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Warum wir immer noch kein Heilmittel für Endometriose haben

Foto: Ashley Armitage.
Endometriose ist alles andere als eine seltene Krankheit: Schätzungen zufolge betrifft sie zwischen 8 und 15 Prozent aller Menschen mit Gebärmutter zwischen der Pubertät und den Wechseljahren. Und trotzdem gibt es kaum etwas, was Betroffene dagegen unternehmen können – bis jetzt. Eine Studie macht nämlich Hoffnung: Ein Medikament gegen Prostatakrebs könnte ihr zufolge zur Behandlung der Endometriose genutzt werden. 
Die Studie, veröffentlicht in der Zeitschrift The Lancet, ergab, das Medikament (Relugolix) könne moderate bis schwere Endometrioseschmerzen „deutlich abmildern“. Das heißt: Betroffene einer Krankheit, die derzeit noch deprimierend unterbehandelt und untererforscht ist, könnten womöglich in nicht allzu ferner Zukunft ein Mittel gegen ihre Schmerzen bekommen.
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Diese Nachricht könnte ein echter Gamechanger sein – und den Alltag von Millionen von Menschen revolutionieren, die unter ihrer Endometriose leiden. Und zu denen zähle auch ich.
Ich erhole mich gerade von meiner achten Endometriose-OP innerhalb von zwölf Jahren. Ohne andere gute medizinische Optionen waren diese Operationen bisher meine einzige Möglichkeit, die Schmerzen und die Krankheit irgendwie halbwegs unter Kontrolle zu bekommen. Wenn dieses Medikament bald für Patient:innen wie mich verfügbar würde, könnte sich alles verändern.

Ich erhole mich gerade von meiner achten Endometriose-OP innerhalb von zwölf Jahren. Ohne andere gute medizinische Optionen waren diese Operationen bisher meine einzige Möglichkeit, die Schmerzen und die Krankheit irgendwie halbwegs unter Kontrolle zu bekommen.

Aber lass mich kurz zurückspulen, denn vielleicht weißt du gar nicht genau, was Endometriose eigentlich bedeutet. Dabei handelt es sich um eine entzündliche Erkrankung, bei der sich Gewebe, das dem der Gebärmutterschleimhaut (Endometrium) ähnelt, auch außerhalb der Gebärmutter verbreitet. Diese endometriumsähnlichen Zellen sorgen für Entzündungen und Blutungen im Körper, die wiederum zu heftigen Schmerzen führen können.
Es gibt derzeit kein Heilmittel gegen Endometriose – und tatsächlich nicht mal eine nicht-invasive Möglichkeit, die Krankheit überhaupt zu diagnostizieren. In anderen Worten: Es erfordert sogenannte laparoskopische Chirurgie, um die Endometriose zu bestätigen, und damit nicht genug. Um die Krankheit zu behandeln, werden in den meisten Fällen weitere Operationen angesetzt, bei denen das wuchernde Gewebe im Beckenbereich chirurgisch entfernt wird. 
Ich spreche hier von Operationen im Plural, weil viele Patient:innen – auch ich – sich dabei mehreren OPs unterziehen müssen, da die Entfernung meist nur eine temporäre Hilfe ist. Das Gewebe wächst häufig nach, und kann auch schwerwiegendere Konsequenzen als „nur“ Schmerzen haben. Durch die Wucherungen kommt es womöglich zur Bildung von Zysten, die sich wiederum auf die Funktionen der Organe im Beckenbereich auswirken können. Das Gewebe kann außerdem wie eine Art „Kleber“ dafür sorgen, dass die Organe aneinanderhängen. Das erfordert dann eventuell Notoperationen. Die 30-jährige US-Amerikanerin Aubrion Rogers starb in diesem Jahr sogar nach einer dringend nötigen Endometriose-OP, nachdem ihr mehrmals von Mediziner:innen die Behandlung verwehrt worden war.
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Du merkst also: Die Endometriose ist eine ernstzunehmende Krankheit – und trotzdem weiterhin nur wenig erforscht. Kein Wunder, dass es demnach auch viele Jahre dauern kann, bis Betroffene überhaupt die offizielle Diagnose bekommen. In Deutschland sind es durchschnittlich 10,4 Jahre.
