Sobald ich so richtig ins Erwachsenenleben eintauchte, verlor ich meine frühere Nach-Schulschluss-Routine komplett aus den Augen. Tanzen und Theater? Damit war jetzt Schluss. Stattdessen arbeitete ich in Vollzeit, ging höchstens noch ab und an mit Freund:innen in eine Bar, und verbrachte dann den Rest des Abends am Handy.
Im letzten Sommer beschloss ich aber, mich endlich mal wieder an organisiertem Spaß zu versuchen. Also fing ich an, nebenbei ab und zu Yoga zu machen, um auf gesunde Art ein bisschen Dampf abzulassen. Ich habe eine eher lockere Beziehung zum Yoga; das bedeutet, dass ich meine Matte immer noch nur ganz hinten im Raum ausrolle, nicht die richtigen Sanskrit-Begriffe für die Posen kenne und meistens einfach nur die Person vor mir nachmache. Aber genau das hilft mir dabei, wirklich dranzubleiben: Ich mache mir keinen Druck.
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Der 28-jährigen Refinery29-Redakteurin Esther Newman geht es genauso: Sie hat mit dem Sticken angefangen, ohne den Druck, unbedingt besser darin werden zu müssen – und das hat sich positiv auf ihre mentale Gesundheit ausgewirkt. „Ich finde es total beruhigend und es hilft mir, meine innere Unruhe abzubauen. Vor allem, weil es etwas Greifbares ist, das nichts mit einem Bildschirm zu tun hat“, erzählt sie. „Ich mag es, etwas Kreatives und Künstlerisches zu machen, das nur mir gehört, und das ich von niemandem bewerten lassen muss. Nur ich entscheide darüber, ob und wie ich es mache.“
Viele andere gehen ein Hobby aber eher mit der Einstellung „ganz oder gar nicht“ an. Genau deswegen halten Hobbys im Erwachsenenalter aber auch häufig nicht allzu lange; die Arbeit, das Familienleben oder fehlende Motivation kommen einem Hobby nämlich leicht in die Quere. Noch dazu empfinden viele den gesellschaftlichen Druck, ein solches Hobby möglichst schnell zu „meistern“. Wie oft hast du schon jemanden erzählen hören, er oder sie wolle gerne mit dem Laufen anfangen – um beim nächsten Halbmarathon antreten zu können? Die Vorstellung, dass du nicht alles perfekt beherrschen musst, scheint in unserer erfolgsfokussierten Gesellschaft fast undenkbar geworden zu sein.
Aber warum können Hobbys denn eigentlich nicht bloß… Spaß machen? In einer Welt, in der wir dauernd auf die Uhr und unser Handy starren und daran arbeiten, unseren Lebenslauf zu ergänzen, sollten uns unsere Hobbys dann nicht einfach entspannen? Laut der Therapeutin Rose Fisher macht es nämlich nicht nur mehr Spaß, ein Hobby ganz relaxt anzugehen, sondern ist auch noch Balsam für unseren Geist. „Ein lockeres Hobby anzufangen, das dir schlichtweg Spaß macht, ist so wichtig für unsere geistige Verfassung“, erklärt sie. Dadurch erreichen wir nämlich einen „Flow-Zustand“: Wenn wir uns auf eine einzelne Aufgabe konzentrieren, leben wir in diesem Moment ganz im Hier und Jetzt und lösen uns von irgendwelchen Unsicherheiten.
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Das wiederum hilft uns dabei, unser grübelndes Hirn zu beruhigen. „Die Aktivität im präfrontalen Kortex lässt nach, wenn du diesen ‚Flow‘ erreichst. Das verleiht uns mehr Kreativität und erlaubt es uns, unseren Gedanken freien Lauf zu lassen“, ergänzt Fisher.
Obwohl sich dieses Konzept für unsere überstimulierten Gehirne vielleicht merkwürdig anhört, ist es durchaus okay, ein Hobby zwischendurch auch mal ruhen zu lassen und dann fortzuführen, wenn die Lust darauf wieder stark genug ist. Bloß, weil wir Zeit in etwas investiert haben, müssen wir uns nicht dazu zwingen, es weiter „durchzuziehen“. Die Vorstellung, uns etwas vollkommen hingeben und darin Ziele erreichen zu müssen, ist genau das, was uns aus dem erwünschten „Flow“ zerrt. Dadurch entsteht eine unnötige Erwartungshaltung, und wir fühlen uns schuldig, wenn wir die uns selbst gesteckten Ziele nicht erreichen.
