Einsamkeit ist zu einer der größten Herausforderungen in unserer modernen Welt geworden. Laut einer Onlinestudie eines Marktforschungsinstituts fühlen sich 12 Prozent der Deutschen häufig oder ständig und weitere 32 Prozent zumindest manchmal einsam.
Mit einer Behinderung leben zu müssen, kann dazu führen, dass du dich noch einsamer, isoliert und ausgeschlossen fühlst. 2017 berichtete die Charity Scope, etwa 85 Prozent der 18- bis 34-jährigen Menschen mit Behinderung fühlen sich einsam. Weiter heißt es, eine von acht Personen mit Behinderung würde täglich weniger als eine halbe Stunde mit anderen Menschen interagieren. Neben physischen Barrieren, wie Treppen oder zu schmale Türrahmen, gibt es noch ein anderes Hindernis, das für ein aktives soziales Leben überwunden werden muss: das fehlende Bewusstsein. Laut der Stiftung Sense denken 49 Prozent der Menschen ohne Behinderung, sie hätten keine Gemeinsamkeiten mit Personen mit Behinderung und 26 Prozent geben zu, Unterhaltungen mit ihnen zu vermeiden.
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Um die Lücke der Unwissenheit oder Ignoranz schließen zu können, ist es wichtig, sich die persönlichen Geschichten der Betroffenen anzuhören. Deswegen haben wir mit Sarah, einer 32-jährige Frau mit Ehlers-Danlos-Syndrom (eine Störung, die für überdehnbare Haut und überbewegliche Gelenke sorgt) und Fibromyalgie (bedingt Schmerzen verschiedener Körperregionen sowie Schlafstörungen), gesprochen. Nachfolgend erzählt sie, wie es ist, mit einer Behinderung und chronischen Schmerzen zu leben und welche Auswirkungen das auf das Thema Isolierung und Einsamkeit hat. Außerdem erklärt sie, was Menschen ohne Behinderung machen können, damit unsere Welt zu einem inklusiveren, besseren Ort wird.
Ich nehme das Leben so, wie es kommt, weil ich nie genau vorhersagen kann, wie es mir gesundheitlich gehen wird. Ich versuche, das Haus einmal pro Woche zu verlassen, aber das ist nicht immer möglich. Vor ein paar Tagen war ich beispielsweise abends draußen, doch die Kälte zog in meine Gelenke und ich konnte mich nicht mehr bewegen. Das hielt noch den ganzen nächsten Tag an. Ich muss also immer genügend Zeit zum Ausruhen einplanen, wenn ich etwas unternehmen will. Manchmal passiert es auch, dass ich mich sehr auf etwas freue, es dann aber doch nicht machen kann, weil es gesundheitlich nicht möglich ist.
Warum ich mich so einsam fühle
Isolation ist ein großes Thema für mich. Ich arbeite als Freelance-Bloggerin und Autorin und muss demzufolge nicht jeden Tag das Haus verlassen, um ins Büro zu gehen. Vor vier Jahren bin ich von Liverpool nach Northamptonshire gezogen, um zusammen mit meinem Freund Ian leben zu können. Das war eine ganz schön große Umstellung für mich. Leider habe ich hier immer noch keine wirklichen Freund*innen gefunden, mit denen ich etwas unternehmen kann. Abgesehen von Ian und seiner Familie ist meine Nageldesignerin die einzige Person, die ich hier kenne. Ich finde das wirklich traurig.
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Als ich wegzog, ließ ich meine Familie und meine engen Freund*innen zurück, was nicht leicht für mich war. Ich kapselte mich immer mehr ab und es fiel mir schwer, zuzugeben, wie einsam ich mich fühlte – selbst meinem Partner gegenüber, der seit 20 Jahren mein bester Freund ist. Aber wir hatten keine andere Wahl, weil er drei Stunden von mir entfernt wohnte. Mit jemandem zu telefonieren ist etwas ganz anderes als gemeinsam Kaffeetrinken zu gehen oder einen Film zu schauen.
Meine größte Herausforderung sind die chronischen Schmerzen, weil ich nie wirklich weiß, wann und wie stark sie zuschlagen. Als ich jünger war, verlor ich deswegen viele Freund*innen. Ich sagte so viele Verabredungen ab, dass ich irgendwann nicht mehr eingeladen wurde. Von meiner Krankheit wollte ich ihnen damals nicht erzählen, weil ich dachte: Lohnt sich das überhaupt? Waren sie je echte Freund*innen? Irgendwann wirst du paranoid und hinterfragst einfach alles.
Ich hatte permanent ein schlechtes Gewissen und entschuldigte mich oft, wenn ich kleinere Termine, wie Kaffeedates, kurzfristig absagen musste. Zu großen Events, wie Urlauben oder Geburtstagen, ging ich eigentlich immer. Ich zwang mich dazu, selbst wenn ich körperliche Qualen leiden musste, weil ich niemanden im Stich lassen oder enttäuschen wollte. Trotzdem wuchs das schlechte Gewissen in mir, was natürlich Quatsch war, denn schließlich kann ich ja nichts für meine Behinderung. Aber ich hatte das Gefühl, ich könnte es mir nicht leisten, noch mehr Freund*innen zu verlieren – wie ich es in der Schule und während des Studiums bereits gemacht hatte.
