Als ich herausfand, dass der Grund für die Trennung meiner Eltern ein Seitensprung war, ging mir nur ein Gedanke durch den Kopf: Wegen des Fehlverhaltens eines Mannes hatte sich meine Mutter – die ich immer für die stärkste, inspirierendste Frau auf diesem Planeten gehalten hatte – fast jede Nacht in den Schlaf geweint. Und dieser Mann war mein Vater.
Heute, 16 Jahre später, erinnere ich mich immer noch ganz deutlich daran, wie ich mich einmal ins Schlafzimmer meiner Mutter schlich und sie weinen sah. Ich wollte sie so gern umarmen, war aber wie erstarrt. Ich konnte bloß hilflos zusehen und meine eigenen Tränen so gut wie möglich zurückhalten. Damals ahnte ich nicht, wie sehr sich diese Kindheitserinnerung langfristig auf meine Wahrnehmung von Männern auswirken würde.
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Das Leid meiner Mutter mitanzusehen erschwerte es mir, Männern zu vertrauen – und das ist auch heute noch so. Laut einer Studie der Psychologin und Autorin Ana Nogales, in der sie untersuchte, wie die Untreue eines Elternteils ein Kind beeinflussen kann, gaben rund 80 Prozent der Befragten an, die als Kind erlebte Untreue habe ihre Perspektive auf Romantik und Beziehungen verändert. Etwa 70 Prozent sagten sogar, ihr generelles Vertrauen in andere Menschen sei nachhaltig geschädigt.
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Irgendwann war ich mir sicher, Männer können Frauen von gar nicht anständig behandeln. Ich ging davon aus, dass sie mir, wie auch den meisten Frauen in meinem Umfeld, zwangsläufig eines Tages wehtun würden.
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Als ich älter wurde, bekam ich wieder mit, wie einige der Frauen in meiner Familie von Männern betrogen wurden. Meist endete das in langwierigen, schmerzhaften Scheidungen – und bestärkte mich umso mehr in meinem Glauben, Männer seien schuld am Leid von Frauen. Irgendwann war ich mir sicher, Männer können Frauen von gar nicht anständig behandeln. Ich ging davon aus, dass sie mir, wie auch den meisten Frauen in meinem Umfeld, zwangsläufig eines Tages wehtun würden. Das hatte Konsequenzen: In meiner ersten festen Beziehung fiel es mir schwer, mich meinem damaligen Freund wirklich zu öffnen und mich verletzlich zu zeigen. Ich machte mir Sorgen, er könne mir wehtun und sagen wir mal so: Die Angst war nicht unberechtigt.
Mit diesen Gefühlen bin ich nicht allein. „Meine Eltern trennten sich, als ich sieben war. Damals war ich froh über die Scheidung“, erzählt die 29-jährige Alisha aus London. „Meine Mama trug die schmerzhaften Narben ihrer Vergangenheit aber mit sich rum. Sie sagte immer zu mir: ‚Vertraue keinem Mann.‘“ Aber nicht nur die Worte ihrer Mutter blieben ihr im Gedächtnis, sagt Alisha. „Ich habe meine Mama nie in einer glücklichen, liebevollen Beziehung erlebt. Das nahm mir die Hoffnung darauf, selbst einmal eine zu führen. Vielleicht hat sie mit ihren Warnungen vor Männern sogar eine Beziehung ruiniert, aus der etwas Ernstes hätte werden können: Als ich 17 war, traf ich nämlich den perfekten Typen. Wir waren etwa ein Jahr lang zusammen, bevor meine Mutter zu mir sagte, ich solle mich von ihm trennen, weil ‚er dich bestimmt betrügen wird‘. Dummerweise befolgte ich ihren Rat. Ich dachte, sie könnte vielleicht Recht haben.“
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Schon in jungen Jahren hörte ich ältere Frauen in meinem Verwandtenkreis sagen, sie seien unfähig, Männern zu vertrauen. Und obwohl das natürlich nicht ihre Absicht gewesen war, zementierte das meine Meinung von Männern umso mehr.
