schon gemacht hatte. „Mach noch ein paar, mein Kinn sieht komisch aus!“ Also machte sie noch 20. „Noch mehr! Ich hätte gern ein paar natürlicher aussehende.“ Irgendwann war ich zufrieden. Wir waren einen weiteren kurzen Blick auf den Strand und kletterten wieder runter.
Auch Alicia* kennt diese Erfahrung. „Vor meinem Urlaub in Kambodscha war ich besessen mit der Ästhetik von Reise-Blogger:innen und -Influencer:innen“, erzählt sie. „Ich machte mir detaillierte Notizen zu ihren Reisen und Fotos und zog sogar ein hellgelbes Kleid an, als wir uns den goldenen Tempel in Phnom Penh anschauten.“
Alicia bekam also das Foto – doch fragt sie sich heute, ob es das wert war.
„Damals fühlte sich das richtig gut an“, sagt sie. Sie erinnert sich aber, wie sehr sie der Druck, dieses perfekte Bild zu bekommen, während der ganzen Tour durch den Tempel belastet hatte. „Ich bekam das Foto am Ende der Führung. Vorher hatte ich aber die ganze Zeit gedacht: Ich muss unbedingt dieses eine Bild machen. Dadurch konnte ich mich beim Sightseeing nicht so richtig auf die tatsächliche Führung einlassen.“
Was ist eine Reiseerfahrung wert, wenn du viel mehr damit beschäftigt bist, sie zu dokumentieren? Eine ähnliche Frage lässt sich im Kontext vieler Social-Media-Posts stellen. Ist eine Verlobung noch genauso romantisch, wenn du vier Familienmitglieder um dich herum hast, die jede Sekunde filmen und knipsen, damit du für Insta das perfekte Ring-Foto bekommst? Unsere Absichten sind meistens gut – zumindest zu Beginn. Wir wollen unsere schönsten Momente mit unseren Liebsten teilen. Irgendwann wird daraus aber die beste Version unserer schönsten Momente.
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Ist dieses dringende Bedürfnis nach Social-Media-Perfektion in unserem digitalen Zeitalter völlig okay? Oder ist sie eher toxisch und unangenehm? 
Ich persönlich finde: Letzteres. Gleichzeitig weiß ich, dass mich das zur absoluten Heuchlerin macht. Ich empfinde ja selbst das extrem starke Bedürfnis, alles dokumentieren zu wollen – und hasse es. Ich male mir manchmal aus, ohne Handy in den Urlaub zu fliegen – oder Instagram und TikTok zumindest zu löschen, bis ich wieder zu Hause bin. Und trotzdem kommt es dazu nie. Selbst wenn ich mein Handy im Hotelzimmer lasse, schnappe ich mir einfach das von meinem Freund, um dann doch ein paar Fotos zu knipsen.
Insofern: Ja, meine Beziehung mit Social Media vor, während und nach einem Urlaub ist abstoßend. Aber werde ich mich jemals ändern? Wir dokumentieren immer mehr von unserem Leben online – TikTok und BeReal ermutigen uns sogar dazu, selbst die banalsten Aspekte unseres Alltags zu verewigen. Ich bezweifle daher, dass wir in nächster Zeit darauf verzichten werden, gerade die aufregendsten Erlebnisse zu filmen.
Trotzdem wünschte ich mir manchmal, ich könnte das. Ich bin alt genug, um mich noch an die Prä-Smartphone-, Prä-Social-Media-Ära erinnern zu können, in der es keine Online-Ablenkungen gab – zumindest nicht rund um die Uhr. Ich vermisse diese Zeit. Manchmal fühle ich mich dorthin zurückversetzt, wenn nach einem halben Urlaubstag der Handy-Akku plötzlich leer ist und ich dazu gezwungen bin, einfach mal nur im Hier und Jetzt zu leben.
Das kam während meines Thailand-Trips genau einmal vor. An diesem Tag landeten wir dann in einem etwas runtergekommenen Restaurant am Fluss, tranken Bier für 2 Euro und schauten uns einfach die Leute an. Das war eines der Highlights des ganzen Urlaubs. Es war so befreiend.
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Ich wünschte, darauf könnte ich mich auch einlassen, ohne dass dafür erstmal meinem Handy der Strom ausgehen muss.
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