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Warum ist Unisex-Mode eigentlich so… verdammt langweilig?

Fotos: bereitgestellt von Lucy & Yak, YUK FUN. Design: Anna Jay.
Genderneutrale bzw. Unisex-Kleidung erlebt gerade einen Aufschwung. Urban Outfitters hat inzwischen eine eigene „Unisex“-Kategorie; Zara launchte 2016 die genderneutrale Kollektion „Ungendered“, und 2017 verkaufte H&M unter „Denim United“ genderneutrale Denim-Basics. Inzwischen ist der Trend auch in den Luxus-Brands angekommen: Bei Gucci gibt es jetzt Gucci Mx, eine „Feier der Selbstentfaltung – unabhängig des Geschlechts“. 
Wer sich Gucci allerdings nicht leisten kann, wird vom Angebot genderneutraler Kleidung meist enttäuscht – und diese Enttäuschung wird langsam laut. Als das Label Girlfriend Collective vor Kurzem die „Everyone“-Kollektion launchte, die die Brand als „Alltagskomfort für alle Gender“ beschreibt, kassierte sie dafür auf Twitter jede Menge Wut. Warum? Weil die Kollektion ausschließlich aus Oversized-Loungewear in verschiedenen Brauntönen besteht, von Jogginghosen über Sweatshirts bis hin zu Hoodies.
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Twitter-User @Lubchansky zum Beispiel tweetete: „Tolle Neuigkeiten! Unisex-Mode hat sich von GRAUER SACK zu BRAUNER SACK weiterentwickelt.“ 32.000 Likes später ist klar, dass die Leute keine Lust mehr darauf haben, dass „genderneutral“ scheinbar von vielen Brands als „langweilig, beige und übergroß“ verstanden wird. Der „braune Sack“, der so viel von deinem Körper verstecken soll wie nur möglich, muss endlich weg.
Aber was wünschen wir uns denn statt unförmiger Loungewear von genderneutraler Mode? Ich habe die 28-jährige Josie aus London gefragt, wonach sie beim genderlosen Shopping Ausschau hält. „Das Mainstream-Angebot für Unisex-Klamotten kann definitiv ganz schön langweilig sein“, meint sie. „Ich suche meistens in der Männerabteilung nach genderneutraleren Looks, in denen ich gut skaten kann, weil ich weiß, dass Basic-Items für Männer meistens hochwertiger sind.“
Rowan, 25 und aus dem englischen Brighton, stimmt zu. „Genderneutrale Klamotten können so öde sein.“ Deswegen kauft sie ihre Alltagskleidung zwar in der Frauenabteilung, sucht sich aber auch genderneutralere oder maskuline Klamotten, um ihre butch Identität und Sexualität besser ausdrücken zu können. „Ich wünsche mir Kleidung mit genderneutralem Kontext“, sagt sie, „aber die finde ich meistens nur im Zusammenhang mit Sex und Sexualität, also zum Beispiel Fetisch-Outfits.“ Als ich Rowan frage, ob sie sich mehr Unisex-Kollektionen wünschen würde, sagt sie allerdings: „Ich glaube nicht, dass es hilfreich wäre, überall eine genderneutrale Kategorie zu haben, für die ich dann ein Vermögen ausgeben könnte. Solche Klamotten kosten nämlich meistens mehr.“
Und sie hat Recht; teure Unisex-Klamottenlinien sind ein boomendes Geschäft. 2015 launchte die britische Kaufhauskette Selfridges in London den sogenannten Agender Concept Space — einen Pop-up-Shop, der Pieces diverser Designer-Streetwear-Brands von Ann Demeulemeester über Yang Li bis hin zu Nicopanda verkaufte. Nur liegen Catwalk-Brands wie diese, deren Klamotten teilweise Tausende von Euros kosten, extrem außerhalb der finanziellen Reichweite vieler junger Leute, die sich Unisex-Optionen wünschen.
