Juli 2019 im französischen Lyon: Die USA hatten gerade die Niederlanden im Finale der achten FIFA Frauen-Weltmeisterschaft gewonnen, nach zwei Toren von Megan Rapinoe und Rose Lavelle. Das Stade de Lyon, das 57.900 Zuschauer:innen fasst, war voller feiernder Fußball-Fans. Aber sehr schnell wurde aus dem Siegesjubel etwas anderes. „Equal pay! Equal pay! Equal pay!“, riefen die Fans auf den Tribünen. Ein Reporter der New York Times, Andrew Keh, saß selbst im Publikum und twitterte, der Gesang sei „ohrenbetäubend“ gewesen.
In den vier Jahren, die mittlerweile zwischen dieser WM und der jetzigen liegen, die am 20. Juli begann, haben es die Frauen-Teams immer noch nicht geschafft, sich das gleiche Gehalt wie ihre männlichen Pendants zu erkämpfen. Bei der aktuellen WM, laut einer Analyse von CNN, bekommen die Spielerinnen etwa ein Viertel von dem, was die Spieler der Männer-WM 2022 bekamen. Das ist aber sogar eine Verbesserung gegenüber 2019: Da verdienten die Frauen im Vergleich zu jedem Dollar, den die Männer bekamen, nämlich nur acht Cent.
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Die größte positive Veränderung seitdem ist die Entscheidung der FIFA, das Preisgeld direkt an die individuellen Spielerinnen auszuzahlen. Jedes Mitglied des siegreichen Teams nimmt demnach 270.000 Dollar (umgerechnet etwa 247.000 Euro) mit nach Hause, und alle Spielerinnen, die in der Gruppenphase und den darauffolgenden Spielen antreten, bekommen mindestens 30.000 Dollar (rund 27.500 Euro). Das war aber kein Akt der Großzügigkeit seitens der FIFA, sondern das Ergebnis der Bemühungen von Spielerinnen aus aller Welt, die sich fernab ihrer Rivalitäten auf dem Fußballfeld zusammenschlossen, um gemeinsam für ihre Rechte zu kämpfen.
Im Oktober 2022 schickte die Fußballer:innen-Gewerkschaft FIFPRO also im Namen der Spielerinnen einen Brief an die FIFA. Er trug die Unterschriften von über 150 Spielerinnen aus 27 internationalen Mannschaften.
„Viele Spielerinnen bei der WM kommen als Amateurinnen oder Halbprofessionelle in das Turnier. Das bedeutet aber, dass ihnen nicht dieselbe Vorbereitung möglich ist, die den Männer-Profis zukommt – und eben auch, dass die Qualität auf dem Platz nicht dieselbe ist“, stand in dem Brief, schrieb der britische Guardian. „Viele Spielerinnen haben keine Vereinbarung mit ihren Mitgliedsverbänden geschlossen, die ihnen eine faire und gleichberechtigte Behandlung versichern würde – inklusive einer garantierten WM-Vergütung, zum Beispiel, als Teil des WM-Preisgelds.“
„Unabhängig davon, wie groß das verfügbare Preisgeld ist, bekommen die Spielerinnen daher keinen Anteil dessen, was sie sich auf dem Spielfeld verdienen – keinen Anteil, der ihre Karrieren und ihren Lebensunterhalt unterstützen würde. Das gilt vor allem für alle WM-Spielerinnen, die immer noch nicht professionell, also hauptberuflich, spielen.“
Die erwähnten „Mitgliedsverbände“ sind die Organisationen, die Nationalteams fördern. Bis vor Kurzem ging das Preisgeld einer WM an diese Verbände, ohne Garantie dazu, wie viel die jeweiligen Spielerinnen davon abbekommen würden – wenn überhaupt etwas.
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„Jetzt gehen 30 Prozent des gesamten Preisgelds aber an die Spielerinnen, die es allein schon in die Gruppenphase schaffen“, erklärt Dr. Alex Culvin, Head of Strategy and Research (Women’s Football) bei FIFPRO. „Für viele der Spielerinnen ist das absolut lebensverändernd. Sowohl wirtschaftlich, als auch hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter.“
Laut Culvin ist das für den Frauenfußball eine Chance, zu einem professionelleren Sport zu werden, und das in aller Welt. Aktuell wird dem Frauenfußball in verschiedenen Ländern nämlich noch ein völlig verschiedener Stellenwert zugeordnet. In manchen Nationen ist es Frauen nicht mal erlaubt, überhaupt Fußball zu spielen. Aber selbst in Ländern, in denen es immer mehr Frauen-Teams gibt, wird der Sport nur vergleichsweise wenig finanziell gefördert. Daher können es sich nur weniger Spielerinnen leisten, Vollzeit-Fußballerinnen zu sein – selbst, wenn sie bereits auf internationaler Ebene antreten. Das verfügbare Geld beeinflusst nämlich alles, von der Zeit fürs Training bis hin zum Standard der Ernährung und Unterbringung der Spielerinnen bei Auswärtsspielen.