Das Ganze also stattdessen als Spaß und Erkundung zu betrachten, hat auch der 27-jährigen Ruby Baker geholfen. Sie hat letzten Monat mit dem Klavierspielen begonnen. „Ich liebe es einfach, Neues zu lernen. Dabei mache ich mir keinen Druck, und ich komme dabei auf andere Gedanken“, sagt sie. „Ich bin eine ziemliche Perfektionistin. Es tut mir deswegen sehr gut, mal was zu probieren, was ich nicht kann, und drüber zu lachen. Dadurch höre ich auf, mich selbst zu verurteilen und zu kritisieren, und ich erinnere mich daran, dass es in Sachen Kunst kein ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ gibt.“
Einer der Hauptgründe dafür, warum sich Hobbys für viele von uns plötzlich anfühlten wie Arbeit, liegt vor allem am Aufstieg des „Side Hustle“, der Nebeneinkünfte. Durch den nicht enden wollenden Corona-Lockdown – und die zahllosen TikToks, in denen zum Beispiel das Häkel-Hobby zur Geldquelle gemacht wurde – hat die Gelegenheit, das Hobby zum Job zu machen, dafür gesorgt, dass viele von uns keine Freude mehr daran empfinden. „Einer Leidenschaft eine finanzielle Last oder zu hoch gesteckte Ziele aufzudrücken, kann sich negativ auf unser Gefühl der Erfüllung davon auswirken. Dann beschäftigst du dich damit nämlich nicht mehr bloß aus Spaß“, erklärt Fisher.
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Bloß, weil mir Yoga als lockeres Hobby viel Freude macht, habe ich nicht den Druck, mich da total reinhängen zu müssen. Leider sorgen die gestiegenen Lebenshaltungskosten dafür, dass wir uns schnell einreden, eine Aktivität müsse produktiv sein, damit sie sich auch wirklich lohnt. Genau das raubt uns aber den Spaß daran oder verhindert, dass wir ein Hobby überhaupt erst anfangen.
Deswegen hat sich die 29-jährige Mary Mandefield auch vorgenommen, dass sie das Bouldern – ihr neuestes Hobby – ganz entspannt angeht. „Ich bin fest davon überzeugt, dass du kein Geld mit dem verdienen solltest, was du wirklich liebst. Sobald etwas nämlich zu einem Job oder einer ganzen Karriere wird, kann es passieren, dass es dir weniger Spaß macht. Ich war früher Tanzlehrerin, und so sehr es mir auch gefiel, mit dem Tanzen ein bisschen Geld zu verdienen, wurde mir schnell klar: Wenn ich das Tanzen mit Versicherungen, Werbung und Datenschutz verbinden muss, macht es mir direkt weniger Spaß“, erzählt sie.
„Es ist so wichtig, Erfahrungen zu machen, die nichts mit dem Erreichen von Zielen zu tun haben, oder damit, dich selbst zu beweisen oder zu ‚gewinnen‘“, betont auch Fisher. „Solche Aktivitäten erinnern uns nämlich daran, dass unser Wert nicht davon abhängt, was wir tun können – und daran, dass wir uns nicht in jedem Lebensbereich als beeindruckend, wertvoll oder nützlich beweisen müssen.“
Die 24-jährige Georgina* musste das selbst erst lernen. Sie war früher jeden Tag Joggen; heute geht sie das Ganze entspannter an und sagt selbst, dass ihre Beziehung zu dem Hobby dadurch deutlich besser geworden ist. „Es kam mir immer wie eine Aufgabe vor. Ich dachte mir: Wenn ich auch nur einen Tag aussetzte, war der ‚verschwendet‘, weil ich nicht meine fünf Kilometer gerannt war“, erzählt sie. „Heute laufe ich nicht mehr, weil ich es mir vorgenommen habe, sondern nur dann, wenn ich es brauche. Ohne den Druck, besser werden zu müssen, macht es mir wirklich Spaß. Diese Magie will ich mir selbst nicht versauen. Es ist so schön, etwas für dich selbst zu tun, ganz ohne Druck – ob nun von innen oder außen.“
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Obwohl es eine Weile dauern kann, bis du dich wirklich von deinem Erfolgs-Mindset gelöst hat, ist es schon ein toller erster Schritt, ein Hobby weniger als Routine zu betrachten. Laut der Therapeutin Rosalind Miles spielt dabei auch der soziale Aspekt eine große Rolle. „Hobbys bringen häufig Leute mit ähnlichen Interessen zusammen. Indem du dich einem Verein oder einer Gruppe anschließt, wo man dein Hobby teilt, entsteht ein Gefühl von Gemeinschaft. Gleichzeitig hast du dadurch die Chance, neue Freundschaften zu knüpfen.“
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Es ist so wichtig, Erfahrungen zu machen, die nichts mit dem Erreichen von Zielen zu tun haben, oder damit, dich selbst zu beweisen oder zu „gewinnen“.
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Im Januar wird häufig davon geredet, was wir in diesem Jahr „erreichen“ wollen. Wenn du dir eine Aktivität vorgenommen hast, bleibst du vielleicht am ehesten langfristig dabei, indem du dieses Hobby nach dem Motto „Wann immer ich Lust darauf habe“ angehst. Lass dich nicht von der Angst, nur mittelmäßig gut in etwas zu sein, nicht davon abhalten, etwas Neues auszuprobieren. Es ist immer besser, etwas kurz, dafür aber mit viel Spaß zu machen, anstatt uns komplett davor zu drücken, bloß weil wir befürchten, darin nicht „erfolgreich“ zu sein.
Ich jedenfalls habe mir vorgenommen, mich an Inlineskating auszuprobieren. Und ich hoffe, dass mich dabei mehr Gelächter als Schmerz erwartet.