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Zwischen dem tatsächlichen genderneutralen Angebot und den Wünschen der Kund:innen liegen Welten. Eins der Probleme dabei: „Genderneutral“ ist ein ziemlich ungenauer Begriff; verschiedene Menschen stellen sich darunter Verschiedenes vor. Josie sagt dazu: „Viele Leute denken, Männerklamotten seien von sich aus genderneutraler – vor allem dann, wenn sie von einer Frau getragen werden. Das ist aber problematisch, denn schließlich kann jedes Kleidungsstück genderneutral sein.“
Kein Wunder also, dass Röcke und Kleider selten – wenn überhaupt – in genderneutralen Kollektionen auftauchen. Obwohl Harry Styles auf dem Cover der Vogue ein Kleid trug und Billy Porter zur Met Gala in einer Robe von Christian Siriano erschien, gibt es für Röcke und Kleider scheinbar kein Entkommen aus der Damenabteilung. Wenn Unisex-Kollektionen ausschließlich aus Oversized-Sweaters und Hosen bestehen, fechten sie bestehende Gendernormen eben nicht so sehr an, wie sie behaupten.
„Meiner Meinung nach“, sagt Josie, „sollte echte genderneutrale Kleidung aussehen wie all das, was wir jetzt schon tragen – aber eben ohne Frauen- oder Männerkategorien.“ Anstatt also genderneutrale Kollektionen oder Pop-up-Shops zu launchen, wäre es vielleicht besser, Klamotten von vornherein gar nicht zu gendern.
Foto: bereitgestellt von YUK FUN.
Foto: bereitgestellt von YUK FUN.
Eine Brand, die schon jetzt völlig auf diese Geschlechterkategorien verzichtet, ist das britische Label YUK FUN, gegründet von Lucy Cheung und Patrick Gildersleeves. Auf der Website von YUK FUN gibt es keine „Frauen“ und „Männer“; die Klamotten werden ausschließlich nach diversen Styles gelistet und an ganz verschiedenen Models präsentiert – Frauen, Männern, nicht-binären Menschen. Dabei sind die Kleidungsstücke nicht braun, beige und grau, sondern bunt und gemustert.
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Ich habe Cheung und Gildersleeves nach ihrer Entscheidung gefragt, keine Gender-Kategorien auf ihrer Website zu führen. Cheung erklärt das folgendermaßen: „Wir haben mit Kleidern angefangen und dachten uns, dass es ja keine Regeln dazu gibt, wer die tragen dürfte. Wir sind zu zweit, und wir wollten Klamotten designen, die wir beide tragen können.“ Sie erzählt weiter: „Wir können natürlich inklusiver vorgehen als große Brands, denn unsere Stücke werden alle erst hergestellt, nachdem sie auch bestellt werden. Ich glaube, große Labels verlassen sich gern mal auf Ausreden wie: ‚Es gibt nicht genug potentielle Käufer:innen für genderinklusive Kleidung.‘“ Und da ist was dran; große Marken müssen bei ihrer Planung abwägen, ob sich weniger profitable Unisex-Klamotten für sie in der Produktion finanziell lohnen. Und so kommt es dann zu den langweiligen braunen Säcken, die eben – zumindest in der Theorie – mehr Abnehmer:innen finden als kunterbunte Unisex-Kleider.
Foto: bereitgestellt von Lucy And Yak.
Foto: bereitgestellt von Lucy And Yak.
Auch das Label Lucy and Yak teilt seine Klamotten nicht in „Frauen“ und „Männer“ auf. Die CEO und Mitbegründerin Lucy Greenwood erzählt mir: „Wir wissen, dass es mehr als nur zwei Gender gibt und wollen die Leute dazu ermutigen, genau das zu tragen, worin sie sich am tollsten fühlen.“ Lucy und Yak launcht im Sommer 2021 eine Kollektion aus Röcken und Kleidern, präsentiert an Männern. Dazu sagt Greenwood: „Wir versuchen unsere Produkte immer an den verschiedensten Leuten zu zeigen.“
Sowohl YUK FUN als auch Lucy and Yak haben für ihre Kleidung die strikte Geschlechteraufteilung abgeschafft und bieten trotzdem abwechslungsreiche Pieces an, die Spaß machen und weit entfernt sind von den verhassten braunen Säcken. Ob größere Brands es ihnen irgendwann gleichtun oder bei ihren separaten Unisex-Kollektionen bleiben, wird sich zeigen. 
Josie jedenfalls ist optimistisch und glaubt daran, dass sich die genderneutralere Einstellung von Gen Z und Millennials eines Tages auch in der Modeindustrie widerspiegelt. „Ich denke, wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung, in der gegenderte Kleidung langsam verschwindet“, meint sie. „Ich schätze, in zehn oder 20 Jahren haben wir auch coole Unisex-Optionen.“

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