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Drag-Make-up: So emotional & lehrreich ist ein Einführungskurs

Nach vier Stunden beim Einführungskurs zum Drag-Make-up, knickte der 22-jährige Connor Martin ein. Er sollte ein Produkt namens Pros-Aide auftragen, um, wie die professionellen Dragqueens, seine Augenbrauen zu verkleben und neue Brauen an ihrer Stelle aufzumalen – bei ihm bildeten sich aber immer wieder Klumpen. „Anstelle von Augenbrauen, hab ich jetzt Haferflocken im Gesicht“, klagte Connor. Derek Medina, Kosmetiker und Leiter des Kurses, versuchte ihn zu motivieren: „Solange es im Dunkeln und aus der Ferne gut aussieht, ist alles in Ordnung.“
„Ich krieg gleich 'nen Nervenzusammenbruch... hat hier schon mal jemand geweint?!“, fauchte Connor verzweifelt.
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An diesem Dienstag im Oktober nahmen acht Menschen an dem Kurs teil: Zwei professionelle Make-up-Artists, ein Schauspieler, der sich mit dem Drag-Make-up auf eine Rolle vorbereitete, und fünf Drag-Fans, die bis dato nur minimale bis gar keine Erfahrung mit Drag selbst hatten.
Foto: Amanda Picotte
Medina zeigt an einem Model, wie man die Konturen richtig setzt
Foto: Amanda Picotte
Digna zeigt ihr halbfertiges Make-up
Das Interesse an Drag stieg in den letzten zehn Jahren vor allem bei Menschen, die selbst keine professionellen Dragqueens sind, extrem an. „Ich bin seit 20 Jahren als Visagist tätig. Früher sagten mir die Frauen noch, ich solle sie nicht wie eine Dragqueen aussehen lassen“, sagt Derek. „Jetzt wollen sie Highlights und Contouring und von Bakingpowder und falschen Wimpern kriegen sie gar nicht genug.“
Nein, das liegt nicht nur an Instagram und Celebritys wie den Kardashians, sondern unter anderem auch an RuPauls Drag Race. Durch den Hype um die Show sind Dinge wie Contouring und Highlighting – Make-up-Hacks, die für die Drag-Ästhetik unerlässlich sind – heute Teil des Mainstreams. Mittlerweile ist, wenn es Make-up geht, "mehr ist mehr" wieder absolut okay! Ein Satz Wimpern reicht für diesen Look jedoch längst nicht und das Make-up kann ruhig eine Note dramatischer werden.
Die wachsende Beliebtheit ist auch der Hauptgrund, warum Tomomi Sano und Ana Carolina Betti (beide professionelle Make-up-Artists, die normalerweise keine Dragqueens schminken) sich für den Kurs angemeldet haben. Sie haben schnell gemerkt, wie beliebt diese Art von Make-up auf YouTube und Instagram geworden sind und wissen, dass sie mit den hier erlernten Skills bestimmt noch ein paar Kund*innen dazu gewinnen werden.
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Für einige andere Teilnehmer*innen dieses Kurses war das Ziel weitaus persönlicher. Wie Derek zu Beginn des Kurses erklärt, lernen hier so genannte „Baby-Dragqueens“, also Drag-Anfänger*innen alles Wichtige, um in der Welt des Drag ernst genommen zu werden. Das ist genau das, was Mo Ismail, ein 25-jähriger Pharmatechniker, der nachts zeitweise als Shawna Dontelle in Drag anzutreffen ist, gesucht hat. „Bis jetzt hat mir das niemand richtig beigebracht“, sagte Mo. „Alles, was ich darüber weiß, habe ich von RuPauls Drag Race und YouTube-Tutorials gelernt. Ich bin aber recht perfektionistisch veranlagt: Wenn die Menge mich sieht, soll sie staunen und begeistert sein. Und um so toll zu sein, muss ich lernen, wie ich mich richtig schminke.“
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Für den 28-jährigen Anwalt, David Bethea, aus Manhattan war dieser Kurs ein Herzenswunsch. Er ist ein langjähriger Drag-Fan. Seit seinem Outing mit 22, besucht er regelmäßig Drag-Shows in Bars und bingt mit seinem Mann jede Staffel von Drag Race. Vor vier Jahren schwor er sich, zu seinem 30. Geburtstag eine riesige Drag-Party zu schmeißen, zu der er natürlich als Dragqueen kommen wollte. „Ich will fierce aussehen, aber dafür muss ich erstmal herausfinden, was das überhaupt heißt“, meinte David. „Meine Freund*innen und sogar mein Mann sagen, dass ich nicht das richtige Gesicht für Drag habe, aber ich dachte mir, vielleicht hab ich hier die Chance eine hübsche Dragqueen zu werden.“
Der siebenstündige Kurs wurde in verschiedene Abschnitte unterteilt. In den ersten anderthalb Stunden zeigte Derek den Teilnehmer*innen einen perfekten Drag-Look bei seinem Model, einer Dragqueen namens Digna. Selbst der Profi brauchte gut 30 Minuten, um Dignas Augenbrauen zu überkleben. Es dauerte weitere 30 Minuten, um ihr halbes Gesicht zu konturieren. Bei jedem neuen Produkt und jeder neuen Technik schrieben die Schüler*innen fleißig mit (David füllte in der ersten Stunde mehr als vier Seiten seines Notizbuchs) und machten Hunderte von Bildern mit ihrem Handy.