Meine „gesunden“ Freund*innen konnten mit der Situation nicht richtig umgehen. Sobald ich sie mal nicht so oft treffen konnte, wie sie es gewollt hätten, beendeten sie die Freundschaft – ganz gleich, wie tiefgründig sie gewesen war. Nach dem Motto: Sie hat mich jetzt sechs Mal sitzen lassen und jetzt habe ich keinen Bock mehr auf sie. Wenn mehr Menschen wüssten, wie sehr chronische Schmerzen und Behinderungen die Betroffenen beeinflussen, hätten sie vielleicht mehr Verständnis.
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Vor drei Jahren bekam ich einen Elektrorollstuhl und das machte Vieles leichter. Ich kann jetzt länger unterwegs sein – manchmal sogar einen ganzen Tag. Trotzdem muss mich immer jemand begleiten, weil zum Beispiel nicht immer alles barrierefrei ist, ich nicht an die Lebensmittel im oberen Supermarktregal herankomme oder sich mein Gesundheitszustand von einer Minute auf die andere verschlimmern könnte. Außerdem brauche ich Hilfe beim Ein- und Aussteigen ins Auto.
So kannst du Menschen mit Behinderung helfen
Meist sind es nur kleine Dinge, aber sie können dazu beitragen, dass sich Menschen mit Behinderung nicht so ausgegrenzt fühlen. Überleg beispielsweise, ob der Rollstuhl durch die Tür des Restaurants passt, in das du deine Freund*innen eingeladen hast. Oder frage nach, ob es eine behindertengerechte Toilette gibt.
Ansonsten ist Flexibilität meiner Meinung extrem wichtig. Wenn ich beispielsweise kurzfristig Pläne mit einem Freund absagen muss, weil es mir so schlecht geht, dass ich das Haus nicht verlassen kann, ist es toll, wenn er einfach anbietet, zu mir zu kommen. Dann können wir zusammen fernsehen oder etwas Anderes machen, was körperlich in dem Moment für mich möglich ist. Das Schlimmste ist, wenn du das Gefühl hast, für jemanden eine Last zu sein. In der Vergangenheit musste ich wegen zu starker Schmerzen schon manchmal ein Date verschieben. Meistens reagierten meine Freund*innen mit „Kein Problem, dann holen wir das einfach nach“, aber dann meldeten sie sich nie wieder. Das ist sehr verletzend und du denkst, du wärst ihnen nicht so wichtig wie sie dir.
Ab und zu einfach mal nachzufragen, wie es jemandem geht, kann auch einen großen Unterschied machen. Wenn du komplett einsam zu Hause in deiner Wohnung sitzt und vor Schmerzen nichts machen kannst, kann dich eine Nachricht von jemandem, von dem du lange nichts gehört hast, wieder aufmuntern. Es sind nur ein paar Worte, durch die die Schmerzen natürlich auch nicht wie von Zauberhand verschwinden werden, aber für einen kurzen Moment konzentrierst du dich dann auf etwas Anderes. Und das ist einfach schön. Ich benutze Twitter, WhatsApp und andere Medien, um den Kontakt zu halten und das hilft mir sehr. Obwohl es natürlich etwas anderes ist, allein im eigenen Wohnzimmer zu sitzen und über die neuen Schuhe, die ich mir online gekauft habe, zu chatten, statt mit einer Freundin draußen shoppen zu gehen.
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Heute geht es mir ganz okay und ich freue mich unglaublich, dass ich nachher noch mit einer Freundin etwas essen gehe. Ich besuche gerade meine Eltern in Liverpool und das Restaurant in dem wir uns treffen ist buchstäblich nur ein paar Minuten von ihrem Haus entfernt. Aber ich bin richtig aufgeregt und enthusiastisch! Ich habe das ewig nicht mehr gemacht und deswegen ist es eine große Sache für mich, denn die restlichen sechs Tage der Woche werde ich wahrscheinlich wieder in der Wohnung bleiben und Schmerzen ertragen müssen. Auszugehen, zu lachen und mit jemandem von Angesicht zu Angesicht sprechen zu können, ist fantastisch. Es ist ein Lichtblick in meinem sonst so grauen Alltag und gibt mir das Gefühl, Teil der Gesellschaft zu sein und aktiv am Leben teilzunehmen. Von den Erfahrungen eines einzigen Abends kann ich tage-, wenn nicht sogar wochenlang zehren. Wenn du mit einer Behinderung leben musst, die deine Mobilität einschränkt, ist ein Kaffeedate nicht einfach nur ein Kaffeedate. Es ist etwas ganz Besonderes und ich weiß es zu schätzen.
Wenn du dich über einen längeren Zeitraum einsam fühlen solltest oder eine Person kennst, die eventuell Hilfe brauchen könnte, ruf die Hotline der TelefonSeelsorge unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 an oder nutze den Chat der TelefonSeelsorge. Niemand sollte allein mit seinen Problemen klarkommen müssen!