Eine weitere tragische Tatsache: Immer mehr Forschende gehen davon aus, die wiederholte Endometriose-OP könnte einige Formen der Schmerzen sogar verschlimmern, weil dabei Nerven in der Beckengegend wiederholt durchtrennt werden. Die Suche nach einer medikamentösen – statt chirurgischen – Behandlungsmethode ist also dringender nötig denn je.
Das neue Relugolix-Medikament enthält ein östrogenhemmendes Gegenmittel gegen ein Gonadotropinausschüttungshormon („GnRH“), sowie ein Steroidhormon und eine synthetische Form von Progesteron. Den Autor:innen der Studie zufolge könnte das Mittel, das von den Versuchspatient:innen gut vertragen wurde, einem „unerfüllten medizinischen Bedarf“ bei der Langzeitbehandlung von Endometrioseschmerzen nachkommen. 
Das Mittel ist eine Abwandlung einer bestehenden Behandlungsmöglichkeit für Endometriose, bekannt als „GnRH-Analoge“, ist dieser aber überlegen, weil es das östrogenunterdrückende Mittel mit anderen Wirkstoffen kombiniert und langfristig verwendet werden kann. GnRH-Injektionen können maximal ein paar Monate lang verabreicht werden, typischerweise direkt vor und nach einer OP, weil sie langfristige Nebenwirkungen haben.
Die Gynäkologin und Chirurgin Dr. Lucky Saraswat vom schottischen Aberdeen-Royal-Infirmary-Krankenhaus, erklärt uns, das Medikament könnte „eine wichtige Ergänzung der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten für Endometriose“ sein und sagt, sie sei sehr froh darüber, dass diese neueste Studie das Mittel als „sicher und effektiv“ bestätigt habe.
Dr. Saraswat zufolge könnte dieses neue Mittel Endometriose-Patient:innen maßgeblich helfen, weil es dieselbe Form der Schmerzlinderung wie GnRH-Injektionen bietet, aber weniger Nebenwirkungen sowie eine leichtere Anwendung mit sich bringt. „Das Mittel wird einmal täglich oral eingenommen, anstatt gespritzt zu werden. Dadurch ist es simpler anzuwenden und erfordert weniger medizinische Ressourcen“, meint Dr. Saraswat. Um nämlich an GnRH-Injektionen zu kommen, ist ein Besuch im Krankenhaus oder einer Praxis nötig.
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Verzögerungen bei der Diagnose und ungenügende Behandlungsoptionen können dazu führen, dass Patient:innen zu potenziell gefährlichen Schmerzmitteln wie Opioiden greifen.

Dr. Saraswat erklärt außerdem, dass sich die Endometrioseforschung immer mehr auf das Potenzial verschiedener Medikamente für die Endometriosebehandlung konzentriert. Einige dieser Mittel stammen zum Beispiel aus der Krebsbehandlung. „Die Endometriose – obwohl ihre Wucherungen im Gegensatz zum Krebs nicht bösartig sind – hat tatsächlich einige Eigenschaften mit Krebserkrankungen gemein“, sagt sie. „Sie kann beispielsweise in andere Organe eindringen und sich auch in verschiedenen Körperteilen ausbreiten.“
Dr. Mauricio Abrao, Präsident der American Association of Gynecologic Laparascopists und Leiter der Endometriose-Abteilung an der Universität von São Paulo, ist einer der Autor:innen der neuen Studie und erzählt uns, es gebe Grund zur Hoffnung, das neue Medikament könnte bald zur Behandlung der Endometriose freigegeben werden. „Wir müssen uns auch weiterhin auf Forschung konzentrieren, die die Realität dieser Erkrankung verändern könnt“, meint Dr. Abrao. 
Konkret meint er damit eine sichere, langfristige Methode zur Schmerzbewältigung von Endometriose-Patient:innen. Verzögerungen bei der Diagnose und ungenügende Behandlungsoptionen können nämlich dazu führen, dass Patient:innen zu potenziell gefährlichen Schmerzmitteln wie Opioiden greifen.
