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Hochfunktionale Angststörung: Was ist das & warum wird sie selten diagnostiziert?

Photographed by Ashley Armitage.
Angst kann viele Formen annehmen. Vielleicht durchlebst du andauernd kraftraubende Panikattacken; vielleicht leidest du “bloß“ phasenweise unter Stress und Stimmungsschwankungen. Viele Menschen haben regelmäßig mit solchen Ängsten zu kämpfen, bezeichnen sich jedoch selbst als “hochfunktional“: Sie glauben, ihre Angst unter Kontrolle zu haben und von ihr nicht großartig eingeschränkt zu werden.
Laut der Ehe- und Familientherapeutin Kati Morton würden viele Leute von sich selbst sagen, an einer hochfunktionalen Angststörung zu leiden. Sie weisen zwar die Symptome einer Angststörung auf, haben aber nicht das Gefühl, dass diese ihren Alltag beeinträchtigen. „Viele Menschen leiden zwar, fühlen sich aber nicht wie gelähmt. Sie entsprechen also nicht den Kriterien einer klassischen Angststörung – weder denen einer generalisierten Angst- noch denen einer Panikstörung“, sagt sie.
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Um mit einer Angststörung diagnostiziert zu werden, muss die Patientin oder der Patient sechs Monate mindestens drei typische Symptome aufweisen, sagt Morton. Dazu zählen unter anderem Schlafprobleme, generelle Unruhe und Schwierigkeiten, mit Sorgen umzugehen.
Personen, die von sich selbst sagen, sie haben eine hochfunktionale Angststörung, erleben vielleicht “nur“ einige dieser Symptome – vielleicht sogar Panikattacken. Sie sind aber „trotzdem dazu imstande, morgens aufzustehen und zur Arbeit zu gehen, entweder durch pure Willenskraft oder weil die Symptome nicht so schwerwiegend sind“, sagt Morton. „Das wäre dann eine hochfunktionale Angststörung.“
Weder die von der WHO herausgegebene Internationale Klassifikation psychischer Störungen noch das amerikanische Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) führen den Begriff „hochfunktionale Angststörung“ explizit in den Listen, die Ärzt*innen weltweit zur Diagnose psychischer Krankheiten verwenden. Das macht die Störung jedoch nicht weniger real. Laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) leiden rund zwölf Millionen Deutsche an einer Angststörung – weit mehr Frauen als Männer. Etwa die Hälfte aller Angststörungen wird nicht erkannt und kann demzufolge auch nicht behandelt werden. Für ihre typischen Symptome wie Herzrasen oder Atemnot machen Ärzt*innen häufig körperliche Auslöser verantwortlich. Rund die Hälfte aller deutschen Betroffenen wenden sich mit ihren Beschwerden gar nicht erst an eine*n Mediziner*in. Das liegt auch daran, dass jede*r eine ganz eigene Vorstellung davon hat, ab wann man nicht mehr als “funktional“ gilt.
„Jede*r ist ganz unterschiedlich belastbar. So etwas lässt sich nicht messen; daher ist es schwer, “hochfunktional“ zu definieren“, sagt Morton. „Jede Person ist anders. Daher gibt es keine offizielle Klassifizierung, die in jedem Fall anwendbar ist.“ Aber selbst wenn du glaubst, im Alltag gut klarzukommen, könnte sich deine Angststörung langfristig doch auf deine Gesundheit auswirken. Morton warnt davor, deine Symptome als harmlos abzutun; das könnte ihre spätere Behandlung erschweren.
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„Ich denke, manchmal sollten wir einfach ein bisschen genauer hinsehen, um zu verstehen, wie sehr uns die Angststörung wirklich im Alltag beeinträchtigt“, sagt sie. Eine Frage, die sie ihren Patient*innen zu diesem Zweck gern stellt, ist: „Wann haben Sie sich zum letzten Mal wirklich gut gefühlt?“ Oder anders gesagt: Wann warst du zuletzt glücklich? Wann hattest du den Eindruck, alles läuft, wie du es dir vorgestellt hast? Wann hast du zum letzten Mal die ganze Nacht durchgeschlafen? Und wie sieht die Gegenwart im Vergleich dazu aus?
„Wenn wir Ängste verspüren, uns aber trotzdem in der Lage dazu fühlen, früh aufzustehen und zur Schule oder Arbeit zu gehen, vergessen wir irgendwann möglicherweise, wie wir uns fühlen könnten“, sagt Morton. „Der angsterfüllte Alltag wird dann zur neuen Norm. Eine Angststörung kann sich jedoch heimlich an dich heranschleichen; irgendwann hast du dann plötzlich einige schlaflose Nächte oder das Gefühl, dir vor einem großen Meeting unbedingt nochmal kaltes Wasser ins Gesicht spritzen zu müssen.“
Erlebst du länger als eine Woche am Stück Symptome einer Angststörung, rät Morton dazu, eine Ärztin oder einen Arzt aufzusuchen – selbst dann, wenn du dich für hochfunktional hältst. „Such dir lieber früher als später Hilfe“, sagt sie. „Vielleicht funktionierst du; das heißt aber nicht, dass du nicht leidest.“
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Wenn du selbst an einer Angststörung leidest oder eine Person kennst, die eventuell Hilfe brauchen könnte, kannst du die Hotline der TelefonSeelsorge unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 anrufen oder den Chat der TelefonSeelsorge nutzen.

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