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Hör bitte damit auf, dich zu verstellen, weil du Geld hast

Foto: überAnna Jay.
Neulich war ich mit einer Freundin in einer Bar und sie sah umwerfend aus. Wir saßen draußen und tranken beide ein kaltes Bierchen. Der Abend war ruhig und das Wetter mild, wie es nach einem heißen Tag eben so ist, und ich erwähnte, dass ich ihren Pullover toll fand. Das Teil saß locker, war gestrickt und so aus aus, als hätte sie es einfach lässig übergeworfen, bevor sie das Haus verließ. Sie beugte sich vor und ihre Sommersprossen schimmerten. „Das liegt daran, dass er sehr, sehr teuer war“, sagte sie, und ich schnaubte lachend, weil Leute selten so ehrlich sind.
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Später schwelgten wir in Erinnerungen an unsere Teenie-Zeit. Ihre Eltern hatten mir einmal eine gemeinsame Reise nach Italien bezahlt. Wir hatten eine wunderbare Zeit, schwammen im Mondschein und tunkten Brot in Olivenöl. Ich sagte, dass das im Nachhinein betrachtet wirklich nett von ihnen gewesen war, da sie das echt nicht hätten tun müssen. „Das liegt daran, dass sie reich sind“, sagte sie und zuckte mit den Schultern. „Und großzügig.“ Wir stießen an und ich dachte mir: „Ich hoffe, dass ich genau so großzügig sein werde, wenn ich einmal reich bin. Ich hoffe, dass auch ich eines Tages die Freund:innen meiner zukünftigen Kinder mit nach Italien nehmen kann.“
An diesen Abend denke ich immer noch, weil ich die Unterhaltung so erfrischend und lustig fand. So oft verhalten sich Menschen aus reichem Hause auf eine seltsame und dubiose Weise, wenn es um Geld geht. Sie sagen, dass sie pleite sind, obwohl sie Tausende von Euro auf dem Sparkonto haben. Sie erwähnen nicht, dass das Haus, in dem sie wohnen, eigentlich ihren Eltern gehört. Sie sprechen so über Geld (oder tun es absichtlich nicht), als ob sie befürchteten, die andere Person würde aufstehen, auf sie zeigen und schreien: „Deine Eltern haben dein Studium finanziert? Hau ab!“ Was dir bleibt, ist dich in einer merkwürdigen Situation zurechtfinden zu müssen, in der nichts so ist, wie es scheint, und alles ein Geheimnis ist.
Natürlich ist niemand dazu verpflichtet, seinen finanziellen Hintergrund offenzulegen oder einer anderen Person sein Vermögen unter die Nase zu reiben. So hilfreich es sein kann, wenn Menschen offen über ihr Gehalt sprechen, kann es auch sein, wenn Personen einfach ehrlich sind, wenn es um den Wohlstand ihrer Familie geht. Aus reichem Hause zu stammen, ist kein Werturteil oder eine Form moralischen Versagens, es bedeutet nur, dass die Person in Frage einen kleinen Vorsprung im Leben hatte, weil unsere Gesellschaft nun mal beschissen und so aufgebaut ist. Wenn du hörst, dass reiche Menschen ihren Reichtum herunterspielen, fühlt es sich ein bisschen so, als würden sich dünne Menschen nach einem üppigen Mittagessen darüber beschweren, dass sie sich „fett“ fühlen – das sind aber zwei Paar Schuhe. Es gibt nämlich einen großen Unterschied zwischen der Art und Weise, wie sich etwas anfühlt und wie es sich konkret auf das Leben anderer Menschen auswirkt.
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Diese Vorstellung, dass du nicht zu deinem Wohlstand stehen solltest oder es nicht erkennbar sein soll, dass du reich bist, ist in der Tat ein tief verwurzelter Glaube bei vielen reichen Menschen, der sich in ihrer Kommunikationsweise widerspiegelt. Wahrscheinlich hast du zum Beispiel schon einmal den Begriff „neureich“ gehört. Er wird verwendet, um diejenigen zu beschreiben, die sich ihren Reichtum erarbeitet und nicht vererbt bekommen haben. Der Begriff wird oft auf Menschen angewandt, die ungeschickt mit ihrem Reichtum umgehen und Dinge kaufen, die offenkundig teuer sind, anstatt unauffällig und diskret zu sein. Denn nichts schreit mehr nach „Geld“, wie so zu tun, als hättest du es nicht, sei es durch Verschwiegenheit oder Minimalismus. Es ist irgendwie seltsam, wenn du genau darüber nachdenkst. Diese Menschen verbringen so viel Zeit damit, etwas zu schützen und zu erwerben, über das sie nicht sprechen können und das immer nur angedeutet wird, wie ein subtiles Zwinkern unter Freund:innen.
Ich frage mich manchmal, ob Menschen, die reich sind, sich deswegen seltsam verhalten, weil sie sich schuldig fühlen oder sich dafür schämen, privilegiert zu sein. Vielleicht denken sie, dass sich anderen unbehaglich oder „weniger wert“ fühlen, wenn sie offen über ihren Reichtum sprechen, obwohl das genaue Gegenteil der Fall ist. Es ist ein bisschen so, wie wenn Heteros ihr Heterosein herunterspielen und Dinge sagen wie: „Ich wünschte, ich wäre lesbisch, haha.“ Sag einfach, dass du Männer liebst! Gib zu, dass du sie sexy und anziehen findest und dass du durch und durch heterosexuell bist! Um es mit den Worten von Lisa Rinna zu sagen: „Steh dazu!!“
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Ich stamme nicht aus reichem Hause. Jetzt, mit fast 30, habe ich aber ein richtiges Erwachsenengehalt und kann mir Sauerteig, Strauchtomaten und Seife von Aesop leisten, die nach Orangen und Lavendel duftet. Ich fantasiere gerne darüber, worauf ich möglicherweise sparen könnte. In Zukunft würde ich mir gerne die Lippen aufspritzen lassen, auch wenn das nicht unbedingt billig ist. Und wenn andere mir dann Komplimente zu meinen neuen, umwerfenden Lippen machen werden, werde ich sagen: „Danke, sie haben 450 Euro gekostet.“ Denn warum lügen? Warum laufen alle herum und verstellen sich und stehen nicht zu dem, wer sie wirklich sind? Wem genau nützt das?
Und in der Zukunft, wenn ich nach mehreren Buchverträgen in Geld schwimme (haha), werde ich Leute auf eine Reise Italien einladen und wir werden im Mondschein schwimmen und unser Brot in Olivenöl tunken, und die anderen werden sagen, dass das eine nette Geste von mir war.
„Das liegt daran, dass sie reich ist“, werden andere antworten. „Und großzügig.“
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