Foto: Amanda Picotte
Tomomi Sano macht ein Bild des Make-ups, um es nachzuahmen
Nachdem Medina die eine Hälfte von Dignas Gesicht fertig hatte und ihr bonbonrote Lippen und vier Paar Wimpern anklebte, waren die Teilnehmer*innen an der Reihe. Jetzt sollten sie dich an dem Drag-Look ausprobieren.
Im Gegensatz zu David, der zugab, dass er sich noch nie zuvor geschminkt hatte, waren Leute wie Jackie Ivers, 24, und Nicholas Lord, 25, erfahrener. Das Paar, das diesen Sommer geheiratet hatte, war letztes Jahr schon bei der Drag Con in New York City als Dragqueens unterwegs, und beide hatten auch schon einen Dragnamen: Jackie O'Nasty und Sally Holes.
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„Drag-Make-up ist so aufwendig und so kompliziert“, sagte Nicholas, bevor er anfing sich zu schminken. „Ich will nichts zu Aufwändiges. Zwar weiß ich, dass ich kein blutiger Anfänger bin, aber ich möchte, dass die Leute mich als Queen ernst nehmen und mich nicht als Junge sehen, mit den Sachen aus Muttis Schminkkoffer experimentiert hat.“
Die acht Schüler*innen versuchten, Dereks Beispiel so gut es geht zu folgen – angefangen bei den Brauen, über das Conturing und Puder, alles verblenden und dann, wenn man noch die Zeit hatte, etwas Lidschatten und Lippenstift auftragen
Foto: Amanda Picotte
Schauspieler Trey Gerrald hat sich für den Kurs angemeldet, um sich auf eine Rolle vorzubereiten
Foto: Amanda Picotte
Kosmetikerin Tomomi Sano probiert das Drag-Make-up, um neue Kund*innen anzusprechen
Trey Gerrald, ein 32-jähriger Schauspieler, merkte schnell, dass im seine Theatererfahrung hier sehr half. Diesen Monat starten die Proben für das Theaterstück With Balls On und eben dafür besucht er diesen Kurs. „In dem Stück ist meine Rolle, Natascha, unterwegs zu einer Weihnachtsfeier. Sie hat ein recht begrenztes Budget, möchte aber so glamourös wie möglich aussehen“, erklärt er mir, während er sich Rouge aufträgt. „Ich habe öfter schon Make-Up auf der Bühne getragen, aber niemals so wie heute.“
Doch nicht nur die Neulinge hatten während der sieben Stunden mit Problemen zu hadern: David versuchte seine Konturlinien mit einem Papiertaschentuch zu verblenden und entfernte diese so nur. Mo schminkte sich im komplett falschen Farbton. Trey setzte die Brauen viel zu hoch an und Connor stellte fest, dass er gegen bestimmte Substanzen im Make-up allergisch war, wodurch ihm ständig Tränen übers Gesicht liefen.
Nichtsdestotrotz versuchte Derek, allen zu helfen und ihnen die Unsicherheiten zu nehmen. „Drag-Make-up ist nur einer Erweiterung eurer Persönlichkeit“, versicherte er ihnen. „Versucht nur so viel aufzutragen, wie ihr euch gut fühlt damit.“
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Foto: Amanda Picotte
David Bethea versucht die perfekte Braue aufzumalen
Foto: Amanda Picotte
Connor Martin gibt seinem Look den letzten Touch
Nach sechs Stunden haben sich die Teilnehmer*innen diese Worte auch zu Herzen genommen. Irgendwann versuchten sie nicht mehr, Drecks perfektes Drag-Make-up zu kopieren, sondern ihren einen Look zu finden. Mag sein, dass ihre Brauen zu hoch angesetzt waren und vielleicht waren ihre Lippen zu hell, aber jede*r von ihnen mochte das, was sie kreiert hatten – sei es nun inspiriert von den 30er-Jahren oder einer fetzigen Rothaarigen. Und genau das macht Drag doch aus!

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