Erst meine Therapeutin konnte mich davon überzeugen, dass gewisse Grenzen zwar wichtig sind, ich aber eben doch damit aufhören muss, Männern generell zu misstrauen. Wenn ich mir selbst eines Tages eine gesunde, glückliche Beziehung ermöglichen will, muss ich die Erwartung abschütteln, sie würden mir früher oder später ohnehin alle das Herz brechen. Und eine solche Beziehung wollte ich ja; bis ich mir das aber eingestehen konnte, musste meine Therapeutin einige Überzeugungsarbeit leisten. Der Glaube, ich sei zu einer Beziehung gar nicht fähig, saß sehr tief. Ich kannte einfach schon zu viele Frauen, die die emotionalen Narben ihrer vergangenen Liebe mit sich herumschleppten.
Natürlich ermutigte mich meine Therapeutin nicht dazu, sämtliche Schutzmauern um mich herum abzureißen und mich blauäugig in jede neue Beziehung zu stürzen. Der Selbsterhaltungstrieb ist dafür einfach zu stark; außerdem gehören zu jeder Beziehung eben auch gewisse persönliche Grenzen und eine klare Vorstellung davon, was du (nicht) willst. Aber genauso wichtig ist es, dich deinem Partner oder deiner Partner gegenüber zu öffnen.
„Oft wünschen sich Frauen eine liebevolle Beziehung mit einem Mann, der sie beschützt – gleichzeitig fürchten sie sich aber davor, verlassen, zurückgewiesen oder blamiert zu werden“, erklärt die Trauma-, Sex- und Beziehungstherapeutin Cate Campbell. „Wenn du schon damit rechnest, verletzt zu werden, ist es nicht leicht, diese Schutztaktiken aus der Kindheit abzulegen.“
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Therapien und soziale Beratungen können Beziehungen jedoch nachhaltig verändern. Als besonders hilfreich hat sich dabei die sogenannte EMDR-Therapie erwiesen. Bei der Eye Movement Desensitization and Reprocessing (Densensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung) werden beide Hirnhälften durch die geleitete Bewegung der Augen stimuliert und belastende Erinnerungen emotional entkräftet. „EMDR ist besonders effektiv darin, die Einstellung von Frauen zu ihren Vätern und anderen Männern zu beeinflussen. Daran anknüpfend kann eine systemische Therapie dabei helfen, die Beziehung zwischen allen Familienmitgliedern zu kitten“, rät Cate. „Eine systemische Therapie kann außerdem äußere Faktoren identifizieren, die sich negativ auf die Erfahrungen der Patient*innen auswirken – wie zum Beispiel problematische Geschlechterrollen innerhalb der Familie.“
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Ich habe jetzt selbst die Zügel in der Hand und lasse mich nicht mehr durch meine Kindheitserlebnisse davon abhalten, gesunde romantische Beziehungen zu Männern aufzubauen.
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Ich kann jedenfalls bestätigen: Meine Therapie hat mir mit meinem Männerbild sehr geholfen. Sie hat mich ermutigt, mich zumindest der Vorstellung einer Beziehung anzunähern. Ich traue mich inzwischen auch wieder, auf Dates zu gehen – diesmal aber mit einer von vornherein positiveren Einstellung. Und heute habe ich auch zu meinem Vater ein tolles Verhältnis. Das war nicht immer so: Damals hatte unsere Beziehung zwangsläufig darunter gelitten, was zwischen ihm und meiner Mutter geschehen war.
Ich behaupte nicht, gar keine Stimmen mehr in meinem Kopf zu hören, die mir sagen, ich soll mich nicht zu sehr fallen lassen, denn er wird dir früher oder später ohnehin wehtun. Dank der Therapie habe ich aber gelernt, sie weitestgehend auszublenden. Ich habe jetzt selbst die Zügel in der Hand und lasse mich nicht mehr durch meine Kindheitserlebnisse davon abhalten, gesunde romantische Beziehungen zu Männern aufzubauen.
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