„Diese Änderung dahingehend, wohin das Preisgeld fließt, ist auch wichtig dafür, wie der Frauenfußball öffentlich anerkannt wird“, meint Dr. Ali Bowes, die an der Nottingham Trent University Sportsoziologie unterrichtet. „Die Fußballorganisationen sollten sagen: Okay, lasst uns akzeptieren, dass diese zwei Sportarten – Männer- und Frauenfußball – an unterschiedlichen Punkten begonnen haben. Wir schätzen sie aber beide gleich, oder bewegen uns zumindest in diese Richtung, und wollen das auch finanziell widerspiegeln.“
Der andere Vorteil der Änderung ist der, dass er die Verbindung zwischen den Fußballerinnen und ihren Fans stärkt. Sam Mewis, Mittelfeldspielerin des US-amerikanischen Teams, schrieb in The Athletic über den Kampf um gleiche Bezahlung, ihre eigenen Erfahrungen während der letzten WM und darüber, wie dankbar sie für den Support sei, den die Fans den Spielerinnen entgegenbrachten. „Dieses Team außerhalb des tatsächlichen Teams hat unsere Message verbreitet, selbst während wir uns auf das Turnier konzentrierten“, schrieb sie. „Wir, als Spielerinnen, konnten trotz dieses Drucks spielen und uns letztlich den Sieg sichern, der einen starken Einfluss auf den öffentlichen Support für unsere Forderung hatte. Während des Turnier hätte uns ein falsches Wort vielleicht jede Menge Wut eingebracht. Aber durch den Sieg wurde jedes unserer Worte nur noch mächtiger.“
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Letztlich sind die internationalen Teams aber in gewisser Hinsicht auch auf sich allein gestellt. In den USA spielte das Frauen-Team gegen Ende 2022 eine entscheidende Rolle in der Kreation und Verabschiedung des Equal Pay For Team USA Act. Dieses Gesetz garantiert gleichen Lohn und gleiche Benefits für Sportlerinnen, die in internationalen Frauen-Turnieren antreten – und das gilt für über 50 Sportarten. Im Vereinigten Königreich verkündete die UK Football Association, dass das englische Frauen-Fußballteam, die Lionesses, von nun an vergleichbar bezahlt würde wie die Männer. „Equal pay for equal play“ gilt inzwischen auch in Norwegen, Costa Rica, Neuseeland, Australien, Irland, Spanien und in den Niederlanden.
Klingt erstmal gut – doch sind die Arbeitsbedingungen in vielen Ländern, selbst in den eben genannten, oft noch nicht ideal. Im letzten Herbst schrieben zum Beispiel 15 spanische Nationalspielerinnen in individuellen E-Mails an die nationale Fußballorganisation, die Real Federación Española de Fútbol, sie würden nicht für das Nationalteam spielen. Diese Entscheidung begründeten sie mit ihren Sorgen um ihre mentale Gesundheit und Kritik am Cheftrainer Jorge Vilda. Auch auf Club-Ebene gibt es weiterhin viele Ungerechtigkeiten. Diesen Juli demonstrierten daher auch 300 Spielerinnen aus Uruguay auf der Straße für bessere Arbeitsbedingungen und -rechte.
Der FIFA-Deal ist dennoch ein wichtiger Schritt. „Darauf können wir alle wirklich stolz sein“, meint Culvin. „Ich bin stolz auf die kollektive Solidarität der Spielerinnen, und auf ihren Mut – denn sowas wurde bisher nie gewagt. Der Aktivismus und die Solidarität sind heute ein großer Bestandteil vom Frauenfußball, und im Männerfußball existiert beides nicht zwangsläufig genauso. Das liegt daran, dass die Frauen schon immer am Rand spielen mussten. Sie wurden immer diskriminiert, und mussten für jeden noch so kleinen Fortschritt kämpfen. Und sie sind wirklich gute Spielerinnen.“
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Der Preisgeld-Deal macht einen riesigen Unterschied für alle Spielerinnen – ob nun aus Argentinien oder aus Sambia. Er bedeutet zwar noch keine komplette Gerechtigkeit, und es ist weiterhin viel Luft nach oben, aber wie Culvin betont: „Es führt kein Weg zurück. Von jetzt an geht es nur nach vorne.“ Dieses Jahr betritt daher jedes Team in dem Wissen das Feld, dass sie zwar auf sportlicher Ebene gegeneinander antreten, danach aber wieder Seite an Seite kämpfen. Und ihre Fans im Publikum wissen, dass ihre ermutigenden Gesänge tatsächlich etwas bewirken können.
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