Dieses Jahr starb beispielsweise die Irin Laura Newell, weil sie verschreibungsfreie Opioide eingenommen hatte, um ihre undiagnostizierte Endometriose zu bewältigen. Newells langfristige Einnahme von codeinhaltigen Schmerzmitteln hatte ihren Darm beschädigt. Diese Schäden mussten operativ behandelt werden – und Newell starb schließlich an Komplikationen während der OP.
Zum Glück ist das Relugolix-Medikament nicht die einzige mögliche neue Behandlungsmethode für Endometriose-Patient:innen. Professor Andrew Horne, Gynäkologe an der University of Edinburgh und Co-Leiter am EXPPECT Centre for Pelvic Pain and Endometriosis, führte vor Kurzem eine erfolgreiche Studie mit einem Mittel namens Dichloroacetat durch, das schon in der Krebstherapie sowie bei der Behandlung seltener Stoffwechselerkrankungen von Kindern getestet wurde. 
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„Zellen in der Beckenwand von Endometriose-Betroffenen haben einen anderen Metabolismus als die von Menschen ohne Endometriose“, erklärt Dr. Horne. „Die Zellen produzieren größere Mengen an Laktat – ähnlich wie Krebszellen –, wodurch eine Umgebung entsteht, die die Entwicklung und das Wachstum des Endometriose-Gewebes begünstigt.“
Als sie mit Dichloroacetat behandelt wurden, kehrten die Zellen der Endometriose-Patient:innen laut Dr. Horne wieder zu ihrem normalen Stoffwechselverhalten zurück.
Eine kleine Studie, in der 30 Endometriose-Erkrankte mit dem Mittel behandelt wurden, ergab „weniger schmerzhafte Symptome und ein geringeres Bedürfnis nach Schmerzmitteln“, erzählt Dr. Horne. Er ergänzt, dass einige Teilnehmende das Medikament als „lebensverändernd“ beschrieben.
„Wir bemühen uns gerade um die Finanzierung eines größeren Dichloroacetat-Tests mit 100 Betroffenen, um die Wirkung mit einem Placebo-Mittel zu vergleichen“, fügt er hinzu.
Dr. Saraswat zufolge sollte sich die Endometriose-Forschung nicht nur auf hormonelle Behandlungsmöglichkeiten konzentrieren. „Endometriose wurde schon immer vor allem als östrogenbedingte Erkrankung betrachtet“, erklärt sie. Als Konsequenz setzen die meisten medizinischen Behandlungen – inklusive des neuen Relugolix-Mittels – auf die Östrogen-Unterdrückung. Das kann aber nicht alles sein.
„Es handelt sich außerdem um eine entzündliche Erkrankung“, sagt Dr. Saraswat und erklärt, dass sich die Forschung auch mit den immunologischen Elementen der Krankheit befassen sollte, nicht bloß mit den hormonellen. „Wir müssen uns alle verschiedenen Aspekte der Endometriose ansehen und herausfinden, woher genau sie entstammt“, meint sie.
Dr. Abrao stimmt ihr zu: Die Zukunft der Endometriose-Forschung hängt davon ab, ob wir den Autoimmun-Elementen der Krankheit auf die Spur kommen. „Viele Studien weisen auf immunologische Trigger hin“, sagt er. „Dieser Ansatz könnte uns die beste Behandlungsmöglichkeit bieten.“
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Und natürlich hoffen Ärzt:innen und Forschende weiterhin darauf, eines Tages ein Heilmittel zu entdecken. „Wir sind alle auf der Suche danach“, betont Dr. Saraswat. Fehlende finanzielle Mittel verlangsamen die Suche jedoch. 
Im Laufe der Menschheitsgeschichte sind Betroffene einer Endometriose unterdiagnostiziert, unterbehandelt und unterrespektiert worden. Dazu kommen zusätzlich die furchtbaren körperlichen und psychologischen Leiden dieser Krankheit. Meine eigene Erfahrung mit meiner Endometriose ist der lebende Beweis dafür. Ich weiß aber auch anhand von Gesprächen mit Expert:innen, dass es durchaus ein paar Gründe gibt, optimistisch in die Zukunft zu schauen – denn wenn die Regierungen unserer Welt diese Krankheit ernst nehmen und Gelder in ihre Forschung fließen lassen, könnte die nächste medizinische Revolution zum Greifen nah sein.
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