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Volles Postfach nach dem Urlaub? Wie du damit umgehst

Foto: Eylul Aslan.
Letzten Monat – nachdem ich mir während der Pandemie nur wenige Urlaubstage und garantiert keinen großen, luxuriösen Urlaub gegönnt hatte – nahm ich mir eine Woche frei. Zu dem Zeitpunkt fühlte ich mich total ausgebrannt, und ich wusste, dass ich dringend Grenzen für meine berufliche Kommunikation ziehen musste. Also setzte ich meinen Slack-Status auf das kleine Palmen-Emoji und löschte die App sogar ganz von meinem Handy, damit ich im Urlaub nicht würde sehen können, ob mir jemand geschrieben hatte (denn die kleine „1“ neben dem Symbol würde mich garantiert zu neugierig machen, um die Nachricht dann nicht auch zu lesen). So weit, so einfach. Dann ging es aber darum, mich um den wirklichen Tiefpunkt meines beruflichen Lebens zu kümmern: mein E-Mail-Postfach.
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Also schrieb ich eine automatisch versendete „Out of office“-Mail, die genau angab, wie lange ich weg sein würde. Danach war ich erstmal ganz stolz auf mich. Ich hatte es mir immerhin verdient, mich selbst jetzt einfach mal zu priorisieren, nachdem ich das letzte Jahr tagein, tagaus mit leerem Ausdruck in meinen Augen eine belanglose E-Mail nach der anderen geöffnet hatte, die in neun von zehn Fällen mit „Liebe Olivia, ich hoffe, es geht dir gut!“ begann. Aber so einfach war es dann doch nicht. Die tiefe Entspannung, die ich mir nach einer Woche Urlaub, während der ich nicht an die Arbeit hatte denken müssen, aufgebaut hatte, war in Sekundenschnelle dahin, als ich am ersten Arbeitstag mein Gmail-Postfach öffnete. Wieso? Weil ich 1.400 ungelesene E-Mails hatte.
Instinktiv wollte ich erstmal zu heulen anfangen, und danach hätte ich meinen Laptop gern zugeknallt und aus dem Fenster auf die U-Bahn-Gleise direkt vor meiner Wohnung, alias meinem „Homeoffice“, geworfen. Mein dritter Instinkt war der, jede einzelne E-Mail in meinem Postfach zu löschen und so zu tun, als hätte ich nie eine bekommen. Diese letzte Strategie hätte mir sicher viel Zeit und emotionalen Stress erspart. Aber wäre das nicht total rücksichtslos gegenüber der Leute, die mir geschrieben hatten? Und was, wenn ich dadurch irgendetwas übersah, das wirklich wichtig war?
Letzten Endes nahm ich mir dann doch die Zeit, jede einzelne E-Mail zu öffnen, die mir während meines Urlaubs ins Postfach geflattert war. Das dauerte ewig und war mental total anstrengend – und ich muss gestehen, dass keine E-Mail wirklich so wichtig gewesen war, dass es katastrophale Konsequenzen gehabt hätte, wenn ich tatsächlich ignoriert hätte. Die meisten der E-Mails verlangten von mir nicht mal eine Antwort. Das Ganze kam mir daher im Nachhinein sowohl sinnlos als auch ätzend vor – und brachte mich zum Nachdenken. Vielleicht sollte ich in Zukunft wirklich direkt alle Mails löschen, die ich während eines Urlaubs bekam. Wenn ich in meiner nächsten Abwesenheits-E-Mail darum bitten würde, dass sich diejenigen mit wirklich wichtigen Anliegen nochmal bei mir melden, sobald ich wieder da bin, müsste ich mich wohl nie wieder durch diesen Berg an effektiv irrelevanten E-Mails wühlen. 
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Nachdem ich mir also nach dem Urlaub diese Strategie für zukünftige „Out of office“-Mails überlegt hatte, wollte ich mit ein paar Expert:innen darüber sprechen, ob sie diese Methode für sinnvoll erachtet. Also meldete ich mich bei Jocelyn K. Glei, Autorin von Unsubscribe: How to Kill Email Anxiety, Avoid Distractions, and Get Real Work Done, und Cal Newport, Autor von Eine Welt ohne E-Mail: Konzentrierter arbeiten in der Kommunikationsflut. Das Problem mit Leuten, die ganze Bücher darüber schreiben, wie E-Mails unser Leben versauen können, ist aber, dass sie eben sehr gut darin sind, ihre E-Mails zu ignorieren. Vielleicht war ihre Stille mein Zeichen, dass es völlig in Ordnung ist, nach einem Urlaub einfach alle E-Mails zu löschen. Trotzdem hatte ich das Gefühl, mir dazu doch noch ein professionelles Okay einholen zu müssen.
Also sprach ich mit Dr. Alice Boyes, Autorin von The Anxiety Toolkit: Strategies for Fine-Tuning Your Mind and Moving Past Your Stuck Points. Laut Dr. Boyes sollte deine E-Mail-Strategie während eines Urlaubs davon abhängen, wie du mit E-Mails während deiner Arbeitszeit umgehst. „Ich denke, am Ende geht es wirklich darum: Was ist deine Hauptaufgabe? Ist es die Kommunikation?“, erzählt sie mir am Telefon. Wenn du zum Beispiel in der PR- oder der Kommunikationsbranche arbeitest, erklärt Dr. Boyes, wäre es vermutlich weder angebracht noch sinnvoll, deine Inbox nach dem Urlaub sofort auf „0“ zurückzusetzen. Sie hat aber andere Strategien parat, die im Umgang mit einer solchen E-Mail-Flut helfen können.
Ich erzählte ihr von meinem 1.400-Mails-Problem und davon, dass die allermeisten dieser Nachrichten gar keine direkte Antwort von mir erforderten. In diesem Fall, meint Dr. Boyes, könnte ich mir zum Beispiel die Regel aufstellen, jede E-Mail zu löschen, die nicht direkt an mich adressiert ist. Dazu gehören beispielsweise Werbung, „Allen antworten“-Mails, und den allseits beliebten CCs. Um diese E-Mails zu identifizieren, musst du natürlich trotzdem die Betreffzeile lesen – aber das ist immer noch besser, als jede einzelne Mail öffnen zu müssen, oder? Ich war jedenfalls sofort überzeugt.
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Eine andere brillante Idee, mit der Dr. Boyes persönlich gegen E-Mail-Müdigkeit vorgeht, ist die, sich zwei verschiedene E-Mail-Accounts zuzulegen. Ich weiß, was du jetzt denkst: Inwiefern ist es weniger stressig, zwei Postfächer checken zu müssen? Ganz einfach: Eine von Dr. Boyes’ E-Mail-Adressen ist für die Öffentlichkeit gedacht und für alle auffindbar. Sie dient als „Auffangbecken“ für Leute, die sie nicht kennt – zum Beispiel Menschen, mit denen sie bisher nicht zusammengearbeitet hat, oder eben Spam. Ihre zweite, private Adresse gibt sie nur ausgewählten Personen – mit denen sie beispielsweise aktiv zusammenarbeitet oder zu denen sie eine bestehende persönliche oder berufliche Beziehung hat. E-Mails auf diese Weise zu filtern, nimmt ihr selbst den Druck, Nachrichten lesen oder beantworten zu müssen, die im „öffentlichen“ Postfach landen. Noch dazu kann sie dadurch eben diese E-Mails auch mal komplett ignorieren, wenn sie es möchte, weil sie weiß, dass wirklich Wichtiges nur im anderen Postfach landet.
„Ich denke, dieses System funktioniert ziemlich gut“, meint Dr. Boyes. „Alles, was von Unbekannten in meinem Job-Postfach landet, kann ich effektiv ausblenden.“ Die Methode mit mehreren Postfächern kann allerdings auch dazu führen, dass dir manche Gelegenheiten entgehen, warnt sie. Abhängig davon, wer du bist und wie dein Job aussieht, kann es das Risiko aber wert sein, auch mal Nachrichten zu verpassen. Hier müssen wir wirklich unsere eigenen Ambitionen und unser mentales Wohlbefinden gegeneinander abwägen.
Dr. Boyes zufolge ist das größte Problem aber, dass die Abwesenheitsnotiz vielerorts völlig bedeutungslos geworden ist – vor allem in den USA. Jeden Sommer ist Twitter (oder „X“) voller Posts, die die europäische Herangehensweise („Ich bin bis September im Urlaub. Erwarten Sie bis dahin keine Antwort“) mit der amerikanischen vergleichen („Ich bin für eine Not-OP im Krankenhaus und brauche vielleicht ein paar Minuten länger für die Antwort“). 
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Wie bereits erwähnt, war ich erstmal ziemlich stolz darauf, in meiner eigenen Abwesenheits-E-Mail nichts von „Die Antwort könnte ein bisschen länger dauern“ geschrieben zu haben. Stattdessen hatte ich direkt betont, dass ich meine E-Mails im Urlaub nicht lesen würde. Leider respektiert unsere Gesellschaft diese „Out of office“-Mails nicht so, wie ich mir wünschen würde. „Mir ist aufgefallen, dass du nie weißt, ob diese Auto-Antwort auch stimmt“, meint Dr. Boyes. Oft bekommst du eine Auto-Abwesenheits-Mail – und kurz darauf eine echte Antwort von der Person, der du geschrieben hast. „Ich glaube, viele Leute nehmen sich vor, während des Urlaubs nur bestimmte Arbeitsdinge zu erledigen – wie E-Mails zu beantworten, die nur kurze Nachrichten verlangen. Das summiert sich aber, und es kommen dann immer weitere Dinge dazu“, sagt Dr. Boyes. „Wenn du diese Tür im Urlaub auch nur einen kleinen Spalt öffnest, tust du am Ende mehr, als du vielleicht vorhattest. Das kann dich ordentlich aus dem Urlaubsmodus ziehen.“ Noch dazu beeinflusst es die Erwartungen derjenigen, die dich zu erreichen versuchen. In Zukunft gehen sie dann vielleicht immer davon aus, du seist doch verfügbar. „Ich glaube, niemand vertraut diesen Abwesenheitsnachrichten noch“, meint Dr. Boyes. „Wer sie bekommt, denkt vielleicht: ‚Oh, das heißt, es dauert vielleicht einfach nur ein paar Stunden, bis ich eine Antwort bekomme, oder ich kriege erst abends eine Mail‘, anstatt wirklich davon auszugehen, dass die Antwort tatsächlich erst nächste Woche kommt.“
Wie entkommen wir also dieser E-Mail-Hölle, in der wir zu leben scheinen? Weil das Ganze ein kulturelles Problem ist, kann es darauf keine simple Antwort geben – das gilt vor allem für diejenigen von uns, die in Junior-Positionen arbeiten. Wenn du aber dazu imstande bist, im Urlaub wirklich nur per Abwesenheitsnotiz mit anderen zu kommunizieren, kann das mehr als nur deine eigene geistige Gesundheit positiv beeinflussen. „Versuch, anderen ein Vorbild zu sein. Und selbst, wenn du dich nicht dazu überwinden kannst, die Arbeit im Urlaub komplett auszublenden, respektiere zumindest den Urlaub und die Abwesenheitsnotiz anderer Leute, damit sie sich nicht unter Druck gesetzt fühlen.“ Je mehr wir diese Nachrichten nämlich respektieren und würdigen, desto näher kommen wir einer Gesellschaft, in der „Alle auswählen > Löschen“ am ersten Arbeitstag nach dem entspannenden Urlaub eine völlig akzeptable Option